Aufgrund des Corona-Lockdowns musste ein Wiener Kaffeehaus von November 2020 bis Mitte Mai 2021 geschlossen bleiben. Davon betroffen war auch eine albanische Aushilfskellnerin, die zunächst Kurzarbeitsunterstützung erhielt. Diese konnte sie aber nach Ablauf ihrer Beschäftigungsbewilligung nicht mehr beziehen, weshalb sie ab da keinerlei Entgelt mehr erhielt.

Corona als "höhere Gewalt"?

Weil sie von 1. April bis zum Ende des Lockdowns im Mai 2021 stets arbeitsbereit war, klagte sie (unter anderem) den Lohn für diese Zeit ein. Ihr ehemaliger Arbeitgeber argumentierte, die Corona-Pandemie stelle einen Fall höherer Gewalt dar, weshalb er ihr den Lohn nicht schulde. Auf das Fehlen der Beschäftigungsbewilligung konnte er sich nicht berufen, weil es die vertraglichen Ansprüche der Arbeitnehmerin (gemäß § 29 Absatz 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz) nicht beseitigt hätte.

Gericht, Hammer, Geldnoten
Ab wann aufgrund von höherer Gewalt das Gehalt nicht mehr gezahlt werden muss, hängt von mehreren Faktoren des Ereignisses ab.
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Tatsächlich kann es Fälle höherer Gewalt geben, die zum Unterbleiben der Dienstleistung führen und das Unternehmen von der Entgeltpflicht befreien. Details regelt das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1155 Absatz 1), wobei der entsprechende Absatz vorübergehend wegen Covid-19 novelliert wurde, im vorliegenden Verfahren aber bereits wieder in ursprünglicher Form galt. Demnach gebührt das Entgelt auch dann, wenn die Dienstleistung nicht zustande kommt – vorausgesetzt die Umstände dafür liegen auf Seiten des Unternehmens, und die dienstnehmende Person ist leistungsbereit.

Was passiert bei Rohstoffmangel?

Wegen dieser Bestimmung muss das Entgelt fortbezahlt werden, wenn sich Arbeitgeber:innen – wie etwa im Fall einer Dienstfreistellung – entscheiden, auf die an sich mögliche Dienstleistung von Mitarbeitenden zu verzichten. Daneben gibt es aber Umstände, die weder der einen noch der anderen Seite zuzurechnen sind, die sogenannte "neutrale Sphäre". Muss das Entgelt beispielsweise bezahlt werden, wenn die Arbeitsleistung wegen Rohstoffmangels oder eines Terroranschlags unmöglich wird?

Während die Lehre dies sehr unterschiedlich beantwortet, stellte der OGH bereits in einer Entscheidung (9 ObA 202/87) darauf ab, ob das Ereignis in seiner Auswirkung über die Arbeitgebersphäre hinaus in vergleichbarer Weise die Allgemeinheit trifft. Nur dann sind Arbeitgeber:innen von der Entgeltzahlungspflicht befreit. Ob das Unternehmen den Unglücksfall beeinflussen kann, ist irrelevant.

Individuelle Auswirkung von behördlichen Maßnahmen

Die Corona-Pandemie war zweifellos ein Fall höherer Gewalt. Die Dienstleistungen der Kellnerin unterblieben aber nicht wegen des Virus, sondern aufgrund von behördlichen Maßnahmen. Die Covid-19-Maßnahmen aber führten zu keiner "allgemeinen Betroffenheit". Sie beließen den Unternehmer:innen gewisse Entscheidungsspielräume wie Home-Office und Take-away, weshalb die Pandemie sehr unterschiedliche Auswirkungen auf Betriebe hatte. Das konkrete Betretungsverbot des Kaffeehauses war somit die Ursache für den Arbeitsausfall – die Klägerin gewann in allen Instanzen, auch vor dem OGH (OGH 27.09.2023, 9 ObA 133/22g).

Naturkatastrophen, Kriege samt Lieferengpässen, Blackouts – sie alle sind höhere Gewalt und betreffen auf ersten Blick die Allgemeinheit. Ob in einem konkreten Arbeitsverhältnis mit der Arbeit auch der Entgeltanspruch ausfällt, hängt aber von der individuellen Betroffenheit, wie etwa durch behördliche Maßnahmen, die im Krisenfall für das einzelne Unternehmen gelten, ab. (24.10.2023)