Mama mit Baby
Muttergefühle entstehen nicht immer automatisch mit der Geburt eines Kindes. Wie neue Forschungen zeigen, lassen sich diese jedoch erlernen.
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Mutter zu werden wird gerne als das Schönste dargestellt, was einer Frau passieren kann. In der Tat beginnt der weibliche Körper ab dem Zeitpunkt der Befruchtung mit einer hormonellen Umstellung, die die zukünftige Mutter sensibler für die Bedürfnisse des Nachwuchses macht und ihr beim Kontakt mit ihrem Kind Glücksgefühle beschert. Allerdings klappt das nicht immer so zuverlässig: Knapp ein Sechstel aller Frauen kämpft nach der Geburt mit einer Wochenbettdepression. Neue Erkenntnisse könnten hier Abhilfe schaffen.

Während man in der Wissenschaft bisher davon ausging, dass das fürsorgliche Verhalten von Müttern allein durch ihre veränderte hormonelle Ausstattung zustande kommt, weist eine kürzlich erschienene Studie an Mäusen einen anderen Weg auf: Demnach lässt sich Muttersein auch lernen. Daniela Pollak vom Department für Neurophysiologie und Neuropharmakologie der Medizinischen Universität Wien und ihr Team brachten weibliche Mäuse, die noch nie einen Wurf gehabt hatten, in engen Kontakt zu neugeborenen Jungen und beobachteten ihr Verhalten. Als Vergleich dienten Pflegemütter, die schon Nachwuchs geboren hatten, bei den Experimenten jedoch fremde Junge betreuten. Gefördert wurde die Forschungsarbeit vom Wissenschaftsfonds FWF.

Babymäuse
Am Beginn ihres Lebens sind Mäusejunge gänzlich auf die Betreuung durch ihre Mutter angewiesen.
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Mäuse als Pflegemütter

Mäuse kommen nackt, taub und blind zur Welt und sind in den ersten Tagen nach der Geburt völlig auf Betreuung angewiesen. Das hindert sie nicht daran, manchmal aus dem Nest zu krabbeln. Wenn das passiert, stoßen sie Hilferufe im Ultraschallbereich aus, die die Mutter auf den Plan rufen. Diese packt sie vorsichtig mit den Zähnen im Genick und trägt sie ins sichere Nest zurück. Dieses Verhalten heißt auf Englisch "pup retrieval" (Jungen-Zurückbringen) und wird weltweit eingesetzt, um das mütterliche Fürsorgeverhalten von Labormäusen in bestimmten Situationen zu testen: Die Forschenden platzieren die Jungen ein Stück außerhalb des Nests und protokollieren, wie rasch das betreuende Weibchen sie zurückholt.

So machte es auch Pollaks Gruppe: Die Versuchsmäuse wurden jeweils in unmittelbare Nähe zu einem frischen Wurf gebracht, von dem einige Junge aus dem Nest entfernt wurden. Die Pflegemütter hatten damit kein Problem: Sie holten die Kleinen sofort zurück. Nicht ganz so problemlos lief das bei den unerfahrenen Weibchen, die selbst noch keine Jungen gehabt hatten: Sie waren am ersten Tag offensichtlich unsicher, wie sie mit den hilfesuchenden Jungtieren umgehen sollten. Das besserte sich jedoch rasch, und schon am dritten Tag benahmen sie sich genauso wie echte Mütter. Offenbar hatten sie das entsprechende Verhalten gelernt – und zwar ohne vorherige Ausschüttung von Schwangerschaftshormonen. Der Effekt war auch nicht nur vorübergehend: Bei einem weiteren Pup-Retrieval-Test drei Wochen später holten sie die Jungen sofort zurück.

Neue Schaltkreise im Hirn

Die Frage für Pollak und ihr Team war nun, auf welcher neuronalen Basis dieser Lernprozess stattgefunden hatte, denn: "Es gibt keine Änderungen im Verhalten, ohne dass sich im Gehirn etwas geändert hat", wie Pollak betont. Das Team erkannte, dass der anteriore cinguläre Cortex, kurz ACC, der unter anderem für Lernprozesse sowie die Erkennung und Bewertung sozialer Vorgänge entscheidend ist, auch für das Erlernen der mütterlichen Fürsorge wichtig ist. Zusätzlich ging Pollak davon aus, dass auch ein anderer Hirnteil an dem Geschehen beteiligt war, nämlich ein Kern des Thalamus, eines im Zwischenhirn gelegenen Steuerzentrums.

Um ihre Hypothesen zu überprüfen, verwendeten die Forschenden eine elegante Methode, die als Viral Tracing bekannt ist: Dabei wird an einem Ende einer Nervenbahn ein unschädliches, fluoreszierendes Virus injiziert, dessen Weg im Gehirn sich dann mithilfe von Licht verfolgen lässt. Die Ergebnisse bestätigten Pollaks Vermutung: Mäuseweibchen, die noch nie selbst geworfen hatten, entwickelten während der Versorgung der Jungen einen neuen Schaltkreis zwischen dem Thalamus-Kern und dem ACC. Mäusemütter hingegen zeigten keine derartigen Veränderungen im Gehirn: Offenbar mussten sie das entsprechende Verhalten nicht lernen, da die nötigen Veränderungen bei ihnen während der Trächtigkeit bereits hormonell eingeleitet worden waren.

Mutter mit Baby
Die neuen Studienergebnisse könnten künftig große Chancen für Frauen bieten, die an Wochenbettdepression leiden.
REUTERS/Remo Casilli

Väterliche Zuwendung?

Männliche Mäuse entwickelten unter denselben Versuchsbedingungen kein fürsorgliches Verhalten, obwohl sie prinzipiell dazu imstande sind: Wird ein Mäusepaar nämlich gemeinsam gehalten, kümmert sich auch der Vater um den Nachwuchs – und das, obwohl sich Mäusemännchen fremden Jungtieren gegenüber prinzipiell aggressiv verhalten. Der Schaltkreis im Gehirn, mit dem die Weibchen Mütterlichkeit entwickeln, ist bei den Männchen aber natürlich auch vorhanden. In einer Folgestudie will Pollak daher untersuchen, welche Aufgabe er bei den Männchen erfüllt: "Wenn er nicht für die Fürsorglichkeit da ist, muss er für etwas anderes zuständig sein."

Für Mütter, denen die emotionale Bindung zu ihrem Kind nicht mit der Geburt in den Schoß fällt, bedeuten Pollaks Ergebnisse aber schon jetzt eine große Chance, zeigen sie doch, dass sich Mütterlichkeit erlernen lässt. Das geht sowohl durch wiederholten Kontakt mit dem Kind als auch durch das Imitieren von anderen Müttern, wie Pollak erklärt. Außerdem können auf Basis dieser Erkenntnisse Verhaltenstherapien entwickelt werden, mit denen Frauen mit ihrer Mutterrolle besser zurechtkommen, auch wenn ihre Hormone sie diesbezüglich im Stich lassen.

Übrigens sind Wochenbettdepression und die daraus resultierende Beeinträchtigung der Mutter-Kind-Bindung kein ausschließlich menschliches Problem: Es gibt auch Mäuse, die nach der Geburt Schwierigkeiten haben, adäquates Fürsorgeverhalten zu zeigen. Erste Versuche legen nahe, dass eine Infektion während der Trächtigkeit dafür verantwortlich sein könnte. (Susanne Strnadl, 4.5.2024)