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Lou Reed 2010 auf der Viennale.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

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Im November 2012 in Berlin, bei der Präsentation seines Buchs "Rimes - Rhymes".

Foto: EPA/Nicolas Armer

Wien / New York - Lou Reed war wohl ein Mann, der sich nicht gern mit Nebensächlichkeiten aufhielt. Eine berühmt gewordene Lebensweisheit des prototypischen New Yorkers mit Hang zu keinen Manieren, verhaltensauffälligem und genüsslich zur Schau gestelltem Zynismus und erheblichem Selbstbewusstsein lautete: "Ein Akkord ist eine feine Sache. Mit zwei Akkorden will man es vom Anspruch her wirklich wissen. Nimm drei Akkorde, und du stehst knietief im Jazz."

Lewis Allan Reed wurde 1942 im New Yorker Stadtteil Brooklyn in eine konservative jüdische Familie geboren. Wegen Aufsässigkeit und angeblicher homoerotischer Fantasien steckten ihn seine Eltern in die Psychiatrie, wo er mit Elektroschocks "behandelt" wurde. Nach einem abgeschlossenen Englischstudium an der Syracuse University unter seinem Lehrer und zeitlebens wichtigsten Mentor, dem Poeten Delmore Schwartz, begann er in New York für das Pickwick-Label, das unbedarfte Ein-Hit-Wunder produzierte, Lieder sozusagen am Fließband zu schreiben. Mitte der 1960er-Jahre traf er den klassisch ausgebildeten walisischen Experimentalmusiker John Cale.

Die gemeinsam mit Cale gegründete Band The Velvet Underground, zu der auch noch Schlagzeugerin Maureen Tucker und Gitarrist Sterling Morrison gehörten, verkaufte zwar zwischen 1967 und 1970 denkbar schlecht. Da konnte auch ihr Förderer Andy Warhol nichts machen: Zur Hochblüte der Hippiezeit in schwarzem Leder daherkommen und zu monoton dröhnender, von Minimal Music beeinflusster, aggressiver und kreischender Rockmusik über Sadomaso-Sex, harte Drogen und den Tod zu singen war nicht wirklich verkaufsfördernd.

Schwarz, funkelnd, böse

Speziell das gemeinsam mit dem deutschen Fotomodel Nico eingespielte Debütalbum mit dem berühmten Warhol-Cover mit der abziehbaren Banane zählt zu den einflussreichsten Rockalben der Geschichte. Auf die darauf enthaltenen Lieder wie All Tomorrow's Parties, Venus In Furs oder I'm Waiting For The Man sowie die Alben der etwas später auftauchenden Iggy Pop & The Stooges berufen sich seither all jene jungen Menschen, die zu Zippy-di-yeah-yeah- und Lalelu-Texten einen schlechten Zugang finden.

Hauptsongschreiber Lou Reed mit seiner morbiden, tonlosen Sprechgesangsstimme brachte damals das schwarz funkelnde Böse in die Musik, das Hoffnungslose, das Scheitern, den Überdruss. Auch vermeintlich böse Menschen haben Lieder. Selbst die wohlmeinendsten Wegbegleiter Lou Reeds haben ihn immer als mindestens charakterlich "schwie-rig" eingestuft.

Nachdem Lou Reed The Velvet Underground 1970 im Streit verlassen hatte, startete er unter den Fittichen David Bowies mit dem Album Transformer eine bis heute manchmal atemberaubende, später auch schulmeisterhafte, eitle, größenwahnsinnige, geniale, wunderbare, erschreckende Solokarriere. Walk On The Wild Side war damals der Hit, der keiner wurde. Es sollte kein weiterer folgen. Dafür verdanken wir Lou Reed tolle Lieder wie noch zu Zeiten Velvet Undergrounds die gänsehautmachende Fremdgehballade Pale Blue Eyes, solo dann Satellite Of Love oder Sweet Jane ("Live is just to die"), Perfect Day oder Waves Of Fear. Allesamt gelten sie als Klassiker der Moderne.

Lou Reed veröffentlichte mit dem Konzeptalbum Berlin ein trotz aller melodischen Schönheit beispiellos niederschmetterndes Album des Niedergangs. Mit dem noch heute unhörbaren Lärmblöcken von Metal Machine Music deklinierte er früh die Noise-Musik durch. Mit der 1989 erschienenen Arbeit New York setzte er seiner Heimatstadt ein literarisch wuchtiges wie musikalisch präzise und einfaches Denkmal.

Nach einer kurzfristigen Versöhnung mit seinem hassgeliebten Lebensfeind und -freund John Cale, die sogar zu einer ebenso kurzfristigen Reunion von The Velvet Underground führte, aber auch das Andy-Warhol-Tribut Songs For Drella zeitigte, leitete er ein künstlerisch durchwachsenes Alterswerk ein. Mitunter interessierte er sich wohl mehr für seine knochentrockenen Gitarrensounds denn für die Songs. Eine letzte musikalische Großtat war sicher das Album Magic And Loss von 1992, eine Trauerarbeit, mit der er den Tod diverser Freunde und Wegbegleiter beklagte.

Zuletzt war Lou Reed vor allem als Verwalter der eigenen Geschichte unterwegs. Er brachte das Album Berlin ebenso zur Aufführung wie die Metal Machine Music. Reed förderte das späte Comeback des Jazzsängers Little Jimmy Scott ebenso wie die Karriere von Antony. Mit diesem und seinem persönlichen Tai-Chi-Lehrer ging er auch auf Tour und spielte sich grimmig wie eh und je durch seine Karriere.

2008 heiratete Reed US-Multimediakünstlerin Laurie Anderson. Er veröffentlichte mit Metallica die verstörende Wedekind-Adaption Lulu. Gesundheitlich schwer angeschlagen, musste er sich im Mai dieses Jahres einer Lebertransplantation unterziehen. Jetzt ist Lou Reed in New York gestorben. Er wurde 71 Jahre alt. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 28.10.2013)