Otto Muehl hat am 16. Juni Geburtstag, und dieser Tag war ein Tag des Jubels in der Kommune. Im mächtigen Lilibau, einem vierstöckigen Wohnhaus am Friedrichshof, wurde aus den Fenstern sein Porträt heruntergerollt: gemalt auf ca. 2 Meter mal 5 Meter großen Stoffen, blickte das gütige Antlitz des großen Otto auf den vor ihm liegenden Platz, wo seine Anhänger ihm huldigen konnten. Am Abend dann, bei den gemeinsamen "Selbstdarstellungen", ließ der Meister von Chören aller Gruppenmitglieder seine Herrlichkeit besingen.

Wie kommt es nun, dass wieder einmal Muehl in aller Munde ist? Ein unbedeutender Maler, der nach den Aktionen des Wiener Aktionismus im Grunde nur epigonale Werke produzierte und "keinerlei eigenständige Ästhetik" entwickelte, wie Edwin Baumgartner zutreffend bemerkte? Dessen Werke nur durch sein "skandalöses" Leben öffentliches Interesse findet?

Die Antwort ist ernüchternd: Es ist die Geldgier, die die Logik des Handelns bestimmt. Österreichs Kunstsammler wollen den Wert der von ihnen angehäuften Muehl-Bilder, von denen es unzählige gibt, steigern, Otto Muehl und seine aktuelle Mitkommunardin und Agentin Danièle Roussel haben aus begreiflichen Gründen das gleiche Interesse. Es muss in regelmäßigen Abständen eine Ausstellung an Muehl erinnern und das Preisniveau hochgehalten werden.

Das Image Muehls als unbelehrbarer Sexualstraftäter erwies sich aber immer störender für angenehme Geldgeschäfte. Das Märchen einer Verfolgung durch den österreichischen Staat und kunstfeindlicher rechter Kräfte ließ sich nicht mehr aufrechterhalten. Zu massiv war der Widerstand der Opfer.

Pünktlich zur Ausstellung im Leopold-Museum des Museumsquartiers erregte nun letzte Woche eine Entschuldigung Muehls für seine Taten die öffentliche Aufmerksamkeit. Obwohl an und für sich ein erfreulicher Schritt, der auf beginnende Einsicht hoffen lässt, wirft sie doch Fragen auf:

Gutes Timing

Ist eine Ausstellungseröffnung der richtige Ort und Zeitpunkt, um sich zu entschuldigen? Warum nahm er nicht diskret im Stillen mit den Opfern Kontakt auf, anstatt der eigenen Mitbewohnerin (mit der er zusammenlebt) einen Brief zu schreiben, die diesen dann zur Ausstellungseröffnung verliest? Und wie kommt es heuer zu diesem Gesinnungswandel - gerade recht zur Leopold-Ausstellung -, wenn Otto Muehl noch 2004, also ca. 20 Jahre nach den Taten, derentwegen er verurteilt wurde, in einem Interview mit der Zeit rundweg alles abstritt?

Parallel zur gerade stattfindenden Muehl-Schau im Leopold-Museum veranstaltet das Mak die Ausstellung "Blumen für Kim Il Sung": nordkoreanische Kunst unter dem Diktat eines totalitären Regimes. Eine wunderbare Ironie: selbiger Peter Noever, gern gesehener Gast des burgenländischen Kleindiktators und Nutznießer kostspieliger Einladungen in die Muehl-Finca in Spanien, der dem Meister schon 2004 einen schönen Auftritt in seinen Ausstellungshallen ermöglichte, spannt unbewusst einen Bogen von diesem zu Kim Il-sung.

Schwamm drüber?

Der Lustgreis Otto Muehl hat also Geburtstag, und gerade rechtzeitig werden die Preise seiner Werke hochgetrieben. Manch einer spekuliert mit seinem Ableben, denn dann ist eine weitere Wertsteigerung zu erwarten. Und viele vergessen zugleich, dass er durch seine sexuellen Übergriffe, durch seine Machtgier und Bereicherungssucht ein soziales Experiment so nachhaltig diskreditierte, dass von diesem in den Medien nur noch als "drogenuntermalter wilder Rudelbums mit dem Diktat der freien Liebe" (Anne Katrin Feßler im Standard) die Rede ist.

Ein Experiment, dass immerhin im Dialog mit Bruno Kreisky, Rudolf Bahro, der israelischen Kibbuz-Bewegung und anderen stand und dessen Lebensform in Gemeinschaftseigentum doch gar kein so schlechter gesellschaftlicher Gedankenanstoß hätte sein könnte, in einer Zeit, wo der Kapitalismus ratlos wie der Zauberlehrling auf die entfesselte Finanzwelt schaut.

Dafür, dass der Ruf nun ruiniert ist, trifft die Kommunarden allerdings eine beträchtliche Mitschuld, war es ihnen doch nicht gelungen, sich rechtzeitig aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien.

Der größenwahnsinnige Muehl, der dem Kommune-Experiment seine Würde nahm, wird nun wohl noch zu einem bescheidenen, tief bereuenden Humanisten gebogen, zu einem verhinderten Demokraten, einem aufopferungsvollen Vater, der sich uneigennützig um seine Erben sorgt: Er entschuldigt sich! Schwamm drüber!

"Wer mich nicht liebt, ist ein Psychopath", sagte Muehl vor sechs Jahren. Das sollten sich Peter Noever, Claus Peymann und der Wiener Galeristen-Chor nicht vorwerfen lassen und ihm ein Geburtstagsständchen darbringen. Danièle Roussel kann's ihm ja als Video nach Portugal mitbringen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.6.2010)