Die mazedonische Hauptstadt Skopje ist baugeschichtlich ein höchst interessantes Pflaster. Schon ab 5000 v. Chr. soll die Gegend bewohnt gewesen sein. Im 1. Jahrhundert n. Chr. wurde dann in der Nähe der heutigen Altstadt ("Bazaar") ein römisches Kastell errichtet. Ab dem 4. Jahrhundert war die Stadt als Hauptstadt der römischen Provinz Dardanien ein bedeutendes Handels- und Militärzentrum.

Schon 518 wurde die Siedlung aber durch ein verheerendes Erdbeben völlig zerstört. Im Jahr 535 entschied der römische Kaiser Justinian I., die Stadt neu zu bauen.

1346 wurde Skopje Hauptstadt des Königreichs Serbien. Keine 50 Jahre später, 1392, marschierten allerdings die Türken ein. Unter der Herrschaft von Sultan Mehmed II. wurde dann auch die berühmte Steinbrücke (Bild) erbaut. Noch heute ist sie das Wahrzeichen der Stadt, auch wenn sie in der Zwischenzeit viele Male beschädigt wurde - etwa im zweiten großen Erdbeben, das Skopje bisher schon hinnehmen musste, im Jahr 1555.

Foto: Putschögl

1963 ereignete sich das dritte große Erdbeben. Damals war Skopje - nach mehr als 500 Jahren unter osmanischer Herrschaft, aber auch diversen Eroberungen durch die Österreicher (1689), die Serben (1912 und 1918) und die Bulgaren (1915 sowie 1941 bis 1944) - Hauptstadt der jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien.

Das Stadtzentrum befand sich damals schon am rechten Ufer des Flusses Vardar. Als nämlich Ende des 19. Jahrhunderts die Eisenbahnlinie Belgrad - Skopje - Thessaloniki eröffnet wurde, musste man den Bahnhof von Skopje einige Kilometer südlich der Altstadt bauen. Sukzessive folgte die Stadt dem Schnauben der Dampflokomotiven, ein neues Zentrum zwischen Bahnhof und Vardar entstand.

Bild: Alter Bahnhof, heute das Stadtmuseum.

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Am 26. Juni 1963 blieb dann aber fast kein Stein auf dem anderen. 1070 Menschen starben in dem bereits dritten fürchterlichen Erdbeben in Skopje.

Staatspräsident "Marschall" Josip Broz Tito eilte sofort nach dem Beben herbei, um vor allem zwei historische Sätze zu sprechen: "Skopje musste eine furchtbare Katastrophe erleiden, aber Skopje wird mit Hilfe der gesamten Gesellschaft wieder aufgebaut werden. Es wird ein Symbol der Brüderlichkeit und der Einheit werden, für Jugoslawien und die weltweite Solidarität." In goldenen Lettern wurden diese Worte an eine Mauer des Bahnhofs geschrieben. Später ließ die konservative Regierung die goldenen Buchstaben allerdings entfernen - mit dem Ergebnis, dass das Zitat dennoch lesbar blieb. Bis man erst vor wenigen Monaten der Wand einfach einen neuen Anstrich verpasste. Aus weißer Schrift auf rotem Ziegel wurde eine öde graue Fläche.

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Eigentlich müsste Skopje heute aber ohnehin ganz anders aussehen, als es tut. Denn der Masterplan des japanischen Architekten Kenzo Tange, nach dem Skopje nach dem Erdbeben von 1963 wieder aufgebaut werden sollte, war in erster Linie vom Versuch des Zusammenwachsens der beiden getrennten Stadtteile geleitet. Hüben wie drüben sollte man näher zum Fluss hin wandern, dieser sollte somit zum einigenden Element werden. Tange entwarf einen Bebauungsplan und ein Verkehrskonzept, erdachte öffentliche Plätze, die sich auf beiden Seiten des Flusses erstrecken würden, und integrierte damit die albanische Altstadt im Norden in das moderne Stadtzentrum im Süden.

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Heute ist die Stadt trotzdem und mehr denn je eine geteilte Stadt, eine "divided city", wie die beiden Buchautoren Milan Mijalkovic und Katharina Urbanek in ihrem im Frühjahr erschienenen Buch Skopje. The world's bastard (Wieser Verlag, Klagenfurt) feststellen. Tanges Verkehrskonzept wurde nicht zur Gänze umgesetzt, und viele der Gebäude seines ausgetüftelten Masterplans - der unter anderem eine neue "Stadtmauer" aus Wohngebäuden und ein zentrales "Kerngebiet", geformt aus öffentlichen Einrichtungen, vorsah - wurden schlicht und ergreifend nicht gebaut. Die wenigen tatsächlich realisierten Objekte, wie beispielsweise der Komplex für Post und Telekommunikation von Janko Konstantinov (im Bild rechts im Hintergrund zu sehen), stehen nun versprenkelt in der ganzen Stadt herum, ohne erkennbaren Bezug zueinander.

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Durch die äußerst mangelhafte Umsetzung des Masterplans wurde die Teilung der Stadt in einen mazedonischen (Süden) und einen albanischen Teil (Altstadt im Norden), die eigentlich hätte überwunden werden sollen, weiter verschlimmert, kritisieren Mijalkovic und Urbanek - weil beispielsweise vom geplanten "Ring" aus Wohngebäuden vorrangig jene im Süden errichtet wurden.

Beim gerade stattfindenden Umbau der Stadt im Zuge der "Skopje 2014"-Projekte wird zwar auch das Nordufer des Vardar kräftig bedient und auch neue Brücken gebaut, allerdings werden die wenigen vom Masterplan stammenden Objekte nun geradezu stiefmütterlich behandelt. Die Oper, die in den 1970er-Jahren vom slowenischen Team "Biro 71" gebaut wurde und deren Konzept es war, sich dem Fluss zuzuwenden, wird beispielsweise von den Neubauten völlig verstellt. Ein Sakrileg, kritisieren architekturbewanderte Beobachter.

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Und für so manchen Neubau müssen sich Architekturhistoriker wie Kokan Grcev vom American College Skopje, bis vor kurzem Präsident der Architektenvereinigung Mazedoniens, sogar fremdschämen: Die im Jahr 2009 fertiggestellte Gedenkstätte für die bekannteste Tochter der Stadt, Friedensnobelpreisträgerin Mutter Teresa, hat nämlich neben ihrem kitschigen Äußeren auch eine überaus delikate Geschichte.

Zunächst wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, in dem ein portugiesischer Architekt gewann - mit einem zurückhaltenden, "sehr künstlerischen, gefühlvollen, emotionellen, architektonischen" Entwurf.

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Doch dann passierte Seltsames. Der Wettbewerb wurde annulliert, ein neuer ausgeschrieben, den ein mazedonischer Architekt gewann. Und nun steht hier ein Bau, der "genau das Gegenteil dessen ist, was er repräsentieren soll. Mutter Teresa war jemand anderes. Sie war kein Papst, sie war jemand, die sich um andere kümmerte", klagt Grcev.

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Die neue Gedenkstätte kostete Millionen. Für ein nur wenige Schritte entfernt liegendes Objekt, das alte Kino "Kultura" von Ivan Artemuschkin aus den 1930er-Jahren, bleibt da nicht mehr viel übrig: Es steht leer, seine Zukunft ist ungewiss. 

Eines hat es den vielen protzigen Neubauten in Skopje aber voraus: Es hat schon ein großes Erdbeben überstanden. (Martin Putschögl, derStandard.at, 8.9.2011)

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Buchtipp:

Milan Mijalkovic, Katharina Urbanek: Skopje. The World´s Bastard - Architecture of the Divided City, Wieser Verlag / Klagenfurt 2011, 106 Seiten, Englisch.

 


Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Journalisten-Austauschprogrammes zwischen dem Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) und derStandard.at.

Bild: Wieser Verlag