Thomas Wieser, Chefexperte der EU zur Reform des Euro.

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Thomas Wieser hat nicht nur ein feines Gehör, er ist auch ein unheimlich genauer, stiller Mensch. Und ein Feingeist in vielfacher Hinsicht.

Er hält sich gerne zurück. Dass er, der Sektionschef für Wirtschafts- und Finanzpolitik aus dem Wiener Finanzministerium, in Europa einer der einflussreichsten Experten auf dem Gebiet der Währungsunion und des Euro ist, das würde er nie zur Schau stellen.

Wenn er spricht, kann man richtiggehend zuschauen, wie er die Worte abwägt - und wie er ständig auch den Hintersinn seiner Gedanken ins Spiel bringt. Er lacht jedenfalls gerne, amüsiert sich. Noch lieber aber scheint der studierte Ökonom zu schmunzeln.

Oberflächlichkeit oder gar Populismus, die primitive Vergröberung, signalisiert er, sind ihm ein Graus. Vielleicht liegt es ja daran, dass Wieser am liebsten zuhört: Musikhören, das ist seine größte Leidenschaft, sagt er. Von Bach bis (zur Punkrockband) Green Day, von Oper bis Kammerkonzert, das verschlingt er alles. Auf seinem Nachtkastl stapeln sich stets Bücher: österreichische Literatur sowieso, US-Romane, Werke zu Geschichte und Physik. Den Herrn Sektionschef "interessiert einfach alles" , sagen die, die ihn ein bisschen kennen. Vor hundert Jahren hätte er locker als ein humanistisch erzogener Universalgelehrter durchgehen können, der seinen Tag im Kaffeehaus verbringt und Essays verfasst.

Aber Thomas Wieser lebt heute, in der Zeit der größten Währungs- und Schuldenkrise. Und das hat ihm unvermittelt eine der größten Herausforderungen beschert, die für einen österreichischen Beamten vorstellbar sind: Er wurde als Chef jener "Sherpas" auserkoren, die den Staats- und Regierungschefs in der EU-Taskforce Vorschläge zur Reform des Euro-Stabilitätspaktes machen sollen. Finanzminister Josef Prölls Mitarbeiter wird den Bericht federführend schreiben. Er wird also wegweisend die künftige Wirtschafts- und Finanzpolitik der Union gestalten, wird mitdefinieren, was man in späteren Jahren als neue "EU-Wirtschaftsregierung" beschreiben wird.

Das ist nicht gerade wenig für den Sohn eines um die Welt ziehenden Professors für Biologie und einer aus England stammenden Physiologin. Geboren wurde Wieser 1954 in den USA. Andererseits: Er stammt aus einer Familie mit langer Ökonomentradition. Sein Opa war in der Monarchie Handelsminister, ein anderer Ahne Mitbegründer der Wiener Schule der Nationalökonomie. (Thomas Mayer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.6.2010)