Blick in eine Maturaklasse, die gerade die Aufgabenhefte ausgeteilt bekommt
In den standardisierten Prüfungsgebieten finden die schriftlichen Klausuren heuer zwischen 2. und 16. Mai statt. Zum Schluss sind dieses Mal Latein und Griechisch dran.
Daniel Scharinger / picturedesk.

Um 8.30 Uhr wird das Siegel am Donnerstag gebrochen, die Kuverts, in denen die Aufgabenhefte für die schriftliche Maturaklausur in Deutsch an einem geheimen Ort in der Schule aufbewahrt waren, werden geöffnet – und die Uhr läuft. Fünf Stunden haben die Kandidatinnen und Kandidaten für die Aufgaben Zeit. Für Georg Hinterdorfer ist es ungefähr die 35. Matura – und seine letzte. Denn der AHS-Lehrer, der am Bundesoberstufenrealgymnasium Perg in Oberösterreich unterrichtet, geht nach fast 40 Jahren in Pension. Es ist sein finaler Schülerjahrgang, den er zur Reifeprüfung begleitet.

Sie wird immer wieder einmal als abschaffungswürdig erklärt, zuletzt vor einem halben Jahr von der SPÖ Wien. Was sagen die direkt Betroffenen dazu, was Fachleute und die politischen Parteien (siehe Infokasten unten)? Spoiler: Die Matura, die "Reifeprüfung", wird es noch länger geben. Die Frage ist eher, in welcher konkreten Form.

Stress hat man später auch

Hinterdorfer kennt die Aufregung, ja, manchmal auch Angst der Jugendlichen davor – und den Stolz danach. Der Lehrer ist gegen eine Abschaffung: "Eine große Prüfung am Ende einer höheren Schule hat auch eine Funktion für ein Studium, wo man auch größere Stoffmengen bewältigen muss. Die mündliche Prüfung vor der Kommission hat fast festlichen Charakter, man kann zeigen, was man kann. Natürlich ist es eine Stresssituation, aber das hat man später auch. Schule kann nicht so eine geschützte Werkstätte sein, aus der man alles fernhält." Für seine Deutschklasse ist er zuversichtlich: "Die können das schon."

Wie viele Schülerinnen und Schüler tatsächlich bei der Matura antreten, kann im Vorhinein nicht gesagt werden. Für das heurige Auftaktfach Deutsch, das einzige Fach, in dem die schriftliche Klausur für alle Maturierenden Pflicht ist, wurden jedenfalls insgesamt 41.290 Aufgabenhefte bestellt – 19.765 von Gymnasien, 21.525 gingen an Berufsbildende Höhere Schulen (BHS, HTL, HAK, Bafep). Fünf Tage später geht es am 7. Mai mit Mathematik weiter, dafür bestellten die Schulen insgesamt 40.229 Aufgabenhefte. Die Schülerinnen und Schüler an den Bundesbildungsanstalten für Elementarpädagogik (Bafep) können schriftlich zwischen Mathematik und Englisch wählen, die dritte Klausur muss in Pädagogik oder Didaktik geschrieben werden.

Konträre Positionen

Für die ÖVP-nahe Schülerunion, die in der Bundesschülervertretung 27 der 29 Sitze hält und seit 20 Jahren den Bundesschulsprecher stellt, ist das im Prinzip so okay. Bundesobfrau Charlotte Stütz hält eine Abschaffung "nicht für sinnvoll", zumal sie eine Grundvoraussetzung für viele Berufswege sei: "Umso essenzieller ist es, dass sie gerecht, am Puls der Zeit und von Schüler:innen mitgestaltet wird."

Konträr die Position der AKS. Die SPÖ-nahe Aktion kritischer Schüler_innen bekräftigt auf STANDARD-Anfrage, dass sie seit Jahren ein Ende für die Matura fordere, weil sie in ihrer jetzigen Form "zu starrem Auswendiglernen" führe, nur eine Tagesverfassung abprüfe, Leistungsdruck und psychische Belastung verstärke. Man müsse "alternative Konzepte, die statt der Maturaprüfungen einen Schulabschluss markieren können", diskutieren, etwa eine wissenschaftliche Arbeit, die in einem Prüfungsgespräch präsentiert werden solle.

Da ist wenig bis null Schnittmenge mit der Position des amtierenden Bildungsministers. Martin Polaschek (ÖVP) betont, dass am "Konzept Matura" festgehalten werden müsse. Ein Aus für Ziffernnoten kommt für ihn sowieso nicht infrage.

Altes Ritual, neue Flexibilität

Auch Fachleute wie Bildungspsychologin Christiane Spiel und IHS-Bildungsforscher Martin Unger sind für den Erhalt der Reifeprüfung. Ein "ritualisierter Abschluss" am Ende der Schulzeit sei wichtig, sagt Spiel. "Die Matura symbolisiert den Abschluss eines großen Lebensabschnitts. Man hat mit ihr ein Zertifikat, dass man etwas geschafft hat", erklärt Unger – wenngleich sie als Studienberechtigung, die die "Hochschulreife" bestätigen soll, an Gewicht verloren habe. Mittlerweile müssen mehr als die Hälfte aller Studienanfänger durch ein Aufnahmeverfahren.

Unger arbeitet gerade mit IHS-Kolleginnen an der Maturierendenbefragung 2024, für die soeben 40 Kandidatinnen und Kandidaten interviewt wurden: "Die erzählen, dass sie komplett im Tunnelblick sind und alles auf die Matura ausgerichtet ist. Sie sehen sich stark unter Druck gesetzt, auch weil sich viele viel zu wenig informiert fühlen, was danach kommt oder möglich ist."

Schule flexibilisieren

Daher müsse aus dieser Schnittstelle, hier Schule, da Hochschule, eine Nahtstelle werden, ein besser vorbereiteter und geführter Übergang vom Schul- ins Arbeits- oder Studierendenleben, sagt auch Spiel. In welcher Weise? Was wäre zu tun?

IHS-Experte Unger plädiert für "eine Flexibilisierung der Schule am Ende mit viel mehr Wahlmöglichkeiten in den letzten zwei Jahren", dass also Schwerpunktfächer gewählt und andere vielleicht sogar gekappt werden können. Bildungspsychologin Spiel rät zu einer "Differenzierung zwischen ,Pflicht‘ und ,Kür‘", also Wissen und Kompetenzen, die möglichst alle erwerben sollen (aus entrümpelten Lehrplänen!), und Vertiefung in jenen Bereichen, wo die Schülerinnen und Schüler besondere Begabungen und Interessen haben – und das auch mit Blick auf das Danach und idealerweise in Kooperation mit den Hochschulen. Damit könnte eine Brücke gebildet werden zwischen den Anforderungen in einer Studienrichtung und den dafür erforderlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler. (Lisa Nimmervoll, 2.5.2024)