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Das Leben, sagt Javier Marías, schreibt keine Plots, dafür ist es zu unübersichtlich. Heute wird der spanische Autor in Salzburg für sein literarisches Werk aus-gezeichnet.

Foto: Andrea Comas / Reuters

Das Porträt eines viel Herumgetriebenen.

Wien - Es ist eine illustre Preisträgerrunde, in die sich heute, Samstag, der spanische Autor Javier Marías einreiht. Vor ihm ging der seit 1965 jährlich verliehene Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur etwa an Eugène Ionesco (1971), Milan Kundera (1987), Inger Christensen (1994) oder A.L. Kennedy (2007).

Dass es sich bei der mit 25.000 Euro dotierten Auszeichnung, die Bundesministerin Claudia Schmied in Salzburg an den Autor übergibt, um einen europäischen Preis handelt, wird Marías freuen. Denn der 1951 als vierter von fünf Söhnen in eine Madrider Familie geborene Javier Marías Franco ist viel herumgekommen.

Venedig, Barcelona, Paris, Oxford, London und die USA lauten seine Lebensstationen. Da es seinem Vater, einem Philosophen, wegen seiner republikanischen Gesinnung nicht erlaubt war, an frankistischen Universitäten zu lehren, verbringt Marías Teile seiner Kindheit in Connecticut und Massachusetts, wo die Familie den unteren Teil eines Hauses bewohnt, in dessen oberem Stockwerk Vladimir Nabokov, er gehört zu Marías Lieblingsautoren, lebt.

Diese äußere Rastlosigkeit korreliert mit einer fast beängstigenden Vielseitigkeit und Produktivität. Mit 22 schließt Marías sein Studium der Philosophie und Literatur in Madrid ab, wobei er sich auf englische Philologie spezialisiert. Mit 20 hat er seinen ersten Roman fertig. Gleichzeitig verdient er sein Geld, indem er für den Onkel, einen Filmregisseur, Dracula-Drehbücher übersetzt. Er überträgt Laurence Sternes Tristram Shandy und Joseph Conrad ins Spanische, empfiehlt seinem Verlag die Übersetzung von Bernhards Verstörung, die er auf Französisch las, unterrichtet in Oxford spanische Literatur und Übersetzungstheorie - und schreibt wie ein Besessener weiter.

Alle zwei bis drei Jahre legt er neben zahlreichen Erzählungen, Essays und Artikeln, die er gleichsam nebenbei schreibt, einen Roman vor. 1992, Marías ist gerade 40 Jahre alt, erscheint mit Mein Herz so weiß sein siebenter Roman, der nach dem drei Jahre zuvor erschienenen Campus-Roman Alle Seelen den endgültigen internationalen Durchbruch bedeutet.

In deutscher Übersetzung hat sich das Buch seither mehr als eine Million Mal verkauft. Seine weiteren Bücher, Morgen in der Schlacht denk an mich (1998) und die umfangreiche Trilogie Dein Gesicht morgen, stießen dann bei der Kritik nicht mehr auf ungeteilte Zustimmung. Zu ausschweifend, lautet ein Vorwurf, sei seine Prosa, in der es oft um das Verschwimmen der Realitätsebenen und Liebesverwirrungen geht.

Vielleicht ist es aber gerade dieses Allumfassende, Überbordende, das die Bedeutung dieses Schriftstellers, der als Junggeselle in Madrid lebt und seiner Passion für den Fußball (Real Madrid!) treu geblieben ist, ausmacht. Es ginge ihm, meinte er in einem Interview, nicht darum, "normale" Romane "mit Plot, Anfang und Ende zu schreiben" . Als Autor nehme er sich die Freiheit, "Geschichten nebeneinander vor sich gehen zu lassen. Die Dinge geschehen im Leben auch ungeordnet, man weiß nicht, was kommt." (Stefan Gmünder, DER STANDARD - Printausgabe, 30./31. Juli 2011)