In der Schweiz läuft der Prozess gegen Ousman Sonko, der für Gambias Ex-Diktatur von Yahya Jammeh – der Präsident hatte 22 Jahre lang diktatorisch als Staatschef des kleinen westafrikanischen Landes geherrscht – einst die Drecksarbeit erledigte. Auch eines seiner bekanntesten Opfer ist angereist: Der Journalist Madi Ceesay ließ sich selbst von einer drei Wochen andauernden Folter nicht mundtot machen – und hofft nun auf späte Gerechtigkeit.

Proteste von Opfern und ihren Verwandten vor dem Schweizer Gerichtsgebäude.
Proteste von Opfern und ihren Verwandten vor dem Schweizer Gerichtsgebäude.
EPA

Neulich fragte ihn die Tochter, woher er die Narben am Rücken habe. Ceesay hatte es nie vermieden, mit seiner Familie über die drei Wochen im Frühjahr 2006 zu reden – im Gefängnis, eingesperrt von Gambias berüchtigtem Geheimdienst, der National Intelligence Agency (NIA). Doch manche Details der Folterung hatte er für sich behalten. Die Schläge mit den Gürteln vor der Zelle, die Tritte mit den Stiefeln, die Schreie seines Kollegen, der neben ihm gequält wurde. Das ist aus der Zeit in der Haft, sagte er der Tochter nur.

Der Mann, der als Innenminister Gambias damals das Sagen über die NIA hatte, sitzt in diesen Tagen nur wenige Meter von Ceesay entfernt auf einer Anklagebank des Schweizer Bundesstrafgerichts in Bellinzona. Seit dem 8. Jänner läuft dort die Hauptverhandlung gegen Ousman Sonko, etwa 4.300 Kilometer von Gambias Hauptstadt Banjul entfernt. Dem Mann, der sich den Spitznamen "Folterkommandant von Gambia" gemessen an den Details der 142-seitigen Anklageschrift regelrecht erarbeitet hat, werden systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Darunter Mord, Folter, Vergewaltigungen.

Prozess nach Weltrechtsprinzip

Jahrelang hatte Sonko in dem winzigen westafrikanischen Land Gambia als rechte Hand von Diktator Yahya Jammeh agiert, und das von ihm geführte Innenministerium setzte die Unterdrückung von Kritikern operativ um. Doch im Jahr 2016 überwarf sich Sonko mit Jammeh, er floh zunächst nach Schweden, wo sein Asylantrag abgelehnt wurde.

Sonko probierte es nun in der Schweiz. Als publik wurde, dass sich der Politiker in einem Asylzentrum im Kanton Bern aufhält, erstattete die in Genf angesiedelte Menschenrechtsorganisation Trial International Anzeige. Gemäß dem Weltrechtsprinzip kann die Schweizer Bundesanwaltschaft seit dem Jahr 2011 Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich verfolgen, wenn sich der Verdächtige auf dem Staatsterrain befindet und kein Auslieferungsgesuch vorliegt. Nach Angaben von Trial International ist es das erste Mal, dass ein so hochrangiger Ex-Politiker nach dem Weltrechtsprinzip in Europa vor Gericht steht. Vor einigen Monaten wurde in der Schweiz allerdings bereits eine zwanzigjährige Freiheitsstrafe gegen den ehemaligen liberianischen Kriegsverbrecher Alieu Kosiah bestätigt.

Auf einen Antrag auf Auslieferung für Sonko verzichtete Gambias neue Regierung. Zwar wurde Diktator Jammeh im Jahr 2017 von Truppen des westafrikanischen Staatenbundes entmachtet, weil er sich trotz einer verlorenen Wahl an die Macht geklammert hatte. Doch während sich Jammeh dank entwendeter Millionenbeträge aus der Staatskasse recht problemlos nach Äquatorialguinea absetzen konnte, kam die juristische Aufarbeitung seiner 22 Jahre andauernden Herrschaft in Gambia nur langsam voran.

Wahrheitskommission

Es gab eine Wahrheits-, Versöhnungs- und Wiedergutmachungskommission (TRRC). Doch Sonko ist der erste hochkarätige Fall, der auch vor einem Gericht verhandelt wird. In Gambia ist er das alles bestimmende Thema bei den knapp drei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, die Nachrichten aus der Schweiz dominieren täglich die Nachrichtenseiten und Sondersendungen.

