Für Olaf Nicolai ist der Vorhang ein widersprüchliches Objekt, das sich mit dem Begriff der Bühne, aber auch dem Verstecken verbindet.

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Foto: Newald

Wien - 1997 hat Olaf Nicolai künstliche Ahornblätter auf das Oberlicht des Museums für Gegenwart in Berlin platziert oder 2006 einem ausgestopften Einhorn mit einer eingebauten Heizung "Leben eingehaucht". Der Künstler nimmt zum Teil minimale Eingriffe vor, verschiebt Elemente der Wirklichkeit. Nicolai beschäftigt sich mit Fragen der Natur- und Geisteswissenschaften und insbesondere mit dem System des Kapitalismus. Das ist auch in seiner installativen Arbeit Warum Frauen gerne Stoffe kaufen, die sich gut anfühlen für die Arbeiterkammer Wien (bis 20. 11.) zu bemerken. Für das Projekt beschäftigte er sich mit der Studie Die Arbeitslosen von Marienthal und einer späteren Arbeit Paul Lazarsfelds zum Konsumverhalten. Das mündete in ein eher abstraktes Objekt, einen aufwendig gewebten Seidenvorhang.

Standard: Sie haben nicht Kunst, sondern Literaturwissenschaft studiert. Ein Umweg?

Nicolai: Es hätte auch die Möglichkeit gegeben, Kunst zu studieren, aber ich habe mich eher für konzeptuelle, theoretische Dinge interessiert, und da war in den Kunsthochschulen der DDR damals nicht sehr viel los. Parallel zum Studium an der Universität Leipzig habe ich an der Hochschule für Grafik und Buchkunst ein paar Kurse besucht. Und das war alles sehr (zögert) Malerei. Da war der Bauch König. Das hat mich nicht so sehr interessiert.

Standard: Wurde Ihre Art und Weise, künstlerisch zu arbeiten, dadurch nicht maßgeblich bestimmt?

Nicolai: Es half, zwei Dinge zusammenzubringen: Das, was man sinnlich wahrnimmt, und die Ebene der Reflexion. Ich fand immer, dass Bücher genauso physische, emotionale Zustände hervorrufen können wie Bilder. Und umgekehrt kann ich mich bei Bildern genauso reflexiv verhalten wie bei einem Buch. Diese Trennung zwischen Gefühl und Denken oder Sprache und Bild habe ich für mich nie erfahren. Beides ist vollkommen gleichwertig.

Standard: Otto Neurath hat die Isotype, die Wiener Methode der Bildstatistik entwickelt, weil er das Bild als das bessere analytische Mittel ansah, das mehr Zusammenhänge herstellen konnte als Sprache. Abstrakter Kommunikation wie Sprache hat er misstraut.

Nicolai: Ich bin eher jemand, der ein Interesse an diesem Misstrauen hat. Mich interessiert das Verschwinden von Eindeutigkeit. Ich glaube, dass dort, wo etwas verschwimmt - nicht dort, wo alles rational und überprüfbar ist -, das Entscheidende passiert: Dort bildet sich das Subjekt.

Standard: Sie haben einmal gesagt: "Genau das ist der Punkt! Wenn du merkst, dass du nur deine Sinne hast, denen du Vertrauen kannst, aber die zugleich das Unsicherste und Trügerischste sind." Streuen Sie mit Ihren Arbeiten diese Form des Misstrauens?

Nicolai: Das ist der Ausgangspunkt für Prozesse des Nachdenkens. Reflexion ist Teil eines komplexen Wechselspiels, das auch die Rückkoppelung an gemachte Erfahrungen beinhaltet. Aber diese Rückkoppelung ist nie eindeutig.

Standard: Ein Beispiel?

Nicolai: Motive des Handelns: Es wird Künstlern immer wieder unterstellt, dass sie nur bedingt wissen, was sie tun. Was stimmt: Weil Künstler mit Formen arbeiten und in Formen Dinge verhandelt werden. Die Formen sind ja nicht vom Himmel gefallen. Sie geben einem die Möglichkeit, Dinge zu lernen, von denen man gar nicht weiß, dass man sie bereits wusste.

Standard: Und das ist auch der Grund, warum Ihre konzeptuellen Arbeiten formal nach sehr ästhetische Prinzipien funktionieren, so wie hier bei dieser textilen Arbeit?

Nicolai: Ja. Mich interessiert es, Gegenstände oder Situationen zu schaffen, in denen man verschiedene Verhaltensmöglichkeiten hat. Man kann sie genießen, aber auch hinterfragen und feststellen, dass dieses "Schön-Finden" und Themen der Arbeit eine untergründige Beziehung miteinander haben. Dieser Vorhang verweist etwa auch auf die Textilindustrie. Eine Branche, in der sich zu- erst kapitalistische Verhältnisse durchsetzen, am schnellsten Krisen sichtbar werden. Und so ist man ganz schnell bei den Prozessen, die hier in den Beratungszimmern verhandelt werden.

(Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 17./18.04.2010)