Tim Berners-Lee gastiert auf Einladung der Telekom Austria in Wien. Er wird beim "future.talk 2011" des Telekomkonzerns mit einer Expertenrunde darüber diskutieren, wer das Internet regiert. Mit ihm nehmen Anke Domscheit-Berg, Beraterin für Open Government, Rechtsprofessor Viktor Mayer-Schönberger und die Kriegsberichterstatterin Antonia Rados in der Spanischen Hofreitschule Platz.

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Telekom-Chef Hannes Ametsreiter und Tim Berners-Lee

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Bereits 1989 entstand im schweizer Forschungszentrum CERN das, was der Volksmund heute allgemein als "Internet" bezeichnet (die tatsächliche Infrastruktur dazu wurde mit TCP/IP natürlich bereits 7 Jahre früher geschaffen). Konkret erschuf der britische Forscher Tim Berners-Lee (mittlerweile ein "Sir") 1989 das World Wide Web und sollte damit die Kommunikation und Informationsgewinnung für immer verändern. Im Vorfeld des diesjährigen "Future Talk" nahm sich der Direktor der WWW Foundation und MIT-Professor eine Stunde Zeit, um mit heimischen Journalisten über die Zukunft und die Herausforderungen des Webs zu sprechen.

Schade um Jobs

Dabei strich Berners-Lee heraus, dass die Zeit nicht dafür ausreiche, um all jene Personen zu ehren, die einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung des Internets beitragen würden. Außerdem sei es ihm nicht erlaubt, zu den vielen "tollen, mächtigen und beängstigenden" Unternehmen Stellung zu nehmen. Mark Zuckerbergs Facebook sei aber trotz "Abschottung" ein wesentlicher Teil des Webs und die Aufbereitung von Daten über Suchmaschinen und persönliche Cloud-Speicher seien wichtige Werkzeuge zur Bewältigung der Informationsflut. Den jüngst verstorbenen Apple-Gründer Steve Jobs habe er unter anderem für die Ermöglichung der "einfachen Nutzung von PCs" und aufgrund des "herausragenden" NEXT-Computersystems verehrt. "Ich war einmal im gleichen Raum wie Steve Jobs. Leider haben wir aber nie miteinander gesprochen", gab sich Berners-Lee gegenüber dem WebStandard betrübt.

Patente schaden der Innovation

Als Verfechter der Netzneutralität und offener Web-Standards sendete der Brite ein klares Wort an die sich mit Patentklagen bekriegende IT-Industrie - Apple und Samsung fielen aus der Runde der Journalisten als prominentes Beispiel. "Das Web war ein Erfolg, weil es keine Patente gab", so Lee. Damit wurde es jedem Entwickler erlaubt, mit der Technologie zu machen, was er wollte. "(Patente) sind ein großer Dämpfer für Technologie und Innovationen." Speziell wenn es nicht mehr nur um die Entwicklung neuer Kerntechnologien gehe, sei die Einforderung von Patenten eine fragwürdige Praxis.

Anonymität und Transparenz gleich wichtig

Differenziert sieht der Forscher die zunehmend wichtiger werdende Debatte um Nutzerrechte im Web. Wenn man an im Internet organisierte Revolutionen oder politische Diskussionen denke, sei es wichtig, dass man als User die Möglichkeit habe, seine Stimme ohne Angst vor Repressalien äußern zu können. "Wir müssen das Recht haben, anonym sein zu können". Allerdings käme hier jeder schnell in einen Zwiespalt, denn "wenn jemand etwas Gemeines über mich sagt, wollen wir wissen, wer das war", gibt Lee zu bedenken. "Es ist kontrovers, doch wir müssen beides haben."

Nicht äußern wollte sich der WWW-Erfinder zu aktuellen Datenskandalen in Österreich und zu konkreten Aktionen der Aktivisten von Anonymous. Klar für ihn sei aber, dass "Anonymität nicht missbraucht werden sollte". "Und wenn sie missbraucht wird, sollte sie aufgehoben werden".

Persönliche Daten privat nutzen

Eine diversifizierte Ansicht hat Lee auch zur verstärkten Nutzung persönlicher Daten durch soziale Netzwerke und Applikationen. Zum einen würde er es begrüßen, wenn sein Computer Einblick in seinen persönlichen Kalender habe, um neue Termine automatisch passend einzurichten. Auch erleichtere es ihm das Leben, wenn er sich seine Konfektionsgröße nicht merken müsse und der Schneider oder das Schuhgeschäft darüber informiert seien. Doch müsse man klare Grenzen ziehen können, wer auf diese Daten Zugriff habe. Eine wesentliche Herausforderung sei also die private computergestützte Nutzung von persönlichen Daten. Hier würden private Cloud-Speicher eine tragende Rolle in der Zukunft spielen.

Filesharing half der Industrie

Den Austausch von Daten über Filesharing-Dienste sieht Lee nicht als großes Übel, wie es die Medienindustrie gerne darstellt. "Das Internet hat es einigen Leuten ermöglicht, kostenlos Musik zu hören. Doch das Internet hat auch vielen Leuten es erlaubt, für Musik zu zahlen." Er denke beispielsweise an iTunes oder andere Download-Stores, die vielleicht die Industrie auf den Kopf gestellt, aber ihr auch neue Chancen gegeben haben.

Die Zukunft des Internets sieht der WWW-Erfinder demnach ebenfalls positiv. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass es viel Platz für revolutionäre Entwicklungen gäbe. "Jeden Tag gibt es zig große neue Ideen" und wenn sich eine davon durchsetze, würde sie uns wie das Internet selbst vor den Kopf stoßen. Umso wichtiger sei daher die Bewahrung offener Standards und die Förderung von Entwicklungen. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 11.10.2011)