Lilli Hollein

Foto: Michael Brus

STANDARD: Sie haben Design an der Wiener Universität für angewandte Kunst studiert? Warum sind Sie keine Designerin geworden?

Lilli Hollein: Weil sich schon während des Studiums herauskristallisiert hat, dass mir der Entwurf nur bis zu einem gewissen Grad Freude bereitet hat. Ich merkte bereits damals, dass mir das Herz aufgeht, wenn es darum geht, die Sache an sich zu vermitteln.

STANDARD: Jeder kennt Modeschöpfer wie Armani, Lagerfeld oder Prada. Namen großer Objektdesigner wie Dixon, Newson oder Grcic lösen weitgehend noch immer Achselzucken aus. Warum ist das so?

Hollein: Weil sich die Szene eine ganze Weile zu wenig gefeiert hat im Gegensatz zur Modewelt, in der Events auch eine unglaubliche mediale Anziehungskraft ausüben. Eine Fashion-Week in Mailand oder New York kriegt der normale Medienkonsument zwangsläufig mit, weil der neueste Prada-Entwurf auf den Titelseiten der seriösen Tageszeitungen abgebildet wird. Auf der Möbelmesse in Mailand trifft sich die gesamte internationale Designszene, aber von außen wird das Ganze kaum wahrgenommen. Und natürlich kommt folgende Frage dazu: "Wie aufgeregt kann man anlässlich einer Sofapräsentation schon sein?" Aber es ist auch gut, dass die Schnelllebigkeit der Mode, die ja auch im Design versucht, Einzug zu halten, einfach nicht funktioniert. Das steht ja auch in keinem Verhältnis zum Verhalten des durchschnittlichen Konsumenten. Außerdem hat der Designbegriff, so wie ich ihn auffasse, mittlerweile eine derartige Breite an Facetten, dass er schwer zu vermitteln und zu erfassen ist.

STANDARD: Auch der Name Hollein ist ein sehr bekannter. Ihr Vater, Hans Hollein, ist ein international anerkannter Architekt, Ihr Bruder leitet erfolgreich die Schirn-Kunsthalle und das Städel-Museum in Frankfurt. Hierzulande wird einem schnell Freunderlwirtschaft vorgeworfen.

Hollein: Natürlich war die Entscheidung, in der Stadt zu bleiben, in der ich aufgewachsen bin und in der mein Vater wirkt, eine Entscheidung, die ich immer wieder überdacht habe. Fürs eigene Selbstbewusstsein ist es natürlich einfacher, woanders hinzugehen, wenn man so wie ich davon überzeugt ist, dass es die Leistungsbereitschaft ist, die einen weiterbringt, und nicht der Name. Aber ich habe immer in einem internationalen Umfeld gearbeitet, und da spielt der Name selten eine Rolle.

STANDARD: Wie gehen Sie mit Vorwürfen in diese Richtung um?

Hollein: Ich bekomme glücklicherweise nicht oft Vorwürfe dieser Art. Und natürlich bekommt man mit der Zeit eine dickere Haut. Unterstellungen kommen aber glücklicherweise nie von Menschen, die mit mir zusammengearbeitet haben oder die mich persönlich kennen. Insofern muss man so etwas von sich wegschieben. Aber gerade im Zeitalter der Postings, schauen Sie mal auf derStandard.at, braucht man schon eine Ritterrüstung, um unberührt zu bleiben.

STANDARD: Gibt es eine Begegnung mit einem Designer, die Ihnen ganz besonders in Erinnerung geblieben ist?

Hollein: Meine Eltern haben meinen Bruder und mich zum Beispiel mit Buckminster Fuller zusammengebracht. Ich erinnere mich an einen freundlichen, alten Mann, der meinem Bruder ein Taschenmesser mit versenkbarer Klinge verkauft hat, wie man das halt mit Messern so macht. Auch an ein Mittagessen mit Philippe Starck, André Putman und der ganzen Crème de la Crème der Entwerfer in Paris kann ich mich sehr gut erinnern. Ich war elf und freute mich vor allem darüber, nach Paris zu kommen und den Vokabeltest schwänzen zu dürfen. Und mein All-time-Hero ist Ettore Sottsass.

STANDARD: Sie hatten sich auch für die Leitung des MAK beworben. Enttäuscht, dass es nicht geklappt hat?

Hollein: Ich hab mich beworben, weil es für mich kaum einen größeren Sehnsuchtsort als das MAK gibt, das meine Interessen an Architektur und Design mit einer unfassbar tollen Sammlung abdeckt. Die Herausforderung, wie man gerade an diesem Ort Design vermittelt, wäre natürlich sehr reizvoll gewesen. Aber ich wünsche Christoph Thun-Hohenstein nicht nur eine, sondern mehrere Amtsperioden als Direktor. Und danach bin ich noch immer im richtigen Alter, um mich noch einmal zu bewerben.

STANDARD: Also waren Sie nicht enttäuscht?

Hollein: Man bewirbt sich nicht, ohne etwas zu wollen.

STANDARD: Wie wäre es mit einem eigenen Designmuseum in Wien?

Hollein: Ist das MAK nicht ein Designmuseum?

STANDARD: Nicht nur. Und vor allem nicht in den vergangenen Jahren. Wie sollte ein Designmuseum aussehen?

