Cassini, Art, Vienna, Homestory
Im Schlafzimmer von Theres Cassini und ihrem Mann Franz Josef Schaudy bevölkern zahlreiche schwebende Wesen den Plafond des Raumes.
Katharina Gossow

Leider zu spät. Als man die Terrasse von Theres Cassini mit Aussicht auf das Affenhaus betritt, haben die Orang-Utans und Gibbons bereits ihre Morgengymnastik erledigt. Nicht einer von ihnen lässt sich blicken. Wahrscheinlich sind sie mittlerweile beim Frühstück.

Die zwei Maine-Coon-Katzen der Künstlerin, sie heißen Nelly und Malewitsch, waren wie an vielen Morgen live vom Balkon aus dabei. Ausnahmen gibt es nur, wenn es stürmt oder schneit, da sind die beiden Fellriesen eher nicht hinterm Ofen hervorzubringen.

Cassini schätzt die Nähe zum Zoo. Manchmal würden die Elefanten mitten in der Nacht durchs Dunkel trompeten oder ein Löwe brüllen und der Wind, der trage mitunter ländlichen Geruch in die Wohnung. "Ein schönes Gefühl", sagt die Künstlerin mit Kärntner Wurzeln. Doch derart tierisch geht es nicht weiter, beim Besuch in der 150-Quadratmeter-Wohnung, wo Cassini mit ihrem Mann, dem Psychologen Franz Josef Schaudy zur Miete wohnt. Dafür sehr künstlerisch.

Cassini, Art, Vienna, Homestory
Es fliegt, es fliegt, es fliegt! Kaum ein Fleck der Plafonds kommt ohne die biomorphen Mobile-artigen Fabelwesen, Objekte Cassinis, aus.
Katharina Gossow

Überall in der Wohnung ist man von Kunstwerken aus eigener Feder umgeben. Gewissermaßen hüllen sie einen ein. In zahlreichen kleinen Wunderkammern hat die Künstlerin interessante Stelldicheins arrangiert. Barbies aus verschiedensten Dekaden treffen auf andere Puppen, auch auf Möbelminiaturen wie Hoffmanns Sitzmaschine, den Panton-Chair, Cleopatrafiguren oder einen kleinen Hai, dem ein Büschel Geld zwischen den Zähnen steckt. Die Arrangements erinnern an künstlerische Puppenstuben, an Miniaturwelten im Maßstab 1:6, die Titel wie "süße Lust" tragen und teilweise hinter Schiebewänden versteckt liegen. Cassini geht es bei diesem Kleinkosmos um Assoziationsspiralen, unter anderem zusammengesetzt aus Symbolen der Kunstgeschichte.

Abgeschleckte Teller

Zu sehen sind ferner Motive von eingefrorenen Blüten auf hinterleuchtetem Plexiglas. Auch 120 Porträts von Menschen, die Glasteller abschlecken, gehören zur Privatausstellung im Hause Cassini. Genannt werden diese "Schleck-Shot-Portraits". Es ist schon gut gefüllt in dieser im wahrsten Sinn zauberhaften Wohnung, aber nicht chaotisch oder beengend. Alles scheint seinen wohlüberlegten Platz gefunden zu haben. Dennoch: Ein White Cube sieht anders aus. Aber wer möchte schon in einem solchen hausen?

Auch die Plafonds auf 3,8 Metern Höhe sind übersät von kinetischen Kunstwerken aus der Feder der Künstlerin. Wie bunte Wolken bewegen sich die an Fabelwesen erinnernden Skulpturen von sanften Luftzügen angeschubst um die eigene Achse. Alles scheint in Bewegung, und diese, sagt Cassini, "greift durchaus in die Wahrnehmung eines Raumes ein".

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Die Küche mit einer Wochenration Obst der beiden Bewohner im Hintergrund.
Katharina Gossow

Selbst über den Zimmerdecken ist noch lange nicht Schluss mit Kunst, hat doch die 2014 verstorbene Malerin Maria Lassnig unter anderem dort oben gewohnt. Ob Cassini das beschäftigt? "Ja, man spürt einfach etwas Energetisches und ich mag die Geschichte zweier alter Damen, die Lassnig bei Starkregen halfen, Kübel unter undichte Stellen im Dach zu stellen". Apropos früher: Einst sei die Wohnung Cassinis eine Einheit mit der danebenliegenden gewesen. Von einem Bombenschaden, der dem Haus zusetzte, weiß Cassini ebenfalls zu berichten.

Cassini und Schaudy sind während der Pandemie hier eingezogen. Der Sinn stand ihnen, wie vielen Menschen während dieser Zeit, nach mehr Grün. Von dem gibt es hier mannigfaltig. Egal ob es sich um die Aussicht auf den Tiergarten oder den Wienerwald handelt, den kleineren Balkon mit Blick auf das Affenhaus oder die 40-Quadratmeter-Terrasse auf der anderen Seite der Wohnung, wo allerlei in erster Blüte steht. Ein kleines Paradiesgärtchen in der Stadt, könnte man sagen.

