Auf der Eskalationsskala stehen die Ereignisse in der Nacht zum Sonntag ziemlich weit oben: Der Iran hat Israel direkt und auf israelischem Territorium angegriffen und nicht nur, wie üblich, seine Stellvertretermilizen aus dem Irak, Syrien und Jemen in Aktion gesetzt und deren Angriffe auf die besetzten Golanhöhen beschränkt. Der nächtliche iranische Vergeltungsschlag für einen israelischen Angriff auf Irans Botschaft in Damaskus am Ostermontag fiel mit etwa 350 Drohnen und Raketen dazu massiv aus. Die israelische Abwehr und jene von Israels Verbündeten in der Region waren jedoch gut vorbereitet.

Ein Mann hält ein Foto von Ghassem Soleimani hoch
Der Verlust Zahedis nach dem Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus war für die Iraner der gewichtigste Verlust, seitdem die USA am Flughafen Bagdad 2020 Ghassem Soleimani (im Bild auf dem Poster) töteten.
via REUTERS/Majid Asgaripour

Der relativ geringe Schaden ließe Israel die Möglichkeit offen, den Schlagabtausch kontrolliert zu beenden. Laut Kommunikation aus Teheran wäre das im Sinn des Regimes. Und es ist auch der Wunsch, den die Regierung in Washington und andere Verbündete an Israel kommunizieren. Nur ganz wenige radikale Kräfte in der Region haben Interesse an dem vielbeschworenen Flächenbrand. Vom Tisch ist er aber noch nicht. Dass sich auch arabische Staaten an der Abwehr des Iran beteiligt haben, könnte Israel die Entscheidung erleichtern, jetzt nicht mehr dramatisch weiter zu gehen. Es würde diese Unterstützung wieder verlieren.

Die USA hatten in den vergangenen Tagen auf diplomatischen Kanälen – etwa über den Oman – intensiv daran gearbeitet, die iranische Vergeltung für Israels Angriff auf ein iranisches Botschaftsgebäude in Damaskus am Ostermontag in einem Rahmen zu halten, der nicht in einen direkten offenen israelisch-iranischen Krieg mündet. Den Waffenstillstand im Gazastreifen, den Teheran für einen Verzicht forderte, konnten sie nicht liefern. Das – in diesem dramatischen Kontext – nächst-bestmögliche Szenario wurde jedoch auch nicht erreicht. So kam es zum ersten direkten iranischen Angriff auf israelisches Territorium seit dem Bestehen Israels.

Spott über Teheran

Die mediale Öffentlichkeit, die der geplante iranische Schlag gegen Israel in den vergangenen Tagen bekam, hatte die Wahrscheinlichkeit, dass er stattfindet, eher noch erhöht. Wenn man tagelang Rache schwört, wird man sie irgendwann üben. Was sich im "Westen", der die Mullahs in Teheran fürchtet, kaum jemand vorstellt: Der Iran und seine Klienten in der Region – etwa das Assad-Regime in Syrien, wo israelische Angriffe fast schon die Regel sind – laden seit Monaten in sozialen Medien Spott auf sich, weil sie einer großen Konfrontation mit Israel aus dem Weg gehen. Es war auch ein eklatantes Versagen der iranischen Aufklärung, dass sich gleich eine ganze Gruppe von hohen Revolutionsgarden an einem Ort in Damaskus versammelte: quasi auf einem Silbertablett für einen israelischen Angriff.

Auch das "Don't" von US-Präsident Joe Biden hatte eine zweischneidige Wirkung: Einerseits war es eine notwendige klare Deklaration und Warnung an Teheran, dass die USA bei einem iranischen Angriff Israel bedingungslos unterstützen würden. Andererseits setzte es die Radikalen, die seit Jahrzehnten in der iranischen Politik nicht mehr so viel Macht hatten wie derzeit, noch mehr in Rage – und das Regime unter Druck, etwas zu tun. Im Iran stehen die Pragmatiker alten Schlags gegen die Ideologen, für die die Auseinandersetzung mit Israel und den USA Staatsräson ist.

Irans Stellvertreter

Der Angriff Israels am Ostermontag auf ein iranisches Botschaftsgebäude in Damaskus, bei dem mindestens sieben Personen, darunter zwei hohe Generäle, getötet wurden, war der bisher spektakulärste, aber bei weitem nicht der einzige. Schon seit Dezember werden gezielt Angehörige der iranischen Revolutionsgarden getötet, auch zuvor war bereits ein wichtiger iranischer Kommandant in Syrien unter den Toten. Israel hat gezielt die mit der Organisation der iranischen Stellvertreterkräfte in der Region betrauten iranischen Offiziere ins Ziel genommen. Die Mitglieder der vom Iran so genannten "Achse des Widerstands" versuchen seit dem Beginn des Gazakriegs – nach dem Terrorüberfall aus dem Gazastreifen auf Israel am 7. Oktober – die Hamas zu entlasten, indem sie Israel, US-Militärziele oder, wie im Fall der Huthis im Jemen, die internationale Schifffahrt angreifen.

Mohammed Reza Zahedi, der in den Trümmern des niedergebombten Konsulats in Damaskus starb, war der einzige "Ausländer", der in der Shura saß, dem obersten Organ der libanesischen Hisbollah. Das ist ein guter Hinweis darauf, wen die Israelis, deren Täterschaft niemand ernsthaft bezweifelt, bei der Tötung Zahedis mitgemeint hatten. Die Hisbollah beschießt seit dem 7. Oktober den Norden Israels, der anfangs kontrolliert ablaufende Schlagabtausch mit Israel schaukelt sich immer wieder hoch. Die Hisbollah war auch in der Nacht zum Sonntag am Angriff beteiligt.

Zahedi war für die Iraner bestimmt der gewichtigste Verlust, seit am 3. Jänner 2020, noch während der Präsidentschaft von Donald Trump, die USA am Flughafen Bagdad Ghassem Soleimani und mit ihm Iran-loyale irakische Milizionäre töteten. Soleimani war das Gesicht des Al-Quds-Einheiten, der Auslandstruppen der Revolutionsgarden, schlechthin. Die damals drohende Eskalation zwischen Iran und USA wurde durch den Tod völlig unbeteiligter Opfer gestoppt: Im Glauben, es handle sich um einen US-Angriff, schoss die iranische Luftabwehr am 8. Jänner 2020 am Flughafen Teheran ein ukrainisches Passagierflugzeug ab. 178 Menschen starben. Hoffentlich braucht es diesmal solche Opfer nicht. (Gudrun Harrer 14.4.2024)