Madi Ceesay hofft auf späte Gerechtigkeit.
Madi Ceesay hofft auf späte Gerechtigkeit.
privat, von Ceesay zur Verfügung gestellt

"Ich hätte mir gewünscht, dass ein solcher Prozess in Banjul stattfindet", sagt Ceesay am Telefon zum STANDARD. Aber es habe große Verzögerungen gegeben, die entsprechenden Gesetze und rechtlichen Rahmenbedingungen seien erst kürzlich finalisiert worden. "Die Geschwindigkeit der Aufarbeitung in Gambia ist zu langsam", sagt der Abgeordnete. Aber für ihn zähle in diesen Tagen erst einmal, dass sich Sonko überhaupt vor Gericht verantworten müsse. Der hatte sich laut Anklageschrift persönlich an den Taten beteiligt. Der Ex-Minister bestreitet alle Vorwürfe, gab aber am Mittwoch zu, dass er eine Notiz verfasste, in der von Anweisungen Jammehs aus dem Frühjahr 2016 die Rede ist, auf regierungskritische Demonstranten schießen zu lassen.

Kläger und Zeuge zugleich

Ceesay nimmt wie auch weitere Opfer als Privatkläger und Zeuge an dem Prozess teil, als namhafter Ex-Journalist und aktueller Parlamentsabgeordneter gehört er zu den prominentesten Opfern. Der Schweizer Staat sowie Trial International haben die Reisekosten übernommen. Es sei eine Genugtuung zu sehen, wie Sonko von Polizisten bewacht in den Gerichtssaal geführt wird. "Ich schaue ihm direkt in die Augen, wenn Sonko ins Gericht geführt wird", sagt Ceesay. Oft versuche Sonko, seinem Blick auszuweichen, sagt Ceesay, immer gelinge ihm das nicht. Es sind Momente, die seinen Glauben an die Gerechtigkeit am Leben halten.

Den 28. März 2006 hat er noch detailliert vor Augen. NIA-Agenten stürmten die Redaktion des "Independent". Ceesay war damals der Verlagschef der Zeitung, die NIA hielt ihn ohne Anklage oder auch nur Erklärung fest, wollte eine öffentliche Entschuldigung für regimekritische Artikel. Ceesay verweigerte das, kam wohl nach drei Wochen völlig abgemagert nur deshalb frei, weil Organisationen wie das Committee to Protect Journalists (CPJ) internationalen Druck aufgebaut hatten. "Ohne den Druck hätten sie mich nicht freigelassen", sagt Ceesay. Der ehemalige Journalist weiß, dass viele andere Opfer in der Folterkammer dieses Glück nicht hatten.

Doch seine Zeitung wurde dichtgemacht, Ceesay verlor sein Einkommen. Nach zwei Jahren registrierte er eine neue Zeitung, die "Daily News" – aber auch ihr wurde bald die Lizenz entzogen. Zahllose Journalisten flüchteten eingeschüchtert aus dem Land. Ceesay blieb, setzte seinen Kampf für die Demokratie schließlich im Jahr 2016 als Abgeordneter einer Oppositionspartei fort.

Lage Gambia und Senegal am afrikanischen Kontinent

Bald, so glaubt Ceesay, werden sich in seiner Heimat Gambia auch andere Handlanger Jammehs vor Gericht verantworten müssen. Zusammen mit dem Ecowas-Staatenbund soll ein Hybridgericht gebildet werden, das sich vor allem durch die Einbindung des Tatortstaats von vorangegangenen Modellen internationaler Strafgerichte unterscheidet – in der Hoffnung auf mehr Unterstützung bei der lokalen Bevölkerung. Ceesay weiß, dass der Prozess in der Schweiz nur eine Zwischenstation bei der Aufarbeitung der Vergangenheit ist. Der seiner Heimat Gambia. Und seiner eigenen.

Doch sollte Sonko verurteilt werden, dann wird er sich einen Tag des Feierns gönnen. "Ich werde alle meine Freunde einladen und für sie kochen", sagt Ceesay. Er möchte dann Benechin servieren, das gambische Nationalgericht aus Fleisch, Reis und Gemüse. Es soll ein Tag werden, emotional genug, um die Erinnerung an seine Folter zu überdecken. Ein wenig zumindest. (Christian Putsch, 19.1.2024)