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Der chinesische Künstler Ai Weiwei, von den Behörden wegen seiner oppositionellen Haltung verfolgt, macht aus Schuldscheinen Kunst. Wie es dazu kam, erklärte er dem Standard bei einem Atelierbesuch.

AP / Ng Han Guan

Eigentlich hatte sich Ai Weiwei ja nur mit Schuldverschreibungen, die er inhaltlich und künstlerisch verfremdete, bei zehntausenden Unterstützern bedanken wollen. Sie hatten ihm mit spontanen Geldsendungen in seinem Steuerstreit mit Pekings Behörden geholfen. "So etwas passiert nicht oft, schon gar nicht in China. Früher habe ich daran gezweifelt, dass so etwas in unserer Gesellschaft möglich sein könnte", sagt Ai Weiwei. Aber nun sei er eines Besseren belehrt worden, eine beglückende Erfahrung: "Jeder hatte das Gefühl, dass es dabei nicht um Geld, sondern um Recht und Unrecht und um eine Aktion von symbolischer Bedeutung ging."

An jene Freunde und Fans, die ihm insgesamt fast eine Millionen Euro überwiesen hatten, verschickt er nun spezielle Schuld- titel. Darin verpflichtet sich der 54-Jährige, alle Spenden als Kredite zu verbuchen und auf Heller und Pfennig zurückzuzahlen: "Meine Helfer und ich haben schon mehr als 5000 Schuldscheine verschickt. Ich unterzeichne jeden Tag rund 500 solcher Schreiben", jedes Detail habe er "mit großer Sorgfalt konzipiert".

Als Vorlage dienten ihm alte Schuldbriefe, weil sie "ein Bewusstsein über traditionelle Werte wecken: Jeder übernimmt Verantwortung für das, was er tut." Auf diesen Jieuju genannten Schuldscheinen stehen die chinesischen Begriffe für Gleichheit, Gerechtigkeit und für die Tugend, für andere einzutreten, sowie von Ai in traditioneller Sprache, aber mit modernen Inhalten verfasste Statements. Nur die Gläuber-Namen und die Spenden-Höhe unterscheiden sich: "Hiermit bescheinige ich die Summe von xxx Yuan geliehen zu haben. Aus unerklärbar gebliebenen Gründen werden mir hohe Schulden angelastet. Zum Glück gibt es herzensgute, idealistische und couragierte Menschen, die mir helfen wollen, das Dunkle zu überwinden, um Gerechtigkeit zu finden. Ich gelobe, mich würdig zu erweisen. Ich werde selbst die geringste Schuld zurückzahlen. In Sorge vor Unvorhergesehenem gebe ich kein mündliches Versprechen ab, sondern besiegele meine Verpflichtungen mit diesem Schuldschein. Die rechte Seite erhält der Gläubiger, die linke verbleibt beim Schuldner. Gezeichnet Ai Weiwei mit Datum und Jahreszahl."

29.434 Chinesen, die dem Künstler umgerechnet eine Millionen Euro überwiesen haben, haben oder werden noch solche Schreiben erhalten. Die meisten stellten ihre handsignierten Ai- Weiwei-Orginale über Mikroblogs ins Internet. Manche machten vorsichtshalber ihre Namen unkenntlich. Andere ließen den Schein wie ein kostbares Bild rahmen. Ihre "Kunstwerke" haben sie zu den unterschiedlichsten Preisen erworben. Ein Schüler schickte nur fünf Mao (sechs Cents), andere transferierten umgerechnet zehntausende Euro. Ihre Schuldscheine unterscheiden sich nur in Farbe und Form der Stempelmarken, die in der Anzahl der gespendeten Summe aufgeklebt sind.

Scheinbare Freiheit

Eines der Symbole auf den Stemplemarken ist das lamaähnliche "Caonima"-Pferd. 2009 im Internet kreiert, stehe dieses Fantasiepferd für einen mit Humor geleisteten Widerstand gegen Obrigkeiten, "das niemandem gehorcht und unbeugsam ist". Auf anderen Marken hat er Porzellan-Sonnenblumenkerne abgebildet, seit seiner Ausstellung in der Londoner Tate Modern seine bevorzugten Symbole für Chinas Menschen.

Die scheinbare Freiheit, in der solche Happenings zustande kommen, täusche viele Beobachter über seine wirkliche Lage, sagt Ai: "Die Polizei verdächtigt und behandelt mich weiter als mutmaßlichen Kriminellen. Mein Status hat sich nicht verändert." Er müsse sich "einmal, manchmal auch dreimal pro Woche" auf dem Polizeirevier melden. Auch nachdem er im Streit mit Pekings Steuerbehörden eine Garantiezahlung von 8,45 Mio. Yuan - umgerechnet rund 980.000 Euro - geleistet hat, könne er Peking nicht verlassen. Er dürfe auch nicht zur Eröffnung seiner Ausstellungen ins Ausland reisen. Auch seiner Frau Lu Qing, gegen die das Steuerverfahren als offizielle Inhaberin der Künstleragentur Fake Cultural Development läuft, sei nach einem Polizeiverhör gerade erst gesagt worden, sie dürfe das Land nicht verlassen.

Vor Ais Pekinger Atelier stehen zwei Polizeiwagen. Jeder Besucher muss den Beamten seinen Ausweis zur Aufnahme der Personalien zeigen. Aber der Leumund von Ai Weiwei ist inzwischen so gut, dass selbst Schuldverschreibungen aus seiner Hand hohe Kunst geworden sind. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD/Printausgabe 13. Dezember 2011)