Vater (Christopher Plummer, o. li.) und Sohn (Ewan McGregor) lernen einander neu kennen: "Beginners" von Mike Mills.

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Mike Mills, Jahrgang 1966, absolvierte zunächst ein Kunststudium, machte Plattencover und Videoclips u. a. für die französischen Elektropopper Air. Sein erster Kinofilm "Thumbsucker" lief 2005 im Wettbewerb der Berlinale.

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Isabella Reicher sprach mit dem US-Regisseur über den autobiografischen Hintergrund des Films und über Konzeptkunst.

Wien – Oliver (Ewan McGregor), ein Grafiker in seinen Dreißigern in East L.A., wirkt ein bisschen aus der Welt gefallen. Sein Vater (Christopher Plummer) ist gerade an Krebs gestorben. Nicht lange vorher hat sich die Beziehung zu ihm noch einmal neu entwickelt und intensiviert – nachdem der frisch Verwitwete sein spätes Comingout vollzogen hatte. Oliver muss jetzt mit seiner Trauer, aber auch mit seinen Bindungsängsten zurande kommen. Zumal nachdem die französische Schauspielerin Anna (Mélanie Laurent) seinen Weg kreuzt.

Autor und Regisseur Mike Mills verarbeitet in seinem zweiten Kinofilm ein Stück eigener Lebensgeschichte: Mit Beginners ist ihm eine zartbittere, leicht verschrobene und grundsympathische Komödie geglückt, die nebenbei noch alle möglichen anderen Geschichten erzählt – von einer Ehe, von Homosexualität in den USA oder von Jack-Russell-Terriern.

STANDARD: Das Comingout Ihres Vaters ist der Motor der Erzählung, im Film ist jedoch der Sohn die zentrale Person. Hat sich Ihr Fokus im Verlauf des Projekts verschoben?

Mills: Mein Vater hätte das sicher auch angemerkt! Es war ein bisschen schwer zuzugeben, dass Oliver im Zentrum steht. Aber es war die einzige Form, wie ich über meinen Vater schreiben konnte. Ich hätte nicht in seine Haut schlüpfen können. Und mein Vater und ich hatten plötzlich diese ganzen neuen Gespräche über Beziehungen und Liebesdinge geführt. Dann ist er gestorben, aber für mich war dieser Austausch noch nicht zu Ende. Ich glaube, da habe ich auch mit dem Schreiben begonnen.

STANDARD: Homosexuelle Hauptfiguren sind im US-Kino noch nicht Mainstream.

Mills: Brokeback Mountain, Milk, The Kids Are All Right, mein Film – die bringt alle der gleiche Verleih heraus, der zufällig auch viele schwule Mitarbeiter hat. Es gibt in den USA aber viele populäre TV-Serien mit homosexuellen Figuren, das Fernsehen kann da wohl auch stärker bewusstseinsbildend wirken. Ich habe einfach über meinen Vater geschrieben. Heterozentrismus ist nach wie vor eine sehr reale und negative Sache: Zu meinen, dass Heterosexualität die Norm sei, grundlegend, korrekt, das ist ein giftiger Gedanke – auch für Heteros. Es ist stumpf und uninteressant. Jeder Film, jede TV-Show, die das ein Stück weit verschiebt, ist positiv. Und die Bandbreite der Filme ist inzwischen größer: I Love You Philipp Morris etwa ist eine Satire, mein Film ist viel realistischer.

STANDARD: Ihre Arbeiten waren früher stark von eigentümlich schwebenden Bildern geprägt – von Horizontalfahrten und Zeitlupen. Das scheinen Sie nun ein wenig aufgegeben zu haben.

Mills: Für mich sind die Unterschiede nicht so groß. Ich verwende nach wie vor Multiple-Action-Szenen, ich verschneide gern Handlungsstränge ineinander. Aber es gibt Kamerafahrten in den Sequenzen, die in der Vergangenheit spielen, weil ich den Eindruck vermitteln wollte, dass man in seinen Erinnerungen ein wenig gefangen ist, ein bisschen wie auf Schienen. In der Gegenwart haben wir mehr mit Handkamera gearbeitet. Wir haben von oben beleuchtet, der Kameramann hatte viel Spielraum. Ich weiß nicht, ob das Publikum das bewusst wahrnimmt, aber die beiden Ebenen sind sehr unterschiedlich inszeniert: sehr kontrolliert versus sehr entfesselt.

STANDARD: Der Protagonist Oliver legt Storyboards an, ist das auch Ihre Arbeitsweise?

Mills: Ich sehe gern alles vor mir, ich pinne die Szenen auf Kärtchen an die Wand. Das hat vielleicht mit meinem Hintergrund als Grafiker zu tun. Begonnen habe ich damit, Erinnerungen an meinen Vater aufzuschreiben. Ein Kärtchen für jede, irgendwann hatte ich einen ganzen Stapel davon. Dann habe ich mir Qualitäten notiert, die der Film haben sollte, wie "kein Selbstmitleid". Und dann kam die Hundegeschichte dazu. Zunächst hatte ich keine Ahnung, wie das zusammenkommen würde. Der Film besteht aus diesen separaten Elementen und hat letztlich den Charakter einer Collage.

STANDARD: Wie wichtig ist Ihnen der Bezug auf bildende Kunst?

Mills: Meine Bilderwelten sind von bildender Kunst und Grafik beeinflusst. Mein Lehrer an der Kunstschule war der deutsche Konzeptkünstler Hans Haacke, es gibt eine Arbeit von ihm über Edouard Manets Spargel-Stillleben. Ein recht langweiliges Gemälde. Haacke hat eine Liste aller Besitzer dieses Bildes gemacht, das ist eine Art Index der Macht im zwanzigsten Jahrhundert geworden. Angehörige der Vichy-Regierung haben es ebenso besessen wie Mitglieder von Aufsichtsräten – das eröffnet viele Assoziationen. Ich habe außerdem ein Faible für Stammbäume. Auch das merkt man meinem Film an.

STANDARD: Und Sie verwischen gern die Grenzen zwischen Dokumentar- und Spielfilm.

Mills: Ja, ich habe diese Technik etwa in meinem ersten Kurzfilm, The Architecture of Reassurance (2000), verwendet, Interviews gemacht mit den Leuten, in deren Haus wir die Spielszenen gedreht haben. Bei Beginners habe ich jedenfalls den Eindruck, dass er auch künstlerisch eine Reise in meine Vergangenheit ist: zu Hans Haacke, an den ich lang nicht gedacht hatte, oder zu Fellinis 8 ½, den ich im College gesehen habe. In meinen Dreißigern hätte ich mich sicher noch davon distanziert, weil es ja auch ein Klischee ist, sich auf diesen Film zu berufen. Heute ist mir das völlig egal – es ist einfach ein großartiger Film, den ich schätze. (Isabella Reicher, DER STANDARD – Printausgabe, 17./18. September 2011)