Bildung wird in Österreich und Deutschland stark "vererbt". Das zeigt sich unter anderem daran, dass 57 Prozent der Kinder, deren Eltern einen Universitätsabschluss haben, in Österreich ebenfalls einen solchen erreichen (Daten laut Statistik Austria 2021). Haben die Eltern hingegen maximal einen Pflichtschulabschluss, gelingt es nur rund sieben Prozent der Nachkommen, einen akademischen Abschluss zu erreichen. Die Lage in Deutschland ist nicht wesentlich anders. Mit anderen Worten: Das Bildungssystem schafft es in diesen beiden Ländern nur vergleichsweise schlecht, für Aufwärtsmobilität zu sorgen. Das Elternhaus ist immer noch der entscheidende Faktor für Bildungskarrieren.

Wie aber sieht diese (Nicht-)Förderung je nach sozialem Status im Detail aus? Und welche Rolle spielen dabei die Noten der Kinder? Um die Notengebung an den Schulen gab es in Österreich zuletzt eine politische Diskussion: Die Wiener Landesgruppe der SPÖ setzte sich im Herbst für die Abschaffung der Noten und der Matura ein. Noten würden Stress verursachen und auch eine Frage der Leistbarkeit (Nachhilfestunden, Zeit für das Kind) sein.

Philipp Dierker (Uni Helsinki) und Martin Diewald (Uni Bielefeld) – beide zudem am Max-Planck-Institut für demografische Forschung tätig – sind diesen Fragen anhand von Daten der deutschen Twinlife-Studie nachgegangen. "Im Gegensatz zur bisherigen Forschung haben wir uns nicht auf die kognitiven Fähigkeiten der Kinder konzentriert. Wir haben untersucht, wie Eltern ihre Kinder unterstützen – gemessen an den Schulnoten, die von Eltern objektiv als gut oder schlecht eingeordnet werden können –, und haben die Reaktionen der Eltern auf diese Schulnoten ihrer Kinder untersucht", erklärt Dierker in einer Aussendung der Max-Planck-Gesellschaft.

Zwei Hypothesen, eine Bestätigung

In der bisherigen Forschung gab es dazu vor allem zwei Hypothesen: Eltern mit höherem sozioökonomischen Status unterstützen eher das Kind mit schlechteren Schulnoten, als das Kind mit guten Schulnoten zusätzlich zu fördern. Für Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status nahm man hingegen an, dass eher das Kind mit den besten Aufstiegschancen gefördert wird. Die neue Studie von Dierker und Diewald, die im Fachblatt "European Sociological Review" erschien, konnte die erste Annahme bestätigen, die zweite allerdings nicht.

Nachhilfe Eltern Kinder Hausaufgaben
Zumindest in Deutschland scheinen Kinder mit besonders guten Noten tendenziell keine Extraförderung durch die Familie zu erhalten – weder bei reichen noch bei armen Familien.
IMAGO/Design Pics

Die beiden werteten für ihre Untersuchung die Ergebnisse der Kohorten der Geburtsjahrgänge 2003 und 2004 für eineiige und zweieiige gleichgeschlechtliche Zwillinge aus (insgesamt knapp 1.000 Kinder). Zum Zeitpunkt der ersten Befragung waren die Kinder im Durchschnitt elf Jahre, in der dritten Befragungswelle durchschnittlich 13 Jahre alt. "Besonders vorteilhaft ist, dass hier die Kinder direkt befragt wurden, wie stark sie von ihren Eltern unterstützt werden. So konnten wir ausschließen, dass Eltern ihre eigene Unterstützung für die Kinder beschönigen, um in ihrer eigenen Wahrnehmung kein Kind zu vernachlässigen", so Dierker.

Gefragt wurde unter anderem, in welcher Form Eltern ihre Kinder bei den Hausaufgaben und der schulischen Kommunikation unterstützen, wie sie diese ermutigen und ihre Erwartungen formulieren und wie sie die kognitive Entwicklung – etwa durch gemeinsames Lesen oder Musizieren – fördern. Über drei Erhebungswellen hinweg werteten die Forscher aus, wie sich diese drei Formen im Zusammenhang mit den Schulnoten der Kinder veränderten. Ihre Ergebnisse halten sie auch über Zwillingsfamilien hinaus für generalisierbar, da in der bisherigen Literatur kaum Hinweise darauf zu finden waren, dass Zwillinge und "normale" Kinder anders behandelt würden.

Angst vor sozialem Abstieg als Motiv

Dass in Familien mit höherem sozioökonomischen Status die Eltern das Kind mit den schlechteren Schulnoten stärker fördern, dürfte laut den Forschern vermutlich an der Angst vor einem sozialen Abstieg liegen. Eine solche Motivation sei bei Familien mit höherem sozialen Status größer. Ob diese Unterstützung auch tatsächlich Wirkung zeigt und ob diese Bemühungen erfolgreich sind, konnte diese Studie (noch) nicht zeigen. Dazu müssten in Zukunft weitere Untersuchungen stattfinden.

Die Studie sei in jedem Fall für die Forschung im Bereich der sozialen Mobilität von Bedeutung, resümiert Dierker. "Leistungsstarke Kinder aus unteren sozialen Schichten verfügen nicht über dieselben Ressourcen, Netzwerke und Unterstützungsmaßnahmen wie Kinder aus höheren sozialen Schichten, die von ihren Eltern vor dem sozialen Abstieg geschützt werden. Es bleibt die Frage offen, wie stark diese Unterschiede in der elterlichen Unterstützung der eigenen Kinder zu einer geringen sozialen Mobilität beitragen." (Klaus Taschwer, 24.3.2024)