Generalstabschef Herzi Halevi (links) bei einem Treffen mit Armeeführern.
Generalstabschef Herzi Halevi (links) bei einem Treffen mit Armeeführern.
AFP/Israeli Army/-

Amina Al-Hassouni, sieben Jahre alt, schwebt in Lebensgefahr. Die Ärzte im Soroka-Krankenhaus in Be’er Scheva im Süden Israels kämpfen seit den frühen Morgenstunden am Sonntag um das Überleben des Mädchens aus dem Beduinendorf Al-Fora. Amina ist das einzige Opfer des schweren iranischen Angriffs auf Israel. Als gegen zwei Uhr morgens Raketensplitter auf Al-Fora herabfielen, wurde das Mädchen am Kopf schwer verletzt.

Für ihre Familie mag es daher zynisch klingen, wenn Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Attacke aus Teheran mit folgenden Worten kommentiert: "Wir haben sie abgefangen, wir haben sie gestoppt. Gemeinsam gewinnen wir." Anders als die meisten Israelis haben die Bewohner der Beduinendörfer keinerlei Zugang zu Luftschutzräumen. Wenn es Raketen hagelt, sind sie besonders in Gefahr. So war es am 7. Oktober, und so war es auch am Sonntag, als Israel zum ersten Mal direkte Angriffe aus dem Iran erlebte.

"Starkes Bündnis"

Mindestens 110 ballistische Raketen, 30 Marschflugkörper und 180 Drohnen: Das ist die Bilanz der intensiven Angriffe aus Teheran, die rund vier Stunden lang anhielten. Die allermeisten Raketen konnten schon vor Israels Grenzen abgewehrt werden, viele davon über syrischem Gebiet.

Brennpunkt der Angriffe war die Wüste Negev im Süden Israels, wo sich der Nukleartestreaktor Dimona befindet. Es ist der vereinten Luftabwehr des israelischen Militärs mit Unterstützung aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Jordanien zu verdanken, dass Schlimmeres verhindert wurde. Unbestätigten Angaben zufolge sollen sich auch Staaten, mit denen Israel keine diplomatischen Beziehungen pflegt, an dem Defensivbündnis beteiligt haben.

Einen Einschlag gab es zwar in der Militärbasis Nevatim im Süden, Armeesprecher Daniel Hagari spricht aber von einem "geringfügigen und unbedeutenden" Schaden. Von den Spitzen des israelischen Sicherheitsapparats war am Tag nach den Angriffen vor allem Positives zu hören. "Ein großer Erfolg" für Israels Streitkräfte war die Nacht, sagte Hagari Sonntagmorgen, eine "Kräfteschau eines starken Bündnisses". Zugleich behält sich Israel eine scharfe Reaktion vor. "110 ballistische Raketen – das ist ganz klar ein eskalierender Faktor", sagte Hagari.

APA, Der Standard

Teheran hatte verkündet, dass die Angriffsserie der vergangenen Nacht eine Antwort auf den mutmaßlichen israelischen Schlag auf ein Botschaftsgebäude in Damaskus sei – und dass man das Kapitel hiermit für beendet erkläre. "Glaube ich ihnen das? Die Antwort ist Nein", sagt Hagari. Die Sache sei noch nicht zu Ende. "Wir haben unsere Pläne, und wir legen sie dem Kabinett vor."

Der Ball liegt nun also bei Israels Regierung. Dort sprechen sich viele für einen direkten Angriff auf den Iran aus. US-Präsident Joe Biden erklärte in einem Telefonat mit Netanjahu aber, die USA würden Israel dabei nicht unter die Arme greifen. Damit ist eine direkte Reaktion mittels eines Gegenschlags auf den Iran fürs Erste wohl unrealistisch.

Was Irans Verbündete in der Nachbarschaft betrifft, hat Israel aber freie Hand und nützt sie auch. Das Militär griff am Sonntag Ziele im Norden des Libanons an – eine Reaktion auf über hundert Raketenangriffe der Hisbollah im Libanon in der Nacht auf Sonntag.

Plädoyer fürs Abwarten

In den Jubel über die gut abgestimmte Defensive Israels und seiner Verbündeten stimmt Tamir Hayman, Chef des israelischen Instituts für Strategische Sicherheitsstudien (INSS), nicht ein. Zwar sei die Abwehr ein "großer operativer Erfolg" für Geheimdienste und Luftabwehr gewesen. Aus strategischer Sicht sei aber einiges falsch gelaufen: "Israel und die USA haben darin versagt, den Iran abzuschrecken", sagt Hayman. Nun stelle Teheran mit Genugtuung fest, dass Israel nicht nur angegriffen worden sei, sondern auch von den USA im Fall eines Gegenangriffs alleingelassen werde.

Selbst die Tatsache, dass Israel rasche Unterstützung von mehreren ausländischen Militärs bekommen habe, habe einen Haken: Die Koalition mit anderen Staaten bewirke, dass Israel nun nicht mehr so viel Bewegungsfreiheit habe, was mögliche Gegenschläge betreffe. Hayman sieht die Notwendigkeit eines Schlags auf iranischem Boden, rät aber dazu, erst einmal abzuwarten: "Lassen wir die Gegenseite unter Ungewissheit leiden – der Zeitpunkt liegt in unseren Händen."

Sima Shine, frühere Mossad-Aufklärerin und heute Iran-Expertin des INSS, schließt sich an: "Besser abwarten und scharf nachdenken", empfiehlt sie dem Kriegskabinett unter Netanjahu. Dem bleibt angesichts der US-amerikanischen Deeskalationsstrategie wohl auch gar nichts anderes übrig. (Maria Sterkl, 14.4.2024)