Kuratorin Susanne Gaensheimer (re.) und Schlingensiefs Witwe Aino Laberenz (li.) mit dem Goldenen Löwen für den besten Pavillon bei der Biennale von Venedig.

Foto: Anna Blau

Kuratorin Susanne Gaensheimer und Schlingensief-Witwe Aino Laberenz sprachen mit Andrea Schurian über die schwierige Arbeit

STANDARD: Gratulation zum Goldenen Löwen - es wurde ja besonders die kuratorische Arbeit gelobt ...

Gaensheimer: ... Ja, das ist ein Wahnsinn. Aber es geht um Christoph Schlingensiefs Werk. Es erfährt hier internationale Wertschätzung, das find ich einfach wunderwunderwunderschön.

STANDARD: Haben Sie mit dieser Auszeichnung gerechnet?

Gaensheimer: Nein, ich wusste überhaupt nicht, wie die Besucher reagieren würden, und war sehr froh, dass die Reaktionen insgesamt sehr positiv waren. Ich höre, dass es negative Stimmen gibt. Die sind aber nicht zu mir durchgedrungen. Wahrscheinlich sagt niemand einem ins Gesicht, er findet's scheiße. Insbesondere in Deutschland wird kontrovers diskutiert. Das ist gut und richtig und bei Schlingensief immer so. Wenn jetzt jeder sagen würde, es ist fantastisch, würde auch etwas nicht stimmen. Ich freue mich auch, dass die Leute aus dem Schlingensief-Team total glücklich sind mit dem Pavillon. Es wäre schrecklich, wenn ich was gemacht hätte, was aus den eigenen Reihen nicht anerkannt worden wäre. Aber ich habe sehr eng mit dem Team gearbeitet. Dieser Preis geht auch ans gesamte Team.

STANDARD: Es gibt die Diskussion, Schlingensief ohne Schlingensief sei nicht möglich.

Laberenz: Ja, aber gerade in diesem Raum sieht man doch ganz extrem, wie ernstzunehmend er in seiner Arbeit ist. Wenn man sagt: "Er ist so eins mit seiner Arbeit, wie soll man das jetzt rausschälen?", dann muss man sagen: Die Arbeit ist ja da. Und sie bleibt.

STANDARD: Werden Sie sich nun als Schlingensief-Witwe ganz um sein Werk kümmern?

Laberenz: Ich bin kein Mensch, der sich einen Superplan macht. Ich wollte mich zunächst auf diese Arbeit hier in Venedig konzentrieren. Aber ich merke, dass Christophs Anliegen, wirklich gesehen und ernstgenommen zu werden, auch meines ist.

STANDARD: Frau Gaensheimer, Sie haben Schlingensief persönlich ja gar nicht so gut gekannt. Könnte genau diese Distanz für die kuratorische Arbeit nützlich gewesen sein?

Gaensheimer: Ja, das kann gut sein. Vor allem hilfreich gegenüber dem Team, dass ich keine Position hatte im Gefüge Schlingensief. Ich konnte mich neutral verhalten, immer das Ziel in den Fokus rücken: Es geht um Christophs Werk und sonst gar nichts. Aus kuratorischer Perspektive ist dieser neutrale Ansatz vermutlich ganz gut. Ich kenne seine Arbeit natürlich. Aber ich kannte ihn persönlich leider viel zu kurz, gerade ein halbes Jahr.

STANDARD: Und wie haben Sie ihn da erlebt?

Gaensheimer: So wie man ihn kennt: quirlig, lebendig, nur ein wenig reduziert in der körperlichen Kapazität. Aber völlig unvorstellbar, dass er nur eine Lunge hatte. Es war ein Faszinosum, welche Energie dieser Mann hatte. Er ist der energetischste Mensch, den ich je kennengelernt habe. Und sehr charismatisch. Er zieht einen schon sehr in seinen Bann. Immer noch.

STANDARD: Das "Ger" durch ein "Ego" zu ersetzen und somit aus "Germania" über dem Pavillon-Eingang ein "Egomania" zu machen: War das noch seine Idee?

Gaensheimer: Nein. Er wollte für die Fassade etwas völlig anderes machen. Aber wir haben ihn zitiert: Er hat ja oft mit Worten gespielt, auch ein Film heißt so. Wir haben ihn zitiert.

STANDARD: Wie sehr hat er mitbestimmt, was im Pavillon passieren soll?

Gaensheimer: Gar nicht. Er ist ja trotz allem sehr überraschend gestorben. Wir haben schon immer wieder über das Sterben geredet, aber er hat da immer von zwei, drei Jahren gesprochen. Dann kam er wegen einer anderen Sache ins Krankenhaus, kriegte dort eine Lungenentzündung und starb extrem schnell, sodass er überhaupt nichts mehr zum Pavillon sagen, uns gar keine Botschaft hinterlassen konnte. Ich habe mich zuerst mit Aino beraten, dann haben wir alle anderen ins Boot geholt und sehr, sehr eng im Team gearbeitet.

STANDARD: Warum haben Sie sich für die Re-Installation "Die Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" entschieden?

Gaensheimer: Wir fanden richtig, das Sterben zu thematisieren, die Krankheit und seine Beschäftigung damit.

Laberenz: Das war ja immer Thema seiner Arbeit: Leben und Tod, Loslösung, das, was danach kommt. Er hat das Werk ja als Fluxus-Oratorium bezeichnet. Fluxus bedeutet Fließen. Er hatte ein Todeserlebnis, aber er sagte, der Tod bedeute nicht einfach gleich Stopp. Er hat es nicht als Ende gesehen, sondern als etwas Fließendes, Weiterfließendes.

Gaensheimer: Es war außerdem die persönlichste und erschütterndste Arbeit. Wir waren ja tief betroffen von seinem Tod, das hat die Wahl natürlich beeinflusst. Außerdem war dieser Raum immer als Installation gedacht und nicht nur als Bühne. Er gab auch Führungen, saß oft stundenlang drin, er fand das als Ruhe-, als kontemplativen Raum. Er liebte diese Installation. Deshalb haben wir uns dafür entschieden.

Laberenz: Letztlich haben wir uns sehr eng an ihn gehalten. In dieser Installation kommen ganz viele Sachen von Christoph zusammen - es ist ein Knotenpunkt, wo man sein Gefühl für den Raum, seinen Umgang mit Film im Raum, mit Kunst, mit einer neuen Bildsprache sehen kann. Er hat hier nicht nur das Sterben thematisiert, sondern auch Geburt. (Andrea Schurian, 6. Juni 2011)