"In Order of Appearance" bei Jacksons
Lindenstraße 34, Berlin
Bis 23. Juli

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Foto: Hersteller

Wenn die Geschichte stimmt, muss man sich fragen, in was für einer Liebe sich Jonas Bohlin zu seiner Frau verbunden sah. Der schwedische Designer, der mit seinen Stühlen für so manche Schockwellen sorgte, soll sich diesen Stuhl als Hochzeitsgeschenk für seine Frau erdacht haben, auf dem man gleich zu Beginn der Ausstellung namens "In Order of Appearance" in der Galerie Jacksons trifft.

Der "Sto Chair" aus dem Jahr 1990 besticht durch seine großen Muttern, seine Sitzfläche aus Stahl und die schweren Beine aus harter Eiche. Man könnte ihn klobig elegant nennen. In jedem Fall ist er puristisch, funktionalistisch, auf das Nötigste reduziert, wobei das Nötigste durch die entsprechenden Materialien und die Form überbetont wird. Der in nur wenigen Exemplaren produzierte Stuhl ist ein Statement, vielleicht gegen die Bequemlichkeit und Behäbigkeit, ganz sicher für das Handwerk, für die harte Arbeit. Wie ein Mahnmal steht er vor dem Besucher, und man fragt sich einmal mehr, was Bohlin in seiner Frau wohl gesehen hat. Ein paar Meter entfernt findet man schließlich Bohlins "Beton Chair" aus kühlem Stahl und Beton. Und man versteht nur zu gut, welcher Aufschrei durch die schwedische Designwelt ging, als Bohlin ihr 1981 dieses provokante Projekt gegen das Sitzen präsentierte. 

Leichtigkeit und Luftigkeit

In den ausladenden Schaufenstern stehen Stühle von Mies van der Rohe, Marcel Breuer oder die Zig Zag Chairs von Gerit Rietveld, so angeordnet, dass ihre geschwungenen oder harten Formen zu spannungsreichen Skulpturen verschmelzen. Von der Decke schweben Stühle, Leichtigkeit und Luftigkeit betonend. An den Rändern des Ausstellungsraumes stehen, gestapelt oder nebeneinander, Stühle von Alvar Aalto oder die Campingstühle von Ilmari Tapiovaara, deren Falt-Technik oft kopiert wurde. Beim Anblick der Sitzmaschine, die von Josef Hoffmann für das Pukersdorf Sanatorium bei Wien entworfen wurde, reibt man sich die Augen. Vor allem, weil dieser monströs-technische Stuhl so viel Modernität ausstrahlt, dass man kaum glauben kann, was man über ihn erfährt: Dieser Stuhl stammt aus dem Jahr 1908.

Solche Aha-Momente erlebt man des Öfteren in der Ausstellung, die Armlehnenstühle, Drehstühle, Faltstühle, Klappstühle oder Freischwinger aus dem 20. Jahrhundert zeigt. Der Schwerpunkt liegt auf skandinavischem Design. Es ist keine chronologisch gearbeitete Schau, die den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sondern eine Sammlung von interessanten, außergewöhnlichen Stücken, die die Kuratorin Ilke Penzlien aus der umfangreichen Sammlung der Galerie Jacksons in Stockholm ausgewählt hat. Die Anordnung folgt der Formensprache, der Beschaffenheit, der Materialien oder einfach nur "assoziativen Beweggründen", wie Penzlien sagt. Es ist auch nicht unbedingt dieser etwas zu kunstwollende Meta-Überbau, der die Berliner Schau so lohnenswert macht. Es sind die Stücke selbst. Solch eine Ausstellung ist ein weiterer Beweis dafür, wie wichtig es ist, Möbel-Design endlich in einem ansprechenden Konzept museal aufzuarbeiten. Nicht alle Stücke wie Bohlins Stühle oder die Stühle des Theatermachers Robert Wilson verbinden Kunst und Funktionalität. Aber sie sprechen eine Sprache, die für ihre jeweilige Zeit steht. Diese Sprache in ihren kultur-historischen Entwicklungslinien sichtbar zu machen wäre ein Verdienst.

Alltäglich und trivial

Denn man sollte sich dies bei Zeiten in Erinnerung rufen: Der Stuhl ist eine der markantesten Erfindungen der Menschheitsgeschichte. Wie viele Bücher, Sinfonien, Chemieformeln, Kinofilme wären nicht erdacht, erfunden und geschrieben worden - ohne den Stuhl. Auf dem Stuhl lässt man sich nieder, um sich auszuruhen, zu arbeiten oder um sich der Geselligkeit hinzugeben. Und auch, um Macht auszuüben. Und da muss man wieder an Bohlins "Beton Chair" denken, der auch eine Kritik an der Sesshaftigkeit der Macht sein könnte.

Der Stuhl ist so alltäglich und trivial, dass seine Existenz als selbstverständlich verstanden wird. Für Designer aber war der Stuhl immer ein beliebtes Objekt - eben, weil er seinen festen Platz in der Wohnung und im Leben hat und weil er aufgrund seiner recht statischen Beschaffenheitsformel (Lehne, Sitz, Beine) einen eher engen Radius an Entwicklungsmöglichkeiten vorgibt, der für jeden seriösen Designer eine Herausforderung darstellt. Was wäre der Mensch also ohne den Stuhl? In Berlin gibt es einen schönen Denkanstoß. (Ingo Petz, Rondo, DER STANDARD, 30.03.2012)