Mögliches Wahlspitzenduell: Jean-Claude Juncker (links) gegen Martin Schulz, Langzeitpremier gegen Parlamentspräsident. (rechts)

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"Wer will diesen Posten nicht?" - Die Gegenfrage des früheren belgischen Premierministers Guy Verhofstadt war kurz und prägnant, als er diese Woche im flämischen Fernsehen gefragt wurde, ob er Kandidat für die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sei.

Verhofstadt, ein Liberaler aus Gent und nun Fraktionschef der drittstärksten politischen Gruppe (ALDE) im Europäischen Parlament, will Kommissionschef werden - wie schon 2004. Damals wurde er von einer Phalanx christdemokratischer Regierungschefs der EