Die Äußerungen des Präsidenten der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) Fuat Sanac im Standard-Online Interview vom 19.07.2011 haben wir mit großer Enttäuschung und Bedauern gelesen. Wir distanzieren uns von solchen Aussagen und weisen diese im Namen der Türkischen Kulturgemeinde in Österreich, die mehrheitlich aus Akademikern besteht (rund 600 Mitglieder), aufs Schärfste zurück.

Die Aussagen von IGGiÖ-Präsident Sanac können prinzipiell nicht als repräsentativ für die Mehrheit unserer aus der Türkei stammenden, österreichischen Mitbürger, die über 250.000 Menschen ausmachen, gesehen werden. Wir glauben auch nicht, dass diese Aussagen für die über 150.000 aus Bosnien oder aus dem Balkan stammenden Muslime und für die über 100.000 Aleviten, die türkische Wurzeln haben, repräsentativ sind.

Wir und die große Mehrheit der Muslime in Österreich haben Herrn Sanac weder als "Türken-Vertreter" noch als "Muslimen-Vertreter" gewählt. Infolgedessen darf er sich bei seinen Äußerungen in der Öffentlichkeit auch nicht als solcher ausgeben. Die Wahlbeteiligung bei der IGGiÖ-Präsidentenwahl belief sich nach Angaben der IGGiÖ auf nicht mehr als 30.000 (in Worten: dreißigtausend) Menschen.

Die Äußerungen von Herrn Sanac sind leider die Ausgeburt einer egozentrischen, traditionellen, wüstentheologischen und begrenzten Umdeutung, in welcher Politik, Tradition und Religion zu einem Hybrid vereint werden, nur um seinen Vertretern die Möglichkeit zu bieten, ihren falsch verstandenen, politisierten Glauben salonfähig zu machen.

Falsche Interpretation

Wir protestieren deswegen auf das Schärfste, weil hier von dem „höchsten Repräsentanten der Muslime in Österreich" eigentlich auch "die koranische Religion, der Islam" falsch interpretiert und als menschenunwürdig und zurückgeblieben dargestellt wird - vermeintlich gerechtfertigt durch aus der Tradition/den Bräuchen erfundene Ahadith und sektiererische Interpretationen derselben.

IGGiÖ-Präsident Fuat Sanac gießt mit seinen Äußerungen, welche mit der wahren Lehre von Jesus Christus absolut nichts zu tun haben, Wasser auf die Mühlen der Extremisten, Stigmatisierer und Schwarzmaler wie auch der Fundamentalisten, Hetzer und Rassisten wie den Oslo-Killer Breivik und seine Gesinnungsbrüder.

Außerdem wird auch Wasser auf die Mühlen all jener gegossen, welche in ihren Artikeln die Austortürken in Österreich aufgrund ihrer Religion und Kultur gerne durch Schlagzeilen wie "Sorgenkinder" deklassifizieren wollen. Jene wollen diese am liebsten als "Untermenschen" in das Bewusstsein der Gesellschaft eingravieren, damit die wirtschaftlichen und poltischen Interessensgemeinschaften mit "Win-Win"-Situationen ("Du gewinnen, ich gewinnen") und durch das "Schaukel-Prinzip" funktionieren und dann wird wie in der Muppet Schow gemeinsam gelacht, während der eine oder andere „Übermensch" gemütlich hetzt. Doch niemand steht auf und sagt: "Würdest du so eine primitive Hetze und Verleumdung gegen dich, gegen deine Familie, Kultur und Glauben akzeptieren?!" Wir stehen für unsere neue Heimat Österreich auf, weil dieses Land und seine Bürger mit seiner modernen Verfassung, seiner Gesetzgebung und dem ständigen Eintreten für universelle Rechte und Werte nach so vielen schrecklichen Erfahrungen in der Geschichte diese Geisteshaltung nicht verdient hat. Besonders wenn derartige Aussagen von "Repräsentanten" gemacht werden, sehen wir es als unsere Pflicht, Einspruch zu erheben!

Dilemma für Muslime in Österreich

Wir erheben Einspruch, weil es sich hier nicht nur um eine interne Angelegenheit des IGGÖ handelt. Wenn Herr Sanac für mehr Muslime sprechen will, als er befugt ist, und noch dazu problematische Aussagen macht, ergibt sich ein Dilemma für alle Muslime in Österreich, auch für die österreichische Innenpolitik und den allgemeinen demokratischen Wertekanon. Er zieht damit Muslime, die ihn nie gewählt haben, geschweige denn kennen, in die Verantwortung für seine Aussagen.

Noch dazu hat sich der IGGiÖ-Präsident durch seine Haltung dem Antisemitismus gegenüber für jeden interreligiösen Dialog, besonders in Österreich, disqualifiziert. Denn wir österreichische Staatsbürger mit türkischer Abstammung können stolz auf eine lange Geschichte guter türkisch-jüdischer Beziehungen (beginnend mit den Khazar-Türken) und auf mehrere hundert Jahre guter türkisch-österreichischer bzw. osmanisch-habsburgischer Beziehungen zurückblicken. Wir weigern uns, als Geisel politisch-orientierter Gruppierungen zu fungieren und als Feinde der Juden dargestellt und missbraucht zu werden, als ob der Islam das im Koran so vorschreiben würde. Denn liest man den Koran korrekt, ohne Textstellen aus dem Kontext zu reißen und lässt davon ab, ihn politisch zu deuten und zu missbrauchen, wird man schnell erkennen, dass die Söhne Israels allgemein ohne Übertreibung unter dem Strich unseren Respekt verdienen.

Im 15. Jahrhundert (1492) waren es die Türken, welche viele sephardische Juden retteten. Mit unzähligen Schiffen brachten sie die sephardischen Juden nach Saloniki, Griechenland, in den Balkan, nach Istanbul, Thrakien und in die Westtürkei. Im Jahre 1992 wurden große Feierlichkeiten anlässlich der 500jährigen türkisch-jüdischen Freundschaft in der Türkei abgehalten und diese Freundschaft ist es, auf die wir stolz sind. Auch während des Zweiten Weltkriegs haben sehr vielen Deutsche und ÖsterreicherInnen mit mehrheitlich jüdischer, aber auch christlicher Abstammung in der Türkei durch den Gründer der "modernen Türkei", Atatürk, ein Heim gefunden. Viele davon haben in der Türkei sehr wertvolle Arbeiten geleistet, die bis jetzt Spuren im positiven Sinne hinterlassen haben, wobei wir nun an dieser Stelle unsere große Dankbarkeit zum Ausdruck bringen möchten.

Mit Respekt begegnen

Alle monotheistischen Religionen besonders der Islam, das Judentum und das Christentum, die den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs verehren, sind gleichermaßen dazu verpflichtet, alle Menschen, ganz gleich welcher Rasse, Religion oder Kultur sie angehören, als Gottes Ebenbild anzusehen und ihnen mit dem entsprechenden Respekt zu begegnen. Die davon abgeleiteten Werte müssen von niemandem erlernt werden, sondern verstehen sich von selbst und sind in den universellen Menschenrechten im Zuge der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" niedergeschrieben worden, die auch vom Koran umschlossen werden.

Fuat Sanacs Antworten auf die Fragen bezüglich Ämter und Frauen finden wir in aller Freundschaft ziemlich geschmacklos und bedenklich. Diese Meinungen repräsentieren den traditionellen und politisierten Islam und sind eine fälschliche Wüstentheologie, die mit dem wahren Islam, der im Koran festgeschrieben ist, sicher nichts zu tun hat.

Wir müssen hier öffentlich mit aller Härte auftreten und die islamisch-koranische Religion vor den Aussagen des IGGÖ-Präsidenten schützen und Herrn Sanac auf die universellen Rechte und speziell auf die Österreichische Bundesverfassung, die natürlich auch für Muslime gilt, aufmerksam machen. So kann in Österreich jedenfalls kein interreligiöser Kulturaustausch stattfinden. Die Aussagen von Herrn Sanac über Frauen sind für uns eine Beleidigung. Dabei ist doch das Gegenteil der Fall, denn es gibt keine Stelle im Koran, die darauf hinweist, dass gewisse Ämter den Frauen verboten sein sollen. Folglich können sie die Position eines Präsidenten, Kalifen, Richters, Imams oder Muezzins innehaben. Was im Koran nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt und möglich.

