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Die Wiener SPÖ hat mit ihrer Forderung, Schulnoten und Matura abzuschaffen, innenpolitisch einigen Staub aufgewirbelt.
imago/Roland Mühlanger

Seine Beurteilung ist schnell gesprochen: "Blödsinn". Es gebe keinen Grund, die Matura oder die Schulnoten abzuschaffen, sagt Bildungsexperte Steffan Hopmann dem STANDARD. Die Matura ad acta zu legen, hieße nichts anderes, als Zugangsprüfungen an den Universitäten zu schaffen. "Eine Verlagerung bringt nichts“, sagt Hopmann, der in 15 Ländern geforscht und gelehrt hat, darunter ein Jahrzehnt in Norwegen, eher er an die Universität Wien wechselte. Hopmann würde auch am Notensystem nichts ändern. Noten seien ein Maßstab für den Lernfortschritt, "ein relativ fairer Maßstab".

Noten stellten auch so etwas wie ein Kommunikationsformat dar. "Und wie bei allen menschlichen Kommunikationsformen kann es passieren, dass etwas unfair wird, falsch oder ungerecht. Und es kann sein, dass es zu Fehlentscheidungen kommt. Aber es geht darum, ein Instrument bei der Hand zu haben, um eine Bildungsentwicklung zu formulieren", argumentiert Hopmann.

Abschaffung der Matura

Die Wiener SPÖ hat am Wochenende auf ihrem "kleinen Parteitag" mit ihrem Antrag auf Abschaffung der Matura sowie zur Einführung der Gesamtschule ohne Schulnoten einigen Staub aufgewirbelt – politisch und in Fachkreisen. ÖVP und FPÖ reagierten erbost, Bildungsminister Martin Polaschek sprach von "Hirngespinsten linker SPÖ-Träumer".

Abschaffen würde Bildungsexperte Hopmann zumindest die Zentralmatura – ein Fehlkonstrukt seiner Meinungen nach. Die Zentralmatura baue auf der Illusion auf, dass alle das Gleiche lernen. Das sei aber nicht der Fall. Die Matura müsse den lokalen Verhältnissen an den jeweiligen Schulen angepasst werden. Durch die standardisierte Zentralmatura entstehe "ein unnötiger Leistungsdruck".

Bildungspsychologin Christiane Spiel sieht die Sache eine Spur differenzierter. Natürlich gehe es um die Frage, wie der Druck in der Schule herausgenommen werden könne, und auch darum, wie Schüler motiviert werden können. Dazu müssten aber nicht die Noten abgeschafft werden, sondern etwa individuelle Begabungen gefördert werden. Dort, wo Begabungen und Interessen vorhanden sind, sollte vertieft werden – neben dem Erlernen der schulischen Basics, argumentierte Spiel am Wochenende im ORF.

Vorsichtiger Vorstoß

Vorsichtig will SPÖ-Chef Andreas Babler an die heikle Thematik herangehen, die seine Wiener Landesgruppe aufs Tapet brachte. "Priorität hat nach wie vor ein warmes Essen für die Schülerinnen und Schüler und ausreichend und gut ausgebildete Pädagogen und Pädagoginnen", sagt Babler dem STANDARD. Aber er begrüße "jeden Beitrag, die Angst in der Schule zu reduzieren und das Potenzial der Schülerinnen und Schüler zu heben".

Parteiintern stuft man in der Bundes-SPÖ das Thema Noten und Matura jedenfalls niederrangig ein. "Deshalb wurde ja auch die Forderung nach einer Abschaffung der Matura und Noten am Parteitag in Graz nicht in einen Leitantrag gegossen", heißt es. Es gebe bildungspolitisch aktuell andere Prioritären, vielleicht werde man in zehn oder 20 Jahren, wenn die Strukturen darauf vorbereitet sind, eine derartige Reform angehen.

Was spricht nun gegen die Matura?

Was spricht für die Matura?

Was spricht für das Notensystem?

Was spricht gegen Noten?

(Walter Müller, 20.11.2023)