Irgendein Hotel, irgendwo in London. Ein Olympiagast aus Österreich checkt ein, der Rezeptionist macht ihn auf eine Aktion aufmerksam. Jeder Gast darf tippen, wie viele Olympiamedaillen sein Heimatland gewinnen wird, und liegt er richtig, gewinnt er eine Gratisübernachtung. Wirklich nur ganz kurz überlegt der Österreicher, welcher Tipp die beste Chance haben könnte, dann malt er eine große Null auf einen Zettel und gibt den Zettel ab.

Der Österreicher war vor drei Wochen natürlich im Vorteil gegenüber Amerikanern, Chinesen, Deutschen, Ungarn oder Kasachen, deren Medaillenanzahl selbst für Kundige kaum zu erraten war. Die österreichische Nullnummer war alles andere denn Zufall. Es hat in London schlicht keine Ausnahmen von den Regeln mehr gegeben. Ausnahmen, wie sie zuletzt etwa Markus Rogan, Mirna und Dinko Jukic oder Kate Allen hießen. Allesamt Einzelkämpfer. Oder nicht im österreichischen Sportsystem groß geworden. Oder beides.

Die Regeln sind folgende. Österreichische Spitzensportler finden in Österreich oft keine guten Trainingsbedingungen vor. Bleiben sie dennoch in Österreich, fehlt im Training die Herausforderung, weil sie national unangefochten sind. Österreichische Spitzensportler haben selten Weltklassetrainer. Es gibt in weiten Teilen der Gesellschaft kein Bewusstsein für Sport. Schon Schulkinder bewegen sich zu wenig. Von wenigen Talenten werden wenige rechtzeitig erkannt und gezielt unterstützt. Österreichische Spitzensportler haben nur selten die Chance, sich mit dem Sport wirklich eine Lebensbasis zu schaffen.

Die Liste stellt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Doch eine Regel liegt allen anderen zugrunde. Österreichs Sportpolitiker und Sportfunktionäre sind nicht in der Lage, vernünftig miteinander umzugehen. Auf höchster Ebene herrscht Sandkistenniveau. ÖOC-Präsident Karl Stoss nennt Sportminister Norbert Darabos einen "Olympia-Touristen" , Darabos das ÖOC eine "Beschickungsagentur". Bei derartigem Tiefgang lässt sich kein Strang definieren, gemeinsames Ziehen ist sowieso ganz weit weg.

Darabos will die Sportförderung gesetzlich neu verankert wissen, war aber nicht in der Lage, den Vorschlag rechtzeitig mit Parteifreund Peter Wittmann abzustimmen, dem Chef des Bundes-Sportorganisation (BSO). Wittmann beschwert sich, dass er keine Zeit zur Begutachtung hatte. Darabos beschwert sich, dass Wittmann blockiert. Dafür bildet er eine Achse mit ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel, der nun plötzlich Talente im Sommersport sichten soll. Das begeistert (nur) die Kronen Zeitung, sie ist Partner des Skiverbands.

Angesichts so vieler Streithansln hüte man sich davor, sich auf eine Seite zu schlagen. Auch ein Machtwort übergeordneter Instanzen würde nichts bringen. Außerdem finden die rote und die schwarze Parteispitze in Schulfragen ganz generell nicht zusammen. Das Ergebnis eines Pisa-Tests für Leibesübungen will man sich freilich nicht vorstellen.

Dass Darabos, Wittmann und Stoss die Sandkiste verlassen, ist eine Utopie, selbst sie käme für die Spiele in vier Jahren viel zu spät. Was der österreichische Olympiagast tippen wird, wenn ihn der Rezeptionist in Rio de Janeiro 2016 auf eine Hotelaktion aufmerksam macht, kann also schon jetzt beantwortet werden. Er wird eine große Null auf einen Zettel malen. (Fritz Neumann, DER STANDARD - 13.8. 2012)