Dass der Neusiedler See ein ganz besonderes Vogel-Eldorado ist, wurde bereits im 19. Jahrhundert erkannt. Anton Jukovits (1810 bis 1873), Pfarrer von Apetlon, war einer der frühen Pioniere. Er war "kein Zoologe vom Fach" und legte 1852 ein Verzeichnis von 110 Vögeln vor. Sieben Jahre später listete er 182 Arten. Es schien damals ein Leichtes gewesen zu sein, all die Vögel zu beobachten und zu zählen. "So lange das Wasser im Neusiedler See hoch stand, war das Gebiet meines Wohnortes Apetlon an Wasser-, Sumpf- und Strand-Vögel überreich, […] und ich konnte alljährig manches seltene Exemplar beobachten oder für meine Sammlung aquiriren." Interessant sind in dem Kontext auch die Ausführungen des Erstautors Michael Dvorak, der vom zunehmenden Interesse internationaler Ornithologen an der Region ab der Mitte des 20. Jahrhunderts schreibt. Vogelbeobachtungen oder Birdwatching waren hier, im weltpolitischen Grenzraum, hart an der Grenze zum Eisernen Vorhang, eine besondere Faszination. Schließlich war es auch die Vogelvielfalt, die gewichtige Argumente lieferte für diverse Unterschutzstellungen bis hin zum Unesco-Welterbegebiet (ab 2001).

Anatal Festetics' Blick aus der Vogelperspektive

Wer wäre berufener, das Geleitwort zu schreiben, als der renommierte Zoologe Antal Festetics, den viele persönliche Erinnerungen mit dem Neusiedler See verbinden? Er kannte und forschte mit Größen wie dem späteren Nobelpreisträger Konrad Lorenz (1903 bis 1989) und betrachtet es als Glück, Lorenz als "Fahrer etwa, Gänsefutterbesorger oder Aquarienreiniger" gedient zu haben. Festetics' Text ist ein Stück authentischer Wissenschaftsgeschichte. Er war, zusammen mit ungarischen Kollegen, federführend bei der Etablierung des Zweistaaten-Nationalparks Neusiedler See – Seewinkel beteiligt. Der ungarische Teil wurde 1991 realisiert, der österreichische zwei Jahre später. Rückblickend resümiert Festetics: "Es ist ein Nationalpark geworden, welcher der Vogelkunde oder scientia amabilis, der 'liebenswürdigen Wissenschaft', die Kulisse bietet, wie es dies sonst nirgendwo gibt."

Neusiedler See Badetourismus
Neusiedler See: Badetourismus, Unesco-Welterbegebiet und Vogelvielfalt schließen einander nicht aus.
© Hofmann

Der Blick ins Buch

Herausgeber des im Verlag des Naturhistorischen Museums von Wien erschienenen Buches ist Birdlife Österreich. Verfasst wurde das Großformat von einem achtköpfigen, österreichisch-ungarischen Autorenteam unter der Leitung von Michael Dvorak. Da auf den 624 Seiten nicht nur alle 371 Vogelarten beschrieben werden, sondern auch dem Lebensraum, dessen Entwicklung und Wandel breiter Raum gewidmet wird, ist das Buch mehr als "nur" ein Jahrhundertwerk auf dem Gebiet der Ornithologie im pannonischen Raum.

Das Herzstück des Buches ist das Artkapitel, beginnend ab Seite 128 bis Seite 588. Die Reihung der 371 Spezies erfolgt nach der World Bird List. Jeder Vogel ist mit deutschen, mit ungarischen, mit englischen und schließlich mit lateinischen Artnamen angeführt.

Konrad Lorenz hatte am 29. März 1936 aus dem Seewinkel ein Graugansgelege geholt, aus dem seine erste Graugans, Martina, schlüpfte. Nomenklatorisch, Anser anser (Linnaeus, 1758), Nyári lúd (auf Ungarisch) oder eben die Greylag Goose im Englischen. Nachzulesen auf Seiten 135ff. Jeder Vogel ist auch abgebildet mit einem Foto aus der Region, das mit Angaben zum Ort und Tag der Aufnahme versehen ist. Bei selten vorkommenden Vögeln war es eine große Herausforderung, diese vor die Kameralinse zu bekommen.

Buchseite Wiedehopf
Blick ins Buch: Der Wiedehopf als Bewohner des Neusiedler Sees.
© Verlag NHMW

Das Zugverhalten der Graugans

Angaben über Vorkommen, Verbreitung und Lebensraum, wie Bestand, jahreszeitliches Auftreten, Zugverhalten und Ringfunde bis hin zu Quellenangaben finden sich bei gut dokumentierten Arten als fix wiederkehrende Punkte. Tabellen und Grafiken belegen zeitliche Entwicklungen. Wurde die Graugans Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht als Brutvögel geführt, siedelten sich die Tiere, die im Schilfgürtel brüten, dann bald an. Im 21. Jahrhundert wird von rund 2.300 Paaren (2015) berichtet. Aufgrund von Vogelberingungen zeigt sich, dass viele Graugänse aus Tschechien, Polen und Ostdeutschland hier überwintern, während die Vögel des Neusiedler Seegebietes an slowenischen, kroatischen und serbischen Fischteichen oder in Norditalien registriert wurden. Einzelne heimische Graugänse bevorzugen als Zugvögel auch den Norden und suchen südböhmische oder südpolnische Fischteiche oder die Region rund um Berlin auf.

