Neben der iranischen Botschaft in Damaskus wurde ein Gebäude von einer Rakete getroffen. Dabei sollen auch iranische Generäle getötet worden sein.
AFP/LOUAI BESHARA

Im Nahen Osten droht die Situation weiter außer Kontrolle zu geraten: Im Gazastreifen wurde ein Hilfskonvoi getroffen, in Syrien starben vermutlich zwei iranische Generäle bei israelischen Angriffen, und Al Jazeera wird in Israel verboten. DER STANDARD versucht, die wichtigsten Fragen dazu zu beantworten.

Frage: Mindestens sieben Tote bei einer Hilfsaktion in Gaza: Nach einem mutmaßlichen Luftschlag auf Autos der NGO World Central Kitchen in Gaza ist die Empörung groß. Hat Israels Armee tatsächlich die Hilfsorganisation angegriffen?

Antwort: Videos zeigen ein ausgebranntes Auto und einen Wagen mit dem Logo der humanitären NGO World Central Kitchen mit einem Einschlagloch im Autodach. Die Autos begleiteten kurz nach Mitternacht eine Nahrungsmittellieferung bei Deir Al-Balah. Der Transport war laut der NGO mit dem israelischen Militär koordiniert. Israels Armee bezeichnet den Vorfall in einem Pressestatement als "tragischen Zwischenfall", den man einer "gründlichen Untersuchung auf höchster Ebene" zuführe. Premier Benjamin Netanjahu nannte den Vorfall "unbeabsichtigt und tragisch". Man habe "unbeabsichtigt Unschuldige getroffen – das passiert in Zeiten des Krieges".

Es ist nicht das erste Mal in diesem Gazakrieg, dass Zivilisten im Zuge von Hilfskonvois zu Tode kommen. Erstmals sind unter den Opfern aber auch ausländische Helfer – etwa aus den USA, Kanada, Großbritannien und Polen. Zusätzlich zu einer Debatte über mögliche Völkerrechtsverstöße sind daher auch diplomatische Verstimmungen mit den jeweiligen Herkunftsstaaten der humanitären Helfer zu erwarten.

In Reaktion auf den Angriff teilte die World Central Kitchen mit, die Arbeit in der Region werde vorerst pausiert. Wie und ob es weitergehen kann, ist unsicher. Die Regierung Zyperns, von wo aus die Hilfsschiffe starten, gab am Dienstag bekannt, dass Boote der World Central Kitchen mit 240 Tonnen Lebensmitteln für Gaza an Bord wieder umgedreht hätten.

Fotos zeigen ein großes Einschlagloch im Dach des Autos, auf dem das World-Central-Kitchen-Logo zu sehen ist.
AFP/-

Frage: Bei einer Explosion nahe der iranischen Botschaft in Damaskus wurden laut syrischen und iranischen Angaben zwei iranische Generäle, fünf Mitglieder der Revolutionsgarden (IRGC) sowie sechs syrische Staatsbürger getötet. Warum ist das relevant?

Antwort: Immer wieder greift Israel iranische Ziele in Syrien an. Bei dem Schlag in Damaskus am Montagnachmittag soll es sich jedoch gleich um zwei wichtige Köpfe und fünf weitere Mitglieder der Revolutionsgarden handeln. Unter anderem nennen iranische Quellen Mohammad Reza Zahedi, der als iranischer Top-Mann in Syrien gilt.

Frage: Iran und Syrien nannten sofort Israel als verantwortlich für den Schlag. Ist das gesichert?

Antwort: Dass Israel hinter dem konkreten Schlag steckt, ist wahrscheinlich, aber nicht objektivierbar. Israel kommentiert solche Schläge in der Regel nicht. Die "New York Times" nennt in einem aktuellen Bericht aber vier verschiedene verlässliche israelische Quellen, die bestätigen, dass Israel dahintersteckt. Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant sagte am Dienstag, Israel operiere "überall, jeden Tag, um zu verhindern, dass unsere Gegner stärker werden". Jeder im Nahen Osten, der das Land bedrohe, werde einen hohen Preis zahlen.

Ein Foto des 2020 bei einem US-Luftschlag getöteten iranischen Generals Ghassem Soleimani hängt vor jenem Gebäude neben der iranischen Botschaft in Damaskus, das Montag Ziel eines mutmaßlich israelischen Luftschlages wurde.
REUTERS/Firas Makdesi

Frage: Teheran droht nun mit "reziproken Handlungen". Womit muss man rechnen?

Antwort: Über einen Mangel an Optionen, was Racheakte gegenüber Israel betrifft, kann Teheran nicht klagen. Als wahrscheinlich gilt eine Kombination von Angriffen in mehreren Sphären: multiple Cyberattacken auf israelische Infrastruktur, Angriffe auf den israelischen Luftraum vom Libanon, aber auch vom Jemen aus, Attacken auf israelische diplomatische Vertretungen in der Welt – die israelischen Geheimdienste sind auf all diese Szenarien eingestellt. Israels Botschaften im Ausland wurden jedoch schon im Laufe des Gazakriegs mit zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Für besonderes Aufsehen sorgte, dass am Dienstag auch der geistliche Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, persönlich mit Vergeltung drohte.

Frage: Was bezweckt Israel mit solchen Schlägen, die eine weitere Eskalation in der Region nach sich ziehen könnten?

Antwort: Es geht um zwei Faktoren: Erstens antwortet Israel seinerseits auf eskalierende Schritte der Iran-treuen Milizen – so etwa einen Drohnenangriff in der südisraelischen Stadt Eilat. Auch an der Grenze zum Libanon häuften sich die Angriffe auf israelische Städte und Dörfer zuletzt wieder. Die Armee versucht, durch die Schläge ein Gleichgewicht der Abschreckung wiederherzustellen. Das erklärt aber wohl nur den Zeitpunkt der Attacke. Wahrscheinlich ist, dass der Schlag auch ganz unabhängig vom aktuellen Krieg stattgefunden hätte und auf Planungen zurückgeht, die vor dem 7. Oktober datieren. Das längerfristige Ziel der israelischen Iran-Strategie ist es, Teherans Infrastruktur personell zu schwächen. Der Schlag in Damaskus war eine Etappe auf diesem Weg.

Der Tod der 2022 von israelischen Soldaten erschossenen Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh sorgte für Untersuchungen auch innerhalb Israels.
APA/AFP/AHMAD GHARABLI

Frage: Auf Kritik stößt Israels Entscheidung, den TV-Sender Al Jazeera zu schließen. Was steckt dahinter?

Antwort: Israel beschuldigt Al Jazeera, Falschinformationen und Hetze im Gazakrieg zu veröffentlichen. Im Eilverfahren wurde daher ein Gesetz verabschiedet, das es der Regierung ermöglicht, per Erlass einen Sender mitsamt Sendeinfrastruktur zu schließen, wenn dessen Inhalte Israels Sicherheit zu gefährden drohen. Der Sender mit Hauptquartier in Katar ist auch für viele Palästinenser und israelische Araber eine wichtige Informationsquelle im Krieg, da er seinen Fokus auf palästinensische Opfer legt – die wiederum in der Berichterstattung der israelischen TV-Sender eine untergeordnete Rolle spielen. Das Gesetz wird auch von israelischen zivilgesellschaftlichen NGOs scharf kritisiert und als Teil demokratiefeindlicher Medienzensur gesehen. Anzunehmen ist, dass das Gesetz vor dem Obersten Gerichtshof landet – mit unklarem Ausgang. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 2.4.2024)