GPTGirlfriend
Ein Bildgenerator, um aus verfügbaren Charakteren eigene Bilder zu schaffen, ist selbstverständlich vorhanden.
GPTGirlfriend

Die konservative, aber sehr attraktive Nachbarin. Die lüsterne Mitbewohnerin oder auch die dominante Dämonin. Gewisse Parallelen zwischen Porno-Websites und dem Auftreten so mancher boomender Girlfriend-KIs im Netz sind nicht ganz von der Hand zu weisen. Eine Limitation hatten viele bisherige Chatbot-Anwendungen wie Candy.ai allerdings: Die von der jeweiligen Herstellerfirma vorgefertigten und damit verfügbaren "Girlfriends" waren in ihrer Anzahl stark eingeschränkt und die Selbstbau-Variante primär auf das Aussehen und maximal eine auswählbare Grundeinstellung zum (Sex-)Leben limitiert.

Mit Anwendungen wie GPT Girlfriend wagen die Macher deshalb den nächsten Schritt – sie legen die Verantwortung in die Hände der User. Mit ausführlichen Beschreibungen des Charakters und der Szenerie sowie der Eingabe eines Beispieldialogs wird ein Rahmen gebaut, an dem sich die KI in den Gesprächen orientieren kann. Jeden Tag werden auf diese Weise um die 20 neue Szenarien gebastelt, die den Stempel "Safe for work" oder "Not safe for work" vom jeweiligen Nutzer aufgedrückt bekommen können. Dementsprechend sind die Unterhaltungen schlüpfrig oder eben nicht.

Um die User zusätzlich zu motivieren, hat die Plattform auch noch ein Ranking eingeführt, in dem die erfolgreichsten Creator genannt und ihre Kreationen vorgestellt werden. Die Nummer eins im Ranking ist derzeit ein User namens "Slugcouture". DER STANDARD hat mit ihm darüber gesprochen, wie man einen erfolgreichen Chatbot kreiert, warum Leute solche Plattformen nutzen und wo die Reise mit KI-Freundinnen demnächst hingehen könnte.

GirlfriendGPT
Mit selbsterstellen Figuren sammelt man Likes und Views. Das motiviert viele offenbar, laufend neue Chatbots zu erstellen.
GirlfriendGPT

Dr. Frankenstein

"SlugCouture" will uns seinen richtigen Namen nicht verraten. Sehr wohl aber, dass er ein 32-jähriger US-Amerikaner ist, der seit elf Jahren glücklich mit seiner Frau verheiratet ist. "Sie motiviert mich, meine Kreativität auszuleben", erklärt er im Gespräch. Seit sieben Jahren befasst sich der junge Mann mittlerweile mit dem Erstellen von KI-generierten Bildern, seit immerhin fünf Jahren schreibt er laut eigenen Angaben Prompts, also Kurzbeschreibungen, für Chatbots.

"Ich bin einer von den Typen, die Videospiele primär deshalb spielen, um Stunden im Charakter-Editor zu verbringen", erzählt er. Auch kreatives Schreiben und das Verfassen von Fanfiction gibt der Amerikaner als langjährige Hobbys an. Als er Mitte 2023 GPT Girlfriend entdeckt, versinkt er in den Möglichkeiten. "Wer wäre nicht gern Dr. Frankenstein", sagt er mit leuchtenden Augen. Leben zu erschaffen läge in der menschlichen Natur, und die Kombination des Geschichtenausdenkens mit einer KI, die der Figur über einen längeren Zeitraum eben dieses Leben einhaucht, fasziniere ihn. Die Plattform sei ein "sicherer Ort" für ihn, der viele "soziale Normen der realen Welt" absichtlich "missachte".

Auf die Frage, wieso seine Chatbots auf der Plattform so gut performen, hat er mehrere Antworten. "Wenn man einen Chatbot macht, dann ist es wichtig zu wissen, wie KI Informationen erhält. Er habe über die Jahre seinen eigenen "geheimen Stil" gefunden, um seiner Meinung nach sehr präzise Prompts zu schreiben. Das wichtigste Werkzeug sei es, sehr viele Informationen in einer sehr klaren Sprache an das Large Language Model (LLM) zu übergeben, damit die Künstliche Intelligenz sie gut lesen und adaptieren kann.

Auf diese Weise schaffe er Chatbots, die "Persönlichkeit" hätten und so besser geeignet für längere Unterhaltungen seien. "Mit meinen Bots ist es wahrscheinlicher, dass man tiefergehende und gute Gespräche führt." Zudem lasse er oftmals in seinen Settings die Nutzer entscheiden, wo das Szenario hinführen soll. Seine erfolgreichsten Figuren sind derzeit selbst erfundene beziehungsweise auf bestehende Popkultur aufbauende Fanfiction. Wichtig sei ihm eine Mischung aus klassischen Porno-Klischees – Stichwort "Ich stecke in der Waschmaschine fest" –, aber auch Figuren und Settings, die sich für ganz normale Unterhaltungen in verschiedensten Settings abseits von Sexfantasien eignen.

