Das Problem ist bekannt, aber noch lange nicht umfassend gelöst. Die Medizin kennt hochpotente Wirkstoffe, um Infektionen zu bekämpfen oder Krebszellen zum Absterben zu bringen, aber die Medikamente, einmal geschluckt oder injiziert, können auch gesunde Körperzellen schädigen. Was aber, wenn man Wirkstoffe so transportieren könnte, dass sie genau dort – und nur dort – wirken würden, wo sie auch tatsächlich gebraucht werden?

Medikamente auf Tisch
Medikamente dort hinzubringen, wo sie hinsollen, ist gar nicht so einfach. Präzisionsmedizin versucht genau das.
AP/Elise Amendola

Um Medikamente präzise an jene Orte im Körper zu liefern, wo sie wirken sollen, arbeiten Forscherteams weltweit an neuen innovativen Ansätzen, die in der Fachsprache unter "Drug-Delivery-Systeme" zusammengefasst sind. "Die Grundideen sind dabei sehr ähnlich", sagt Sebastian Schwaminger vom Lehrstuhl für Medizinische Chemie an der Medizinischen Universität Graz: "Wirkstoffe können auf unterschiedlichste Transportsysteme aufgeladen werden, die den Wirkstoff dann von A nach B bringen."

Verschiedene Methoden

Gearbeitet wird mit unterschiedlichen Herangehensweisen. Zum einen können genetisch veränderte Viren als sogenannte Vektoren mit Wirkstoff beladen werden. Experimentiert wird auch mit Systemen, bei denen die Wirkstoffe in neu designte Lipidmoleküle eingeschmolzen sind. Und dann gibt es – gleichermaßen revolutionär und bekannt durch die Covid-19-Impfung – mRNA-Methoden: Dabei wird nur mehr der "Bauplan" verschickt, und die Zellen produzieren dann den Wirkstoff, oder wie bei der Impfung die Immunantwort, einfach selbst.

Die Grundprobleme, die bei allen Wirkstofflieferungen gelöst werden müssen, sind aber immer dieselben. Wie kann die Transporter-plus-Wirkstoff-Einheit erkennen, dass sie im Zielgebiet angelangt ist? Und wie kann der Wirkstoff dort und nur dort abgeladen werden, wo er wirken soll – etwa um ausschließlich Tumorzellen zu zerstören, aber gesunde Zellen nicht zu vergiften? Am Otto Loewi Forschungszentrum der Medizinischen Universität Graz testet Schwaminger nun einen neuen Ansatz, der für die punktgenaue Wirkstofflieferung ein spannendes Grundprinzip einsetzt: Magnetismus.

Sebastian Schwaminger von der Medizinischen Universität Graz
Sebastian Schwaminger forscht an der Medizinischen Universität Graz.
MedUni Graz

Der spannende Zugang ist dabei einfach und komplex zugleich. Da Eisenoxid magnetisch ist, kann man Wirkstoffe theoretisch auf kleine Eisenoxidpartikel ankleben, diese in die Blutbahn injizieren und dann von außen durch einen Elektromagneten punktgenau dort hinleiten, wo das Medikament gebraucht wird. Die magnetischen Teilchen würden dann das Medikament sich genau dort ansammeln lassen, wo es benötigt wird. Kann der Klebstoff noch dazu so konstruiert werden, dass er sich bei Erwärmung auflöst, hätte man ein neues Drug-Delivery-System.

Magnetische Nanoteilchen

"Wir verwenden für den Transport tatsächlich Nanopartikel von Magnetit, einem Eisenoxidmineral, das auch am Erzberg abgebaut wird", sagt Schwaminger. Die Nanoteilchen, die in einer schwarzen Suspension schwimmen, werden zuerst mit einer Schutzschicht aus Zuckermolekülen überzogen, wodurch man sich die Magnettransporter wie "Nano-Smarties" vorstellen könne, sagt Schwaminger. Auf diesen Nano-Smarties kann der Wirkstoff mit verschiedenen Methoden befestigt werden, etwa in einem "Imprinting-Verfahren". Dabei wird die Oberfläche der Nano-Smarties als Negativform der Wirkstoffmoleküle modelliert, ein chemisches Schlüssel-Schloss-Prinzip: "So kann nur der Wirkstoff an das Transportsystem andocken und sonst nichts."

Der Wirkstoff kann aber auch lose, umhüllt von anderen speziellen Schutzschichten auf den Nano-Smarties "verklebt" werden. Diese Polymere, die auch den Zweck erfüllen, den Wirkstoff während des Transports vor dem Immunsystem unsichtbar zu machen, reagieren auf Temperatur- oder pH-Wert-Veränderungen. "Vor allem in Tumorgewebe ist der pH-Wert oft in Richtung sauer verändert. Das kann man für die Medikamentenfreisetzung nutzen." Zudem können auf den Nano-Smarties auch noch funktionelle Oberflächenproteine der Zielregion mitgeführt werden. "Damit wird etwa Tumorgewebe erkannt, und das Transportsystem dockt funktional sofort am richtigen Ort an."

Für die Freisetzung wird dann ein besonderer magnetischer Effekt des "Superparamagnetismus" genutzt: "Im Normalzustand sind Magnetit-Nanopartikel unmagnetisch", sagt Schwaminger. "Sie sind zu klein, um nach außen wirkenden Magnetismus dauerhaft entwickeln zu können." Für den Transport in den Blutbahnen des Körpers sei das ein Vorteil, denn "damit treten auch keine störenden Interferenzen mit elektronischen Geräten, etwa Herzschrittmachern, auf." Erst wenn die Nanopartikel einem elektromagnetischen Feld ausgesetzt werden, werden sie magnetisch und beginnen sich in Wechselfeldern aufzuheizen. Die Erwärmung bringt dann aber auch genau jene Polymere, die den Wirkstoff an die Nano-Smarties klebten, dazu, sich aufzulösen. Der Wirkstoff wird also genau an jenem Ort, wo er benötigt wird, freigesetzt.

Präziser Transport

In-vitro- und Tierstudien zeigen, dass das Prinzip des magnetophoretischen Wirkstofftransports funktioniert. "In den besten Fällen können 95 bis 99 Prozent eines Wirkstoffs punktgenau freigesetzt werden", sagt Schwaminger. Probleme bereiten derzeit mitunter noch die Bindekapazitäten, das heißt, dass nicht der gesamte Wirkstoff an das Transportsystem bindet oder auch Teile davon unterwegs verloren gehen.

Studien am Menschen werden frühestens in fünf Jahren beginnen, prognostiziert Schwaminger. Erste Anwendungen könnten für die Behandlung spezifischer Blutkrebsarten entwickelt werden, aber auch für den verbesserten Medikamententransport zu Gehirntumoren. Schwaminger: "Der magnetische Effekt würde dabei gezielt genutzt werden, um die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden." (Norbert Regitnig-Tillian, 21.4.2024)