Andreas Khol und Karl Blecha kennen einander aus jahrelang gepflegter Gegnerschaft - und aus gemeinsam getragenen Koalitionen.

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Im Seniorenrat arbeiten sie zusammen, ein unbedingtes Bekenntnis zur großen Koalition gibt es aber nur von Blecha.

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Andreas Khol: "Weniger öffentlich nachdenken. In meiner Partei müsste Disziplin herrschen."

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Karl Blecha: "Auf keinen Fall darf man die Wähler verärgern. Auch nicht die der FPÖ."

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STANDARD: Was darf man bei Koalitionsverhandlungen keinesfalls tun?

Khol: Hudeln.

Blecha: Man darf nicht unvorbereitet in die Sitzungen gehen. Man muss sich vorher eingehend mit Experten der anstehenden Themen beraten. Es geht um Inhalte und deren Durchsetzung. Ich habe bei Regierungsverhandlungen erlebt, dass man unbequeme Forderungen als unfinanzierbar oder nicht vollziehbar zurückweist, wenn man sie nicht klar zu begründen versteht.

STANDARD: Und dann sitzen einander wohlinformierte, gut aufmunitionierte Verhandlungspartner mit sachlich begründeten, unverrückbaren Standpunkten gegenüber?

Khol: Meine Erfahrung ist das Gegenteil. Es gibt zwei unterschiedliche Verhandlungssysteme: Die Deutschen sind immer sehr schnell fertig, weil sie nur Grundsätze in ein Übereinkommen schreiben. Die Holländer, Belgier, aber auch wir verhandeln alle größeren Projekte fertig durch - ein Koalitionsvertrag hat dann 130, 140 Seiten, und das ist gut so. Was allerdings in unterschiedlicher Intensität und Professionalität gelungen ist, war das Projektmanagement - dass also das, worauf man sich geeinigt hat, nach Zeitplan von den Regierungspartnern mit Kraft durchgezogen wird.

STANDARD: Wobei man das erst einmal den eigenen Anhängern klarmachen muss. Sie haben beide Koalitionen erlebt, wo es beim freiheitlichen Koalitionspartner ...

Khol: ... gewurlt hat, ja.

STANDARD: Und wo dann jeweils die Kanzlerpartei gesagt hat: Da hören wir jetzt auf damit.

Khol: Diese Zusammenarbeiten waren ja auch von der Öffentlichkeit nicht goutiert. Eine Zank-Koalition geht nicht. Es hat ja immer - (zu Blecha) bei euch auch - beide Denkschulen gegeben. Sollen die Partner kuscheln? Dann schreiben die Zeitungen nur: "Bäh, die kuscheln nur mehr. Wo bleiben die Grundsätze?" Oder sollen Sie sich gegeneinander profilieren? Wolfgang Schüssel hat in den 1990er-Jahren mit Viktor Klima sehr gut zusammengearbeitet. Dann hat Andreas Rudas dem Klima geraten: "Du musst Profil gewinnen und streiten." Dann kam der Streit, und dann war es aus.

STANDARD: Das hat es aber doch auch in der ÖVP gegeben. Da hat es geheißen: "Die ÖVP muss mehr Ecken und Kanten zeigen."

Khol: Ja das ist genau das Gleiche.

Blecha: 2008 hat Molterer gesagt, "es reicht" und Faymann "genug gestritten". Wir sind ja beide der Meinung: Die amtierende Regierung hat relativ viel weitergebracht - im internationalen Vergleich Herzeigbares ...

Khol: Die Sanierung der Krankenkassen!

Blecha: Genau - während es in anderen Ländern Leistungskürzungen im Gesundheitsbereich gab, war Österreich das einzige Land, das Leistungen ausgebaut hat ...

Khol: ... und die Kassen saniert hat und die Schulden zurückzahlt. Eine Koalition müsste so funktionieren, wie Karl Blecha und ich zusammenhalten. Rotes Urgestein. Schwarzes Urgestein. Wir haben einander befetzt in der aktiven Zeit. Aber wenn wir jetzt zusammenarbeiten, arbeiten wir zusammen. Und das Projektmanagement müssten wir von der Sozialversicherung lernen - der Hauptverband hat ein perfektes Management. Das funktioniert. Bei der letzten Regierung hat es zwischen Faymann und Spindelegger, glaube ich, auch gut funktioniert. Aber das Projektmanagement hat gefehlt.

STANDARD: Und das Marketing?

Blecha: Ja, das stimmt. Wir haben von den großen Erfolgen gesprochen - aber die Bevölkerung hat es nicht mitgekriegt, obwohl ein irrsinniger Aufwand mit Inseraten getrieben wurde. Aber die Zeitungskommentare haben eher das Negative unterstrichen.

STANDARD: Es gehört zum Wesen der Medien, dass sie das Positive abhaken und sich auf das Aufzeigen von Fehlentwicklungen konzentrieren.

Khol: Es hat auch nie eine gemeinsame Veranstaltung von Bundeskanzler und Vizekanzler gegeben, wo man den Erfolg gemeinsam zelebriert hätte. Die Einigung über die Gesundheitsreform war eine wirkliche Sensation.

Blecha: Da ist dem Alois Stöger wirklich alles gelungen - und in den Zeitungen wird das nicht registriert, da heißt es: "Der wird am besten eingespart."

STANDARD: Die Sachthemen sind auch nicht so sexy.

Khol: Gesundheit ist immer sexy! Man könnte da vieles machen. Oder die Bildung. Da haben wir uns auf die Neue Mittelschule konzentriert, haben uns geeinigt. Und das ist sofort verpufft, weil am gleichen Tag eine Diskussion um die Gesamtschule losgetreten wurde.

STANDARD: Was müsste man also tun?

Khol: Weniger öffentlich nachdenken. Keine Einzelaktionen. In meiner Partei müsste Disziplin herrschen - dass nicht ein Minister die "Superidee" hat, dass er plötzlich mit dem Zwölfstundentag daherkommt. Das muss ein Ende haben! Auch den Lehrern zu sagen: "Ihr seid willkommen zu Verhandlungen, aber Ihr müsst mehr arbeiten und weniger verdienen."

STANDARD: Das ist aber eine gängige Arbeitgeberposition.

Blecha: Das ist die übliche Rollenverteilung.

Khol: Aber nicht in einem Regierungsamt. Wenn man Regierungserfahrung hat, weiß man, dass man eine Verhandlung nicht so anfängt, sondern sagt: "Wir haben gemeinsame Ziele, wie setzen wir sie um?"

STANDARD: Muss in einer Koalition nicht jede Partei bei ihren Anhängern auch für die Politik des Partners werben?

Blecha: Wesentlich ist, dass Bürgerinnen und Bürger, nicht nur Parteimitglieder, viel, viel mehr zum Mitwirken, zur Teilnahme, zur Entwicklung von Reformen aufgefordert werden. Es geht nicht mehr, dass Politik nur von oben verordnet wird.

STANDARD: Aber wenn man Leute einbindet, dann wollen vor allem die Jüngeren, dass ihr Standpunkt zu 100 Prozent umgesetzt wird. Es fehlt doch an Konsenskultur?

Blecha: Ja ...

Khol: ... und an Erfahrung.

Blecha: Die Zeit erfordert aber neue Lebensmuster. Wir müssen uns fragen, was Glück ausmacht. Was muss man tun, um glücklich zu werden - auch indem man einem anderen hilft?

Khol: Ich glaube, dass die Partizipationskultur, die wir nur im Vorfeld von Wahlen haben, zu einer Dauereinrichtung werden muss. Das wird ein Hauptteil der Parteiarbeit werden müssen: dass man ernst nimmt, was an einen herangetragen wird. In Abwandlung der "Internationale" würde ich sagen: "Parteien hört die Signale, auf zum letzten Gefecht!" Es ist die letzte Chance. Wie viele Politiker beantworten Mails und Briefe? Die meisten haben direkte Kommunikation nur in Wahlzeiten.

STANDARD: Sie wollen auch mehr mit anderen Parteien reden?

Khol: Es muss plastischer werden, warum Parteien zusammenarbeiten. Die Wähler der Neos wollen, dass man sie ernst nimmt. Auch die Wähler der FPÖ wollen das. Wenn herauskommt: Da gibt es unüberbrückbare Differenzen, dann vollziehen das die Menschen nach. Es muss auch die Opposition bei großen Projekten - und zwar schon in der Planung - eingebunden werden.

Blecha: Auf gar keinen Fall darf man die Wähler verärgern. Auch nicht die der FPÖ, indem man sagt: "Die sind uninteressant." Ich glaube aber, die stimmenstärksten Parteien sind aufgerufen, in Übereinstimmung mit der Bevölkerungsmehrheit zu gestalten. Nicht allein im stillen Kämmerlein, sondern im Dialog - doch das Hereinnehmen von weiteren Gruppen in die Regierung würde den Reformprozess stören. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 5.10.2013)