Ein Buch über den Storch aus Schweizer Sicht

Will man wissen, was es mit dem Storch rund um den Neusiedler See auf sich hat, dessen Horste auf zahlreichen Schornsteinen, vor allem in Rust zu finden sind, ist man mit den Angaben auf den Seiten 324 bis 328 gut informiert. Als Brutvogel ist er hier seit über hundert Jahren dokumentiert.

Eine Fülle an Wissen samt vieler Details über diesen faszinierenden Zugvogel finden sich in der Monografie "Der Weißstorch" des Schweizer Autors Lorenz Heer (Geschäftsführer von Pro Natura Bern). Er widmete 256 Seiten ausschließlich dem Weißstorch. Der 2,7 bis 4,6 Kilo schwere Zugvogel mit einer Flügelspannweite von rund zwei Metern fasziniert als Kulturfolger. "In der Nähe des Menschen fand er auf mit Schild bedeckten Häusern ideale Bedingungen für den Nestbau", so der Biologe Heer. Trotzdem starb der Storch 1949 in der Schweiz aus. Nach erfolgreichen Wiederansiedlungsmaßnahmen werden heute bei den Eidgenossen über 900 Brutpaare gezählt.

Insgesamt zehn reich bebilderte und im Layout sehr schön gestaltete Kapitel beleuchten den Storch aus jedem Blickwinkel. Nach Merkmalen, Verbreitung, Vorkommen und Bestandsentwicklung werden Lebensraum und Habitatansprüche beschrieben. Die weitere Reihung erfolgt chronologisch beginnend mit Horstbesetzung, Paarbildung, über Gelege, Jugendjahre, bis hin zum Zug der Störche und der Frage, ob die Nähe des Menschen ein Segen oder Fluch (ab Seite 203) ist. Final wird die Zukunft des eleganten Zugvogels beleuchtet, wobei auch die Auswirkungen des Klimawandels angesprochen werden.

Buchseite Klapperstorch
Blick ins Buch: Das Klappern des Storches wurde bereits von den Römern 50 vor Christus beschrieben.
© Haupt-Verlag

Faszinierende Fakten und Zahlen zum Klapperstorch

Störche mit Sendern liefern unglaubliche Daten. So gelangte ein Weißstorch in gut drei Wochen ohne Rasttage von Norddeutschland via Türkei, Syrien und Ägypten bis in den Süden des Tschad. Mit anderen Worten: täglich bis zu 400 Kilometer über die östliche Route. Alternativ wählen andere Störche die westliche Route über die iberische Halbinsel. Viele fliegen weiter bis nach Südafrika. So kommen Streckenlängen von über 13.000 Kilometer zusammen. Möglich sind derartige Distanzen durch das geschickte Ausnutzen der Thermik. Mit geeigneten Aufwinden schrauben sich Störche bis 4000 Meter in die Höhe, gleiten bis zur nächsten Aufwindzone, wo sie abermals die aufsteigende Luft nutzen.

Störche und Mülldeponien – ein ambivalentes Verhältnis

Wer hätte gedacht, dass Mülldeponien ein wichtiger Faktor für Störche sein können? In Spanien nisten mehr als die Hälfte der Störche in der Nähe offener Deponien und ziehen ihren Nachwuchs mit menschlichen Nahrungsresten auf; andererseits stellen die dortigen Plastikabfälle eine stete Bedrohung dar. Kein Wunder, dass der Mensch, sei es indirekt oder direkt durch Jagd (!), der größte Feind des eleganten Vogels ist. Wenn es um die Auswirkungen des Klimawandels geht, erweist sich der Storch als anpassungsfähig. Dies führt unter anderem dazu, dass es Störche gibt, die gar nicht mehr den weiten Flug in den Süden antreten und den (milden) Winter in Mitteleuropa verbringen. Betrachtet man den Bestand, ist er in Mitteleuropa stabil, während sich in Westeuropa die Storchpopulationen alle paar Jahre verdoppeln. Als Kulturfolger ist der Storch eng an den Menschen gebunden, die Erhaltung der Biodiversität ist jedenfalls eine wichtige Grundlage für das (Über-)Leben der Störche.

Fazit: Wer die Liebe zur Ornithologie noch nicht entdeckt hat, könnte nach Lektüre der Bücher zum Vogelliebhaber werden. Die Vielfalt der heimischen Vögel rund um den Neusiedler See fasziniert ebenso wie umfassende Darstellung des Storches, der zu den beliebtesten Vögeln gehört. (Thomas Hofmann, 10.5.2024)