Verbote als Ausnahme

"Freiheit" ist ein Prinzip des Koran-Islams, Verbote sind die Ausnahme. Wenn es darüber hinaus irgendwelche Ausnahmen gibt, werden sie in den Koranversen ausdrücklich erwähnt. Dadurch gibt es für Frauen, die gerne die oben genannten Positionen erlangen wollen, eigentlich keine Hürden mehr. Der Vers 22 und 23 der 27. Sure "Die Ameise" erwähnt neben dem Propheten und König Salomon die von einer Frau, nämlich der Königin von Saba, geführte Gesellschaft: "Ich fand eine Frau über sie herrschen, und ihr ist alles beschert worden, und sie hat einen mächtigen Thron". Wir bemerken, dass diese Frau in diesen Koranversen als eine intelligente und weise Frau beschrieben wird, umsichtig genug, ihre Gemeinde keinen unnötigen Risiken auszusetzen. Es gibt im Koran keinen einzigen Hinweis darauf, dass eine Frau keine Herrscherin sein könne.

Auch Fuat Sanacs Äußerungen über Atheisten sind unerhört. Blicken wir auf die Aussage "Wenn jemand überhaupt nichts hat, ist er ein Schaf ohne Schafhirt." Was hier IGGÖ-Präsident Sanac behauptet, hat mit dem koranischen Islam nichts zu tun. Ganz im Gegenteil, der Islam sieht in seiner Ideologie und seinem Weltbild keine Hirten- und Schafkultur bzw. Vieh- oder Kuhkultur vor. Im Islam gibt es keinen Oberhirten bzw. Vertreter der Unterhirten, noch eine Schafskultur. Die von Sanac gebrauchte Metapher ist allenfalls durch das Bild von Jesus Christus als der "gute Hirte" und durch das biblische Gleichnis vom verlorenen Schaf erklärbar - im Koran kommt dieses Bild aber nicht vor. Ganz im Gegenteil gibt die Koran-Sure 2 "Die Kuh", Vers 104, eine wichtige Message an die Menschheit: "O die ihr glaubt, saget nicht, "Raina" also leite uns wie Viehweiden, sondern "Unzurna" also Schaue gnädig auf uns."

Der Koran hat dem Menschen die Allmacht entzogen und sie an bestimmte Prinzipien und Leitlinien gebunden. Die Werte werden von Gott gegeben und von ihm verfügbar gemacht. Dem Koran zufolge ist der erste dieser Werte der Verstand. In Sure 10, Vers 100 heißt es: „Und Gott zürnt denen, die ihren Verstand nicht gebrauchen." Was das bedeuten soll, ist einfach: „Wer seinen Verstand nicht gebraucht, dessen Leben verwandelt sich in Dunkelheit." Im Koran sind die Dogmen auf ein Minimum beschränkt. Stattdessen drängt uns der Koran, den Verstand zu gebrauchen. Das sagen alle Koran-Theologen, die ein zeitgemäßes, historisch-kritisches Koranverständnis haben.

Universelle Prinzipien

In die Rechtssprache der modernen Zeit übersetzt heißt das: Die Herrschaft beruht auf den Prinzipien des universellen Rechts. Der Koran verweist immer wieder auf diese universellen Prinzipien. Der Koran ruft dazu auf, den Verstand zu benutzen, und beklagt es, wenn Menschen sich wie eine Viehherde verhalten. Das Volk darf niemanden zu seinem Hirten machen und soll sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Kurzum ist der Verstand nach dem Koran der größte Prophet. Der Verstand müsste nach dem koranischen Islam, kritisch, frei und unabhängig die religiösen traditionellen Glaubensgrundlagen hinterfragen und ihn mit den Erfordernissen der Gegenwart und der Zukunft in Einklang bringen.

Darauf sollten eigentlich alle Muslime sehr stolz sein, doch leider tritt häufig das Gegenteil zu. Dass wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen sollen, hat ein wichtiger Teil der islamischen Intellektuellen bereits begriffen - leider können wir Präsident Sanac nicht zu diesem Kreis zählen, denn dieser behauptet mit bedenklichen Beispielen genau das Gegenteil.