Hollein: Es gibt sicher Potenzial für einen weiteren Ort, und das muss ein Ort sein, an dem ein breiter Designbegriff behandelt wird, an dem man Entwicklungen wissenschaftlich bearbeiten kann, der sich aber auch an eine breite Öffentlichkeit wendet. Es geht darum, kritische Konsumenten heranzubilden. Ich denke schon, dass so ein Zentrum funktionieren würde, aber man muss den Typus Designmuseum sicher neu definieren. Ich finde, es gibt nichts Langweiligeres, als eine Ausstellung mit Technoschrott von 1970 bis 1990 zu zeigen. So stell ich mir kein Designmuseum vor.

STANDARD: Sie veranstalten gemeinsam mit Tulga Beyerle bereits zum sechsten Mal die Vienna Design Week. Ursprünglich war die Intention, das Design mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Warum ist das gerade hierzulande so notwendig?

Hollein: Schon im Rahmen meiner frühen journalistischen Arbeit wurde mir klar, dass sich das Verständnis von Design in der breiteren Öffentlichkeit nur auf Schnickschnack reduziert, auf eine äußerlich attraktive Hülle, die aber etwas von einer Mogelpackung hat. Es geht mir darum, den Begriff positiv aufzuladen. Gerade bei den Unternehmen in Österreich gibt es nach wie vor sehr viel Nachholbedarf.

STANDARD: Wie sieht es mit der Lernfähigkeit heimischer Unternehmen bezüglich dieses Nachholbedarfs aus? Hängen sich nicht viele den Begriff Design wie ein Mäntelchen um, um damit zu punkten, ohne aber wirklich zu verstehen, worum es bei Design geht?

Hollein: Bei vielen wäre ich schon froh, wenn sie sich wenigstens das Mäntelchen umhängen würden. Das würde bedeuten, man hätte wenigstens irgendeinen Wert von Design erkannt. Ich erschrecke oft über die Geringschätzung österreichischer Unternehmen gegenüber Design. Das ist zum Teil fatal. Ein international umtriebiger Unternehmer sagte mir tatsächlich: "Das Design überlassen wir den italienischen Mitbewerbern, die tragen ja auch die schickeren Anzüge." Dabei geht es bei Design doch um grundlegende Nachdenkprozesse zwischen Unternehmen und Designschaffenden, die viel tiefer eingreifen als nur in die Gestaltung. Es fehlt nicht nur das Interesse an der Disziplin Design, es fehlt schlicht an der Kenntnis um die Breite des Spektrums an Dienstleistungen und Möglichkeiten, die diese Disziplin bietet.

STANDARD: Design begleitet uns vom Aufwachen bis zum Einschlafen und auch noch danach. Es ist also eine Sache, die jeden etwas angeht. Warum beschäftigen sich die Menschen nicht bewusster mit den Dingen, die sie permanent umgeben?

Hollein: Weil sie immer mehr gelernt haben, mit mittelmäßigen Dingen zu leben. Sie stellen zu wenige Ansprüche und lassen sich zu sehr irreführen. Ich denke, der spürbare Trend hin zum Handwerk liegt nicht nur in einer tendenziell spürbaren Verspießerung der aktuellen Generationen, sondern auch darin, dass man erkennt, dass Individualisierung Produkte betrifft, die "meine" Anforderungen erfüllen. Diese muss man aber erst einmal artikulieren können.

STANDARD: Was wäre Ihr Traumjob?

Hollein: Ich denke, den hab ich. Ausstellungen und Wettbewerbe zu kuratieren, meine Tätigkeit als Jurorin, Texte zu schreiben, natürlich die Vienna Design Week, all das ist schon eine großartige Sandkiste.

STANDARD: Verdient man gut mit der Designweek?

Hollein: Nein. Eine Sache gut zu machen und etwas weiterzubringen bedeutet nicht immer den nötigen finanziellen Rückhalt. Eine weitere Lektion, die ich schon zu Hause vorgelebt bekommen habe.

STANDARD: Das Programm der Design Week ist auch heuer wieder ein gewaltiges. Gab es nie Überlegungen, diese Designfestspiele zeitlich auszuweiten. Man müsste zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten sein, wenn man wirklich alles mitbekommen wollte. Graz zum Beispiel veranstaltet einen ganzen Designmonat?

Hollein: Ein Grund dafür, warum die ganze Sache so dicht ist, liegt darin, dass wir mittlerweile zu einem internationalen Festival geworden sind. Es gibt eine Menge von Leuten, die wirklich anreisen, um teilzunehmen. Eine Dramaturgie zu erschaffen, diesen Spannungsbogen über drei Wochen zu halten, ist kaum möglich. Es hat auch mit Budget und den Sponsoren zu tun. Wir veranstalten dieses Projekt jedes Jahr aufs Neue aus eigenem Entschluss und ohne längerfristig gesicherte Basisfinanzierung. Außerdem glaube ich, dass gerade so ein Festival eine solche Intensität braucht. Die Viennale tröpfelt auch nicht über drei Monate mit drei Filmen pro Abend dahin. Unser Anspruch ist auch nicht, dass jeder alles sehen muss. (Michael Hausenblas, Rondo, DER STANDARD, 28.9.2012)