Der Sandžak Smederevo – Kerngebiet des heutigen Serbien – war eine jahrhundertelang umkämpfte Grenzregion zwischen dem Osmanischen Reich und der Habsburgermonarchie. Im Frühjahr 1804 brach dort der sogenannten Erste Serbische Aufstand (1804 bis 1813) aus. Bei dieser kriegerischen Auseinandersetzung handelte es sich ursprünglich um eine rückwärtsgewandte Revolte von mehrheitlich christlichen, aber auch muslimischen Untertanen des Sultans gegen vier abtrünnige osmanische Janitscharenoffiziere (die sogenannten dahije).

Karte
Der Sandžak Smederevo und die Habsburgermonarchie, 1791.
Wikicommons

Der Aufstand wurde anfänglich sowohl vom Sultan als auch von lokalen osmanischen Behörden unterstützt, da die Janitscharenoffiziere die dortige Bevölkerung regelrecht terrorisierten und die Wiederherstellung von geordneten Verhältnissen im Interesse der osmanischen Regierung lag. Mit zunehmender Dauer ging es den christlichen Aufständischen unter Führung von Karađorđe Petrović (der "Schwarze Georg“) immer stärker auch um die Vertreibung der "Türken" aus dem Sandžak Smederevo und um die (Wieder)Herstellung autonomer serbischer Verwaltungsstrukturen auf diesem Gebiet.

Belgrad und Semlin

Die Belgrader Festung als Sitz der osmanischen Verwalter des Sandžak lag – getrennt durch die beiden Flüsse Donau und Save – lediglich einen Steinwurf vom habsburgischen Semlin/Zemun entfernt. Zwischen diesen beiden Städten fand spätestens seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein reger Austausch von Menschen, Waren und Ideen statt. In Semlin befand sich schließlich eine der größten "Kontumaz-Stationen" der Habsburgermonarchie und nur bei diesen Quarantänelagern war jeweils der Übertritt aus dem Osmanischen Reich offiziell gestattet (siehe dazu auch der Beitrag in DER STANDARD von Adelheid Wölf vom 6. Mai 2020).

Unbekannt, Stadt und Festung Belgrad, erobert von der österreichischen Armee am 8. Oktober 1789, von Semlin (Zemun) aus gesehen.
Wien Museum Inv.-Nr. 74534, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/142635/)
Karte
Unbekannt, Karte von Belgrad, Semlin (Zemun), Panczova (Pančevo) und Umgebung mit Darstellung des Überfalls serbischer Freiwilliger auf einen Mehltransport im österreichisch-türkischen Krieg, 1788.
Wien Museum Inv.-Nr. 74503, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/142324/)

Aus diesem Grund fungierte das heute zu Belgrad gehörende Zemun damals als wichtige Drehscheibe für wirtschaftliche, politische und kulturelle Kontakte zwischen den beiden Imperien. Einer, der von diesem Austausch im Allgemeinen und den Kriegshandlungen zwischen 1804 und 1815 im Speziellen profitierte, war der in Semlin wohnhafte Kaufmann Miloš Urošević (in den deutschsprachigen Quellen wird sein Name meistens mit Milosch Uroschevits wiedergegeben).

Wer war Miloš Urošević?

Miloš Urošević wurde im Jahr 1775 im osmanisch-serbischen Kavadar im Bezirk Jagodina in eine orthodoxe Familie hineingeboren. Mit seinem Vater Obrada Urošević – ebenfalls Geschäftsmann – ist er als noch "sehr kleines Kind"1 in die Habsburgermonarchie gezogen. In den 1790er Jahren haben sich Vater und Sohn schließlich dauerhaft in Semlin niedergelassen, das damals zur habsburgischen Militärgrenze gehörte. Dort bewarb sich der "Vieh- und Fruchthandelsmann" im Jahr 1805 erfolgreich um das Semliner Bürgerrecht und wurde so zum Untertanen des Kaisers von Österreich. Zu diesem Zeitpunkt besaß Urošević bereits ein repräsentatives Wohnhaus im Stadtzentrum von Semlin. Das unmittelbar neben dem Semliner Magistrat und dem Marktplatz an prominenter Stelle gelegene mehrstöckige Gebäude war mit einem geräumigen Keller ausgestattet, in dem der geschickte Netzwerker Urošević nebst anderen Waren auch Kriegsmaterial (Waffen, Munition und Schießpulver) zwischengelagert haben soll.