Der Islam der Traditionen, also der "falsche Islam", setzt alle islamischen Grundlagen und Werte, die den Menschenrechten und damit auch der Demokratie den Weg bahnen und sie stärken könnten, außer Kraft. Diese Entwicklung begann, als die despotische Monarchie quasi zur Religion erklärt wurde, eine Ideologie, die uns bis nach Österreich verfolgt. Das System der monarchistischen Herrschaft aber wiederum wird im Koran als ein unzulängliches System der Ungerechtigkeit bezeichnet (siehe hierzu Sure 27, Vers 34). Dass dieses System in der Vergangenheit dennoch die Oberhand gewann, wurde möglich, weil man den Laizismus bzw. Säkularismus in einen Gegensatz zur Religion stellte. "Säkularismus" bedeutet aber nicht, wie viele annehmen, Religion und weltliche Angelegenheiten voneinander zu trennen. Säkularismus heißt, die Legitimation der Herrschenden beziehungsweise Regierenden nicht von Gott abzuleiten, sondern vom Willen des Volkes.

Der Koran verkündet, dass das Prophetentum abgeschlossen ist. Eine der grundlegenden Folgerungen daraus lautet: Das Zeitalter ist beendet, in dem die Völker von Personen geführt werden, die sich auf Gott berufen. Der Koran ist das einzige heilige Buch, das verkündet, dass die Theokratie, der politisierte Glaube, aus dem Leben der Menschen weichen soll. Nicht einmal der Prophet Mohammed ist nach den koranischen Prinzipien der Wächter oder Verwalter über die Menschen und das sollte auch in Österreich so gelten.

Politisierter Glaube

Wie kann überhaupt die IGGiÖ im Namen aller Muslime agieren und sprechen? Faktum ist, dass in Österreich viele der islamischen Organisationen, die behaupten, Muslime zu vertreten, Teil des politisierten Glaubens sind, also eigentlich nicht den wahren koranischen Islam vertreten sondern einen traditionellen Islam, der auf der Theologie und den Sitten und Bräuchen des nahen Ostens beruht (siehe oben: Ahadith). Es ist ganz wichtig, das nicht zu vermischen, denn es zeichnet sich bereits eine gefährliche Entwicklung in Österreich ab.

Unter dem Vorwand des "Dialogs" werden die Unwissenheit oder die Vorurteile mancher österreichischer Politiker, Verbände, Medienrepräsentanten oder Kirchen vom politischen Islam ausgenutzt!

Und wir fragen noch einmal: Wie kann Fuat Sanac sich anmaßen, als Vertreter von mehr als 500.000 Muslimen auftreten zu wollen? Diese Rechnung geht nicht auf!

Und damit nicht genug, führt Sanaç auch noch Argumente an, mit denen er scheinbar versucht, vorzuführen, wenn er als IGGiÖ-Präsident behauptet: "Wir Muslime haben viele Kinder. Von den 500.000 Muslimen sind mindestens 300.000 Kinder. Und wahlberechtigt ist man nur dann, wenn man freiwillig einen Beitrag zahlt. Das haben nur 27.000 Menschen getan." Auf die Frage, wieso es denn so wenige gewesen seien, entgegnet der Präsident der IGGiÖ, dass manche Familien nur eine Person angemeldet haben, welche für die ganze Familie gestimmt habe. Angeblich hätten sie sich gefragt, wieso sie für alle bezahlen sollen, wenn doch schon einer ausreicht. Die Rechnung wird noch hanebüchener: „Wenn ein Verein 2.000 Leute hat, sagen sie - gut, wir schicken 100 Leute, die symbolisch für alle anderen wählen", äußert Sanac. Mit dieser bedenklichen Rechnungslogik stellt sich der IGGiÖ-Präsident Fuat Sanac selbst bloß. Fuat Sanac hat offenbar ein sehr problematisches Verhältnis zur Demokratie und macht darüber hinaus einen völlig überzogenen Repräsentationsanspruch für sich geltend. (Birol Kilic, derStandard.at, 3.8.2011)