Brennende israelische Flagge
Die Wut auf Israel ist im Iran derzeit besonders groß.
AFP/ATTA KENARE

Doron steht vor dem geöffneten Kofferraum seines Wagens und stapelt strategisch: zuerst die Sechserpacks Trinkwasser. Dann der Rest: Konserven, löslicher Kaffee, Cracker. Auch Zwiebeln, Knoblauch. Nach und nach leert sich sein Einkaufswagen, füllt sich sein Auto. Es ist kein normaler Schabbat-Einkauf, den der 60-Jährige an diesem Freitagvormittag erledigt: Doron kauft Vorräte für den Worst Case.

"Binnen 24 bis 48 Stunden" soll der Iran seinen Angriff auf Israel starten. Das haben die Israelis am Freitagmorgen aus israelischen Medien erfahren, die sich auf eine US-Zeitung berufen, die ihrerseits wiederum israelische Quellen zitiert. So geht das seit mehr als einer Woche: Wer von Israels Regierung Konkretes hören möchte, wie akut die Gefahr eines iranischen Angriffs nun wirklich ist, stirbt dumm.

Also geht das Stille-Post-Spiel quer über den Ozean: Jerusalem informiert Washington, Washington leakt an die Presse, die Presse veröffentlicht, Israels Journalisten zitieren – und Doron kauft ein. "Drei Sixpacks sollten erstmal reichen", sagt er. Das sind 36 Liter Wasser.

"Wir Israelis sind keine Versager"

Iranische Quellen, wie unzuverlässig sie auch sein mögen, nannten Haifa als mögliches Angriffsziel. Ein sensibler Punkt hier ist das Chemiewerk in der Bucht. Im Fall eines Treffers könnten die austretenden Gase die Luft in der Stadt binnen kurzer Zeit vergiften. Ob ihm das Angst macht? Doron schüttelt lachend den Kopf. Er ist in Haifa aufgewachsen, hat beide Libanon-Kriege erlebt. Ihn kann wenig erschüttern. "Man muss nur vorbereitet sein", sagt er. Und zwar für den Fall, dass der Strom ausfällt und die Wasserpumpen nicht mehr funktionieren. Sonst nichts. "Wir Israelis sind keine Versager, wir sind stark", sagt er. Hatte man das vor dem 7. Oktober 2023 nicht auch gedacht? "Ja, aber da hat die Armee geschlafen", sagt Doron, "Jetzt ist sie aber wach."

Wach und in höchster Alarmbereitschaft – schon seit mehr als einer Woche. Nach dem Angriff auf ein iranisches Gebäude in Damaskus am 1. April und der Tötung zweier Generäle der iranischen Revolutionsgarden musste Israel jederzeit mit einem Racheschlag Teherans rechnen.

Nun verdichteten sich die Hinweise, dass es demnächst ernst werden könnte. Am Donnerstag machte sich der Oberkommandant der US-Streitkräfte auf den Weg nach Israel, um mit Generalstabschef Herzi Halevi die Lage und mögliche Strategien zu besprechen. "Eisernen Beistand" hat US-Präsident Joe Biden Israel versichert, im Fall, dass der Iran nun angreift. Und Israels Verteidigungsminister Joav Gallant kündigte im Fall einer Attacke eine "angemessene Reaktion" seitens Israels an.

Immer wieder Sirenen

Somit ist der Krieg nun auch wieder in den Köpfen jener Israelis angekommen, die ihn zuletzt erfolgreich verdrängt hatten, weil sie nicht direkt davon betroffen waren. Im Süden, nahe der Gaza-Grenze, war an eine Rückkehr zum Alltag bis jetzt nicht zu denken: Immer noch heulen dort die Sirenen, wenn auch seltener. Vor allem nachts hört man die Detonationen in Gaza. Und jene zehntausenden Israelis, die ihre Häuser an der Grenze zum Libanon verlassen mussten und seit einem halben Jahr in Übergangsquartieren ausharren, quält die Frage, ob sie je wieder in ihre Dörfer zurückkehren werden.

Dagegen war in Tel Aviv und in Haifa wieder so etwas wie Normalität ausgebrochen. Auch an diesem Freitag ist der drohende Angriff des Iran nicht das Thema Nummer eins im Straßen-Smalltalk. Man unterhält sich über steigende Lebensmittelpreise, Pläne für den Pessach-Urlaub, die jüngsten Renovierungsarbeiten am Einfamilienhaus. "Die Amerikaner sprechen vom Doomsday, aber ich glaube nicht daran", sagt Dorit, eine Mittfünfzigerin, die auf einer Parkbank in der Sonne genüsslich ihren Eiskaffee schlürft.

Die Cafés sind voll besetzt, auf den Stufen vor dem Eissalon sitzen Kinder mit riesigen Stanitzeln Eis, mit Zuckerstreuseln bestreut. Nur die gelben Schleifen, die an das Schicksal der Geiseln in Gaza erinnern, rufen den Angriff der Hamas und den Krieg in Gaza in Erinnerung.

Vorbereitungen sind getroffen

"Für uns ist das nichts Neues, was jetzt passiert", sagt Idan, ein Mittdreißiger mit langen Haaren und Kippa. Mit "uns" meint er das jüdische Volk. "Seit tausenden Jahren sind wir davon bedroht, dass man uns auslöschen will", sagt er. Das Wichtigste sei daher, sich spirituell dafür zu wappnen: "Vertrauen zu schöpfen, Verbundenheit zu spüren." Die "physischen Vorbereitungen" haben er und seine hochschwangere Frau schon vor langer Zeit getroffen: Vorräte an Wasser und Konserven stehen immer bereit, ebenso eine Tasche mit den wichtigsten Dokumenten und Medikamenten.

Und an diesem Schabbat bleibt auch das Handy aufgedreht – für den Fall, dass das Heimatfrontkommando via App Alarm schlägt. Denn die Schabbatruhe ist heilig, kennt aber eine Ausnahme: die Rettung aus Lebensgefahr. (Maria Sterkl aus Haifa, 12.4.2024)