Gischtspritzer oder Wölkchen auf dem Himmelblau des vorherigen Anstrichs sorgen für eine sphärische Sicht auf die Welt der Ausstellung: "Lucas Bosch Gelatin", Kunsthalle Krems 2011.

Foto: Christian Redtenbacher

Krems - Der Titel gibt die Lesart vor: Dies sei eine Ausstellung, mit der man sehen wollte, "wie das alles nebeneinander aussieht", so Tobias Urban von Gelatin. Die Bildsprache von Hieronymus Bosch kenne man, seit man ein Kind ist, so Ali Janka, man könne schon Parallelen in Boschs Bildern und in Gelatins Arbeiten erkennen. Aber eine Gegenüberstellung - die würde Gelatin nicht interessieren.

Wer also in Krems die Originale von Bosch, Bosch-Nachfolgern und Zeitgenossen betrachtet und nach allzu offensichtlichen Analogien in den Arbeiten von Gelatin sucht, der wird - zum Glück - enttäuscht. Die Schau Lucas Bosch Gelatin ergibt als Ganzes eine Welt voller Visualisierungen von Ängsten, Träumen, Exzessen, Höllen und ein bisschen Himmel.

"Da ist eigentlich kein Kurator mehr vonnöten", schreibt Kunsthistorikerin Brigitte Borchhard-Birbaumer - die neben Kunsthallenleiter Hans-Peter Wipplinger Konzeptionistin der Ausstellung ist - in ihrem Katalogessay. "Die Schau wächst von selbst. Gelatin dulden folgerichtig nicht einmal den Begriff eines sie anleitenden Kunstwissenschafters."

Nylons und Kloschüsseln

Das Kollektiv Gelatin (auch Gelitin), bestehend aus Wolfgang Gantner, Ali Janka, Florian Reither und Tobias Urban, gab also auch vor, welche Künstler noch vertreten sein sollen: Neben Paul McCarthy und Jason Rhoades oder Olivier Garbay ist das die Britin Sarah Lucas (geb. 1962) mit einer ganzen Werkserie. Ihre Readymades und installativen Objekte aus Nylonstrümpfen, Möbelstücken und auch einigen Toilettenschüsseln schaffen reibende, kratzende, verstörende Interpretationen in einer abgeschlossenen Klarheit. Sie erzeugt genau dadurch eine Offenheit, die den prozesshaften, manchmal unschlüssigen Arbeiten von Gelatin mitunter fehlt.

Seit 1993 verfolgen die vier Österreicher, alle um die vierzig, ihre künstlerische Arbeit mit großem Erfolg. Sehnsucht nach Exzess wird ihnen nachgesagt, nach Aufmerksamkeit, nach Körperlichkeit, nach Rebellion. Sexualität bleibt dabei in Krems häufig bloß angedeutet. In einer Zeit, in der sowieso alles und jeder "oversexed and underfucked" ist, haben sie sich da eine schwierige Position ausgesucht.

Dass sich zwischen den spätmittelalterlichen fantastisch-alptraumhaften Welten von Hieronymus Bosch und den Arbeiten von Gelatin durchaus Verbindungen auftun, ist nichts, was wirklich überrascht. Ob in Gelatins flächigen Plastilin-Bildern, ihren kleinen momenthaften Szenerien aus Gefundenem oder den monströsen, miteinander verwobenen Plüschtieren oder Sesselfragmenten: Wer will, kann auch hier eine Interpretation der Welt, eine Verkörperung des Grauenvollen oder auch nur eine Visualisierung von Albträumen erfahren.

Während man allerdings in den Bildern von Bosch eine unausweichliche, radikale Akzeptanz der Hölle als unabdingbare Voraussetzung für die Existenz von "Leben" lesen kann, bleiben Gelatin oft vor der Tür des Grauens stehen. Oder sie schaffen Notausgänge. Etwa in der Form harmloser Stoffpferdchen: In die können Besucher schlüpfen, um durch die Ausstellung zu hoppeln.

Die Arbeiten sind zum Teil vor Ort entstanden. In den Wochen vor Ausstellungsbeginn sei "das eine Atmosphäre wie in einer großen Familie gewesen", so Hans-Peter Wipplinger. Da kam Franz West hin und wieder vorbei und ließ dann auch eines seiner Sofas da. Die Künstler besorgten sowohl Ausstellungsarchitektur als auch Hängung; auch die alten Meister sind ebendort platziert, wo Gelatin es wünschte. Eine gelungene Haltung im Fall der Ausstellungsarchitektur: Endlich werden die Ausstellungsräume der Kunsthalle durchbrochen.

Gelatin schaffen eine Baustellensituation - abgesägte, halbfertige Wände, auf deren Himmelblau (der Farbe der Vorgängerschau) ein paar weiße Dispersionspinselstriche hingefetzt sind. Womöglich sind es angedeutete Wölkchen, wer weiß. Irgendwie ein sich auftuender Sehnsuchtsraum.  (Wiltrud Hackl/DER STANDARD, Printausgabe, 20. 7. 2011)