Ein Grenzübergang zwischen Afghanistan und Pakistan.
Angespannte Lage an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan.
EPA/AKHTER GULFAM

Seit der Rückkehr der radikalislamischen Taliban an die Macht in Afghanistan im August 2021 nehmen die Spannungen mit Pakistan zu. Die Regierung in Islamabad wirft den Taliban vor, bewaffneten Gruppen, die Angriffe auf pakistanischem Boden verüben, Schutz zu gewähren. Nach den jüngsten Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ländern zu Wochenbeginn herrschte am Mittwoch zwar Ruhe im Grenzgebiet. Doch die Lage zwischen den beiden Nachbarstaaten ist weiter angespannt. DER STANDARD erklärt, warum.

Frage: Was hat es mit den jüngsten Spannungen auf sich?

Antwort: Am Montag hat die pakistanische Luftwaffe zwei Ziele in den an Pakistan grenzenden afghanischen Provinzen Khost und Paktika angegriffen. Pakistan spricht von Antiterroreinsätzen. Die Taliban verurteilten die Angriffe als Verletzung der Souveränität Afghanistans. Sie werfen Pakistan vor, drei Kinder und fünf Frauen getötet zu haben. Am Dienstag reagierten sie mit Vergeltungsangriffen auf pakistanische Militärposten. Es wurden heftige Auseinandersetzungen zwischen den jeweiligen Sicherheitskräften und grenzüberschreitende Scharmützel gemeldet. Danach wurden die Kämpfe vorerst eingestellt.

Frage: Wieso spricht Pakistan von Antiterroreinsätzen?

Antwort: Die pakistanischen Luftangriffe erfolgten nur zwei Tage nachdem Extremisten bei einem Selbstmordanschlag auf einen Militärposten im Nordwesten Pakistans fünf Mitglieder der Sicherheitskräfte getötet hatten. Pakistan kämpft mit vermehrten Anschlägen durch militante Gruppierungen, darunter die pakistanischen Taliban namens TTP. Trotz ideologischer Nähe ist die TTP unabhängig von der afghanischen Taliban-Regierung. Pakistan beschuldigt die Taliban jedoch, der TTP auf ihrem Boden Schutz zu gewähren. Die Taliban bestreiten das: "Pakistan sollte Afghanistan nicht für mangelnde Kontrolle, Inkompetenz und Probleme auf seinem eigenen Territorium verantwortlich machen", sagte ihr Sprecher Zabiullah Mujahid. Er räumte unlängst jedoch ein, dass die 2.600 Kilometer lange Grenze nur schwer zu kontrollieren sei.

Frage: Wer sind die TTP?

Antwort: Viele der Angriffe in Pakistan werden den pakistanischen Taliban TTP zugeschrieben. Sie streben den Sturz der Regierung an und wollen Pakistan nach einer fundamentalistischen Auslegung des Islam führen. Die Islamisten haben in den vergangenen Jahren tausende Soldaten, Polizisten und Zivilisten bei Bombenanschlägen und Selbstmordattentaten getötet.

Frage: Wie werten Experten die Angriffe?

Antwort: Laut Uzair Younus von der US-Denkfabik Atlantic Council sind die pakistanischen Angriffe ein Zeichen dafür, dass der neuen Minderheitsregierung um den ehemaligen Ministerpräsidenten Shehbaz Sharif der Geduldsfaden gerissen ist. Younus geht nicht davon aus, dass sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern demnächst verbessern werden. Auch wenn an der Grenze wieder Ruhe einkehrt, werde Pakistan wohl weiter Druck auf die Taliban machen, gegen bewaffnete Extremisten auf afghanischem Boden vorzugehen. Neue Verhandlungen über eine Feuerpause, wie sie die Taliban 2021 zwischen entsprechenden Gruppen und Islamabad in die Wege geleitet hatten, hält Younus nach dem damals raschen Bruch der Waffenruhe für ausgeschlossen. Grenzschließungen, die unzählige Menschen der kulturell und wirtschaftlich stark verwobenen Länder auf beiden Seiten der Grenze treffen würden, gelten als mögliches Druckmittel.

Wir werden den Grenzterror aus dem Nachbarland nicht akzeptieren, sagt Pakistans Premier Sharif am Mittwoch.
Pakistans Premier Sharif äußert sich am Mittwoch zu den Auseinandersetzungen.

Frage: Droht eine weitere Eskalation, wenn die Taliban die TTP nicht zurückpfeifen?

Antwort: Schon die gescheiterte Waffenruhe habe gezeigt, dass die Taliban möglicherweise wenig Einfluss auf die Aktivitäten der TTP haben, befindet die Pakistan-Expertin Roya Rahmani. Rahmani und ihre Kollegin Nilofar Sakhi, beide ebenfalls von der US-Denkfabik Atlantic Council, sehen jedoch keine Gefahr für einen größeren Konflikt zwischen den beiden Ländern. Die politische Elite in Islamabad sei trotz der Spannungen grundsätzlich ein Unterstützer der Taliban-Regierung in Afghanistan. Auch die Taliban haben kein Interesse an einem langen bewaffneten Konflikt mit Pakistan.

Weitere TTP-Angriffe in Pakistan und pakistanische Rückschläge, um zumindest öffentlich Stärke zu demonstrieren, seien aber durchaus wahrscheinlich. Die Leidtragenden davon seien in jedem Fall Zivilisten auf beiden Seiten, so die Expertinnen. Sie machen für das Erstarken der TTP auch aus Pakistan abgeschobene afghanische Flüchtlinge verantwortlich. Jenen ohne gültigen Aufenthaltsstatus, es sollen 1,7 Millionen sein, setzte die pakistanische Regierung Ende vergangenen Jahres eine Ausreisefrist bis 1. November. Seitdem haben hunderttausende Afghanen das Land verlassen. Die Taliban haben in Grenznähe Lager für Rückkehrer eingerichtet. (Flora Mory, 20.3.2024)