Cassini, Art, Vienna, Homestory
Eine der beiden Terrassen, auf der die Künstlerin gartelt und beobachtet.
Katharina Gossow

Kleine Inventarliste gefällig? Ribisel, Beeren, Ranunkeln, eine Vielzahl von Kräutern, ein blühender Cerzisbaum, ein chinesischer Schlafbaum und einige florale Spezialitäten mehr. Das Ganze wird von einem Netz umspannt, sodass Nelly und Malewitsch nicht ausbüchsen können. Das Netz verleiht der Veranda die Aura eines durchsichtigen Würfels. Cassini mag das. Sagt sie. Im großen, ebenerdigen Garten unter der Terrasse wachsen unter anderem Apfel-, Kirsch- und Feigenbäume. "Einen Samen in die Erde legen, das Keimen und Heranwachsen beobachten. Dies zu fotografieren und zu dokumentieren, all das schafft mir Freiraum im Kopf", sagt Theres Cassini, die auch über viele Jahre ein Mooslabor pflegte.

Raumtechnisch fließt die Wohnung ineinander und aus der Vogelperspektive bildet der Grundriss, salopp formuliert, die Form eines riesigen Hammers mit zwei Köpfen. Auf der einen Seite liegen ein beachtlich lichtdurchflutetes Wohnzimmer, das gleichzeitig als Esszimmer und Atelier dient, sowie eine würfelförmige Küche mit derart viel Obst, dass man sich an einem herausgeputzten Stand des Naschmarkts wähnt. Daneben liegen ein schlichtes, einladendes Badezimmer und eine Garderobe, von der aus man den schmalen Flur zum anderen Ende des "Hammers" durchschreitet. An dessen Decke hängen zahlreiche, riesige textile Gurken, ein kleines Meer, ein Schwarm aus grünen Wolken.

Ein Schwarm von gurkenartigen textilen Objekten hängt über dem langen Flur, der die beiden Seiten der 150-Quadratmeter-Wohnung miteinander verbindet.
Katharina Gossow

Am Ende des Durchgangs betritt man den schlichten, sehr symmetrisch wirkenden Coaching-Raum von Josef Schaudy samt zwei Möbelklassikern von Robert Oerley, einem Entwurf aus dem Jahre 1912. An diesen Raum schließt das Schlafzimmer an, in dem abends gegenseitig vorgelesen wird. Auch hier wird die Decke von altrosafarbenen Wolkenwesen bevölkert. Darüber liegt eine zauberhafte kleine Mansarde, die als Gästezimmer dient. Von hier aus hat man einen Blick bis weit in den Wienerwald.

Ihr Zuhause betrachtet die Künstlerin als eine Einheit aus Arbeiten und Wohnen. Zweiteres vergleicht sie mit einer Art Reise, weshalb das Paar auch selten auf echte Reisen gehe. Ob es ein Lieblingsreiseziel gäbe? Zurzeit beschäftigt sie sich sehr intensiv mit dem Werkstoff Glas, also wird die Wohnung ein Stück weit zur gläsernen Welt, in der sie von einem Glasbläser auf Murano schwärmt.

Auch Möbel und Design liegen Theres Cassini am Herzen, zu finden sind Klassiker aus Bugholz ebenso wie modernere Stücke. Wie beim Wohnbereich schätzt sie die Ausgewogenheit zwischen Praktikabilität und Ästhetik.

Ein Einblick in das Wohn- und Esszimmer, das auch das Zeug zur wohnlichen Galerie hat. Generell sieht Cassini die Wohnung als Einheit aus Wohnen und Arbeiten.
Katharina Gossow

Im Wohnzimmer steht ein ehemaliger Leuchttisch, unter dessen Glasplatte zahlreiche Mineralien arrangiert wurden. Zu sehen sind sie durch einen ovalen Ausschnitt einer Tischdecke. Der ebenfalls gläserne Tisch auf der großen Terrasse diente einst einem befreundeten Kunsthistoriker als Arbeitstisch, an dem dieser unter anderem eine Trilogie zu Marcel Duchamp verfasst hat. Als "unverzichtbares Möbelstück" – und das wird angesichts der Plafond-Ornamentik schnell nachvollziehbar – bezeichnet die Künstlerin eine hohe Alu-Leiter, die sie im Zusammenhang mit den schwebenden Objekten sehr liebgewonnen hat.

Cassini, Art, Vienna, Homestory
Eines der wichtigsten Objekte im Hause Cassini: die Leiter. Die Objekte an der Decke werden immer wieder von sanften Luftzügen angeschubst. Die Künstlerin sagt, diese Bewegung greife in die Wahrnehmung des Raumes ein.
Katharina Gossow

Auch ein Sofa der berühmten Designerin Eileen Gray haben sich Cassini und Schaudy nachbauen lassen. Es dient als Raumteiler, Ablage und Archiv ebenso wie als Entspannungsinsel. Die Polsterung stammt von Cassinis Vater, der Tapeziermeister war.

"Ich mag es einfach, wenn Dinge ihre Geschichten erzählen", erklärt Cassini. Mit einem ganzen Rucksack neuer Bilder und Geschichten verlässt auch der Besucher das noble Haus. Wieder auf der Gasse angekommen, blickt er rüber zum Haus der Affen. Die scheinen gerade Mittagspause zu haben. (RONDO Exklusiv, Michael Hausenblas, 2.5.2024)