Haus
Das Wohnhaus von Miloš Urošević in Semlin/Zemun (2018). Das im Vordergrund sichtbare Gelübdekreuz ließ Lazar Urošević im Jahr 1863 zu Ehren seiner Eltern Miloš und Hristina errichten.
Michael Portmann

Die geografische Lage der Wahlheimat von Urošević, die familiäre Herkunft aus dem osmanischen Serbien und die Sprachkenntnisse boten ideale Bedingungen für seine Tätigkeiten als Kaufmann, Doppelagent und Schmuggler. Voraussetzung für seinen Aufstieg indes waren die guten, teilweise von seinem Vater vererbten Kontakte, die der Geschäftsmann zu den einflussreichsten habsburgischen Persönlichkeiten in der Region pflegte.

Geschäfte mit den serbischen Aufständischen

Die Grundlage seines damaligen enormen Reichtums bildeten unter anderem die äußerst lukrativen Geschäfte mit den serbischen Aufständischen auf der anderen Seite von Donau und Save: Als im Frühjahr 1804 im Sandžak Smederevo der besagte Erste Serbische Aufstand ausbrach, stand der Kaufmann bereits in geschäftlicher Verbindung mit dem "Schwarzen Georg" (1762 bis 1817), dem Anführer der Rebellion gegen die Willkürherrschaft der dahije (Abbildung 5).

Porträt
Karađorđe Petrović.
Wikicommons

Zur vermutlich ersten Zusammenkunft zwischen Urošević und dem "Schwarzen Georg" war es im Dezember 1803 im osmanisch-serbischen Ostružnica gekommen. In diesem unweit von Belgrad an der Save gelegenen Grenzort zur Habsburgermonarchie wurden bereits im Laufe des 18. Jahrhunderts nebst anderen Waren auch Waffen und Munition ins osmanische Serbien geschmuggelt. Immer wieder sollen sich auch österreichische Kundschafter, Spione und Agenten in diesem konspirativen Ort eingefunden haben.

Ebendort hatte Urošević mit Karađorđe höchstpersönlich einen Handelsvertrag über die enorme Summe von 122.000 Gulden abgeschlossen: Für den Erhalt von Getreide, Mais und Mehl sollte der wohl prominenteste serbische Schweinehändler 6.000 Stück Borstenvieh, 3.000 Schafe, 2.000 Ziegen und 300 Rinder an Urošević liefern. Es ist davon auszugehen, dass dieser Warenaustausch bereits mit den Vorbereitungen für die geplante Rebellion in Verbindung stand.

Anfang Mai 1804 begab sich Urošević mit seinen zwei engsten Semliner Geschäftsfreunden (Dragutin Milutinović und Dimitrije Marković-Ratković) erneut nach Ostružnica, wo zwischen dem 3. und 15. Mai 1804 die mächtigsten und angesehensten Würdenträger (knezovi) der Serben zusammentraten, um das weitere Vorgehen im Kampf gegen die dahije zu koordinieren. Auf dieser ersten "Nationalversammlung" (Narodna skupština) – wie sie in der serbischen Historiografie genannten wird – versprach Urošević vor den versammelten christlichen Dorfältesten die Gründung einer Handelsgesellschaft.

Diese kurze Zeit später ins Leben gerufene Kompagnie diente in erster Linie dazu, die serbischen Soldaten im Sandžak Smederevo mit Kriegsmaterial aus der Habsburgermonarchie zu versorgen. Im Gegenzug wurde Urošević von seinem (Geschäfts)Freund Karađorđe offiziell damit beauftragt, künftig als Fürsprecher der serbischen Aufständischen tätig zu werden. Diesem Auftrag kam er auch tatsächlich bei mehreren Gelegenheiten nach: So war er beispielsweise im Februar 1806 Teil einer Delegation, die Kaiser Franz I. in Wien – allerdings erfolglos – um die Lieferung von Hilfsgütern ins osmanische Serbien angesucht hatte.