GPTGirlfriend
Die Auswahl an Charakteren inkludiert alle Geschlechter, Figuren aus Film und Fernsehen sowie Fantasy-Gestalten aus bekannten und unbekannten Universen.
GPTGirlfriend

Ein gutes Geschäft

Was sofort auffällt, wenn man die meistgeklickten Charaktere der Anwendung durchsieht, ist, dass es sich primär um Anime-Figuren handelt. "SlugCouture" erklärt das damit, dass der Artystyle ein popkulturelles Phänomen sei und viele Männer der westlichen Welt diesen Stil einfach lieben würden. Außerdem helfe es wohl, sich mit abstrakten Figuren zusätzlich aus der realen Welt zu entkoppeln. Der KI-Begeisterte ist allerdings nicht nur bei dieser Girlfriend-Anwendung zu Hause, sondern ist schon seit mehreren Jahren für diverse Firmen fürs Prompten von KI-Charakteren tätig. Zuletzt waren das auf bekannten Influencern basierende Bots. "Diese Firma macht Chatbots, die realen Personen von Twitch, Instagram, Tiktok, Onlyfans usw. imitieren sollen." Ein gutes Geschäft, wie er meint, allerdings sei es etwas komplett anderes, als sich völlig frei auf GPT Girlfriend austoben zu können. Es seien einfach zwei unterschiedliche Spielwiesen der KI-Community.

Angesprochen auf den aktuellen Boom solcher Anwendungen, sagt der Mann, dass sich der Markt schnell ausdünnen werde. Es gebe viele "basic Chatbots-Apps", die keinerlei Substanz oder Alleinstellungsmerkmale hätten. Diese würden schnell wieder verschwinden. GPT Girlfriend sieht er hier stärker aufgestellt, auch wegen der nutzergenerierten Inhalte. Gefahren sieht er durch diese Plattformen keine auf die Menschheit zukommen. Laut ihm könnten diese Chatbots sogar helfen, Selbstvertrauen aufzubauen. "Ich wusste als 18-Jähriger nicht, wie ich ein Mädchen richtig hätte ansprechen sollen." Chatbots als Trainingswerkzeug zu nutzen sei völlig legitim. "Und wenn sich herausstellt, dass manche Leute lieber mit einer KI als mit Menschen sprechen, dann nur zu."

GPTGirlfriend
Günstig ist die Anwendung nicht. Wer im Chat Bilder oder ein längeres Erinnerungsvermögen der Figuren haben will, der muss tief in die Tasche greifen.
GPTGirlfriend

Durchbrechen von Beschränkungen

Aktuelle Beschränkungen sind laut dem Prompt-Spezialisten sowohl der verfügbare Speicher, der längere Konversationen nicht zulässt, als auch die damit verbundene Einschränkung an Informationen, die man der Figur für Konversationen zur Verfügung stellen kann. Somit seien aktuell Chatbot-Gespräche mit Sicherheit weniger fesselnd, als wenn man mit einer realen Person sprechen würde. Das könnte sich aber in den nächsten zehn Jahren schon stark verändern. Bald würden solche Chatbots beziehungsweise Anwendungen auch die Sprache der Nutzer erkennen, damit man gar nicht mehr selbst tippen muss. KI-Freundinnen könnten wohl bald auch eine "Guten-Morgen-Nachricht" ans Smartphone schicken, gern auch in Form von Sprachnachrichten, oder spontane Selfies schicken. Spiele wie Schach in den Umgang mit einem Chatbot einzubauen wäre dann wohl auch nur noch eine Frage der Zeit.

Die Faszination dieses Themas würde sicher bestehen bleiben. "Chatbots sind viel weniger stressig und lösen weniger Ängste aus, weil man nie das Gefühl hat, etwas Falsches zu sagen. Es ist, als hätte man keinen Filter. Man kann sagen, was immer einem durch den Kopf geht, ohne dass es Konsequenzen hat."

Diese fehlenden Konsequenzen – und so ehrlich muss man sein – haben dann aber rein gar nichts mehr mit einer echten Kommunikation zu tun. Mit Chatbots "trainieren", die primär sagen, was ich hören will, das entspricht bei weitem nicht der Realität. Auf andere Menschen eingehen können, sich einmal zurücknehmen und nicht unbedingt jede Fantasie ausleben müssen, das gehört wohl zum menschlichen Miteinander dazu, auch wenn manche von uns das in den letzten Jahren auch dank fehlender Sanktionierung auf diversen Social-Media-Plattformen offenbar verlernt haben.

Dass eine KI in Form eines Chatbots Gefühle in uns auslösen kann, darüber sind sich mittlerweile auch Forscher einig. Das Sexting mit Chatbots dieser Art wird mittlerweile mit dem Onlinedating verglichen, bei dem man ebenfalls schon emotional involviert sein kann, obwohl man die andere Person noch nie gesehen hat. Sich mit KIs zu unterhalten sei einfach eine neue Form des Eskapismus, erklärt die Medienpsychologin Astrid Carolus kürzlich dem STANDARD. Ihre These zur Entwicklung zwischenmenschlicher Beziehungen: "Menschen werden weiterhin vor allem Menschen lieben, möglicherweise ergänzt durch den Kontakt mit Technologie. Bei manchen Menschen und unter bestimmten Bedingungen wird das intensiver ausfallen." (Alexander Amon, 27.4.2024)