Harmonisch ging es in der Harmoniegasse 10 im neunten Bezirk Wiens wohl schon seit längerem nicht mehr zu. Immerhin stehen hier seit vielen Jahren 13 der 16 Wohnungen in bester Lage leer – angeblich, weil bald saniert wird. Nur warten die Bewohnerinnen und Bewohner in dem Haus, in dem es immer noch Bleirohre gibt und in dem die WCs teils am Hausgang sind, darauf schon seit Jahrzehnten. Auch das Lokal im Erdgeschoß ist seit zwei Wochen geschlossen.

Die Harmoniegasse 10 ist Teil eines Ensembles von Otto Wagner.
Zoidl

Immer wieder sollen die leeren Wohnungen schon in der Vergangenheit unerlaubterweise von unterschiedlichen Menschen bewohnt worden sein. Nun ist die Besetzung hochoffiziell: Eine Gruppe junger Menschen hat in einigen Wohnungen seit einigen Tagen ihr Lager in dem Haus in bester Lage aufgeschlagen.

Aus den Fenstern wurden Transparente wie "Leerstand ist zum Speiben" und "Wir bleiben" ausgerollt. Damit wolle man auf das Leerstandproblem aufmerksam machen, verkündeten die Besetzerinnen und Besetzer – zehn bis 20 sind es laut Eigenangaben. Sie wurden auf das Haus durch Medienberichte in der Vergangenheit aufmerksam.

Am Montagmittag luden sie zu einer Versammlung vor dem Haus, zu der nicht nur Vertreterinnen der Stadt, sondern auch Anrainerinnen und Interessierte geladen waren und denen Mohnnudeln, Kirschkompott und Tee aufgetischt wurden. Sie durften auf Plakate schreiben, was sie sich von ihrem Grätzel erwarten. Dafür wurden Holztische auf der Straße aufgestellt und zwei Sessel zu Thronen ausstaffiert – einer für die Eigentümerin des Hauses, eine Stiftung, einer für die MA 40, die aber beide leer blieben.

Kein Kapital

Der Hintergrund: Das Haus gehört der Anfang des 20. Jahrhunderts gegründeten "Dr. Eduard Kaufmann'schen Armenstiftung", die sich laut Stiftungszweck um hilfsbedürftige Familien an der Armutsgrenze kümmern sollte. Die Stiftungsverwaltung liegt seit 20 Jahren bei der Magistratsabteilung 40 der Stadt Wien. Das Problem solcher Stiftungen: Diese hätten in der Regel nur ein einziges Haus und kein Kapital, erklärt ein Sprecher des zuständigen Stadtrats Peter Hacker (SPÖ); so wie auch in der Harmoniegasse 10, wo die notwendige Sanierung aus finanziellen Gründen nicht machbar sei.

Daher werde aktuell an einer Lösung gearbeitet. Der Plan sei eine Baurechtskonstruktion, weil man daran auch bestimmte Bedingungen – etwa einen gewissen Anteil an leistbarem Wohnraum – knüpfen und damit jährliche Einnahmen generieren könnte, die wiederum in den Stiftungszweck fließen würden. Ein Verkauf an die Stadt sei hingegen keine Option, "als Stiftungsverwaltung würden wir mit uns selbst verhandeln", und auch eine Übernahme der Sanierungskosten sei nicht möglich.

Die Wiener Grünen fordern, die Harmoniegasse 10 und alle weiteren Stiftungshäuser im Einflussbereich der öffentlichen Hand zu behalten. Insgesamt gibt es in Wien 29 Häuser mit 447 Wohnungen, die sozialen Stiftungen gehören und von der MA 40 verwaltet werden. 14 Stiftungshäuser seien in der Vergangenheit bereits verkauft worden, wie aus einer Anfrage der Grünen an Stadtrat Hacker im Herbst hervorging.

Die Harmoniegasse 10 könnte nach Vorstellung der Grünen etwa von Wiener Wohnen gekauft und in Gemeindewohnungen umgewandelt werden. Eine weitere Variante sei, dass das Gebäude vom Fonds Soziales Wien gekauft wird und freie Wohnungen für Housing First verwendet werden, also einst wohnungslosen Menschen zur Verfügung gestellt werden.

Ausgang offen

Die Besetzerinnen und Besetzer hoffen indes, dass sie bleiben dürfen. Einige der Wohnungen seien durchaus sofort bewohnbar, erzählt eine Besetzerin, während sie durch eine Wohnung mit grünem Teppichboden im Eingangsbereich, altem Parkettboden, Ikea-Lampenschirmen und kringeligen Tapeten an der Wand führt.

Und weil weder Stadt noch Stiftung aktiv würden, werde man nun selbst tätig: "Wir haben schon angefangen mit Renovierungs- und Aufräumarbeiten", berichtete sie, die Rückmeldungen der Nachbarschaft seien positiv. Eine Nachbarin habe für das Buffet auf der Straße sogar bereits eine Roulade vorbeigebracht. Als Initiative betrachtet man sich in der Harmoniegasse 10 aber nicht, erklärt die Besetzerin, "wir sehen die Notwendigkeit der Belebung des Leerstands – politisch und persönlich".

Wie es mit der Besetzung weitergeht, ist offen. "Das muss die Stiftung entscheiden", heißt es vonseiten der Stadt. (Franziska Zoidl, 22.4.2024)