Spion und Schmuggler

Urošević war indes nicht nur für die "serbische Sache" tätig: Auch die habsburgischen Militärbehörden sowohl in Semlin als auch in der Festung Peterwardein/Petrovaradin machten sich seine geschäftlichen Kontakte zu Nutze: Im Auftrag von einigen der ranghöchsten Militärs vor Ort – unter anderem von den Kommandeuren des slawonischen Generalkommandos Johann Georg Freiherr von Geneyne (1723 bis 1810) und Joseph Anton Freiherr von Simbschen (1746 bis 1820) – sollte er einerseits die serbischen Anführer für die Begehrlichkeiten des Wiener Hofes sensibilisieren und andererseits (vertrauliche) Informationen über das Geschehen in Serbien einholen und an die habsburgischen Militärs weiterleiten.

Seinem eigenen Empfinden nach hatte er diese risikoreiche Aufgabe mit so viel Bravour gemeistert, dass er zu Beginn des Jahres 1822 ein Gesuch an Kaiser Franz richtete, worin er um eine Auszeichnung für die sich als "Kundschafter erworbenen Verdienste" in den Jahren 1804 bis 1814 bat. Bisher konnte noch nicht eruiert werden, ob seinem Gesuch entsprochen wurde.

Ebenfalls eng mit seiner Profession als Kaufmann verbunden war seine Tätigkeit als Schmuggler. Da Wien im Konflikt zwischen den Serben und dem Osmanischen Reich offiziell neutral geblieben war, musste Urošević das Kriegsmaterial auf illegalem Wege nach Serbien verbringen. Alleine im Zeitraum von März 1804 bis Mai 1806 soll Urošević 56.000 Kilogramm Schießpulver und 40.000 Kilogramm Blei aus dem Kriegsmagazin der habsburgischen Festungsanlage in Peterwardein/Petrovaradin erworben und über den Flussweg außer Landes ins aufständische beziehungsweise "befreite" Serbien geschmuggelt haben (siehe Abbildung 6).

Alte Zeichnung
Die Festung Peterwardein bei Neusatz / Novi Sad.
Jakob Alt (Zeichner), Adolf Friedrich Kunike (Lithograf), Adolf Friedrich Kunike (Herausgeber), Donau-Ansichten: Syrmien. Festung Peterwardein, 1826 (Erscheinungsjahr), Wien Museum Inv.-Nr. 105081/173, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/186095/)

Ohne Zweifel hätten diese Geschäfte nicht ohne die aktive Mitarbeit beziehungsweise stillschweigende Duldung von Vertretern der österreichischen Militärbehörden vor Ort durchgeführt werden können. Allen voran der aus Semlin gebürtige Joseph Paul Mitesser (1757 bis 1833), hervorragender Kenner des osmanischen Serbien und seit 1791 Semliner Platzhauptmann, stand bis zu seiner Versetzung ins bosnische Travnik Ende 1807 nicht nur mit "einheimischen", sondern auch mit osmanischen und serbischen Behörden und Kaufleuten in intensivem Kontakt. Ebendieser Joseph Paul von Dèrvent Mitesser diente Ivo Andrić in seinem Epochenroman "Wesire und Konsuln" (Originaltitel: Travnička hronika. Konsulska vremena) als Vorlage für einen der Protagonisten des Werkes in Gestalt des österreichischen Konsuls von Mitterer.

Ideologie oder Profit?

Es ist unbestritten, dass (serbische) Händler aus der Habsburgermonarchie wie Miloš Urošević unmittelbar vor und während der ersten Monate der Rebellion eine herausragende Rolle bei der Versorgung ihrer "Brüder" mit Getreide und Kriegsmaterial eingenommen haben. Die beachtlichen und raschen militärischen Erfolge der serbischen Rebellen sind ohne die umfangreichen Lieferungen aus Semlin beziehungsweise Peterwardein nur schwer vorstellbar. Miloš Urošević war in erster Linie ein gewiefter Händler, den man durchaus auch als Kriegsprofiteur bezeichnen kann. Es ist davon auszugehen, dass seine Geschäfte mit den serbischen Aufständischen viel mehr vom Streben nach Reichtum und Ansehen motiviert waren und weniger einer wie auch immer gearteten serbisch-nationalen Ideologie entsprangen.

Sein Dienst für die serbische Sache mag im besten Falle ein willkommener Kollateralnutzen seiner Handelstätigkeit gewesen sein. Diese Annahme wird gestützt von der Tatsache, dass er in den Jahren nach 1815 auch mit dem Belgrader Wesir Murašli Ali Paša – notabene der oberste osmanisch-muslimische Verwalter des Sandžak Smederevo – lukrative Geschäftsbeziehungen unterhielt. (Michael Portmann, 22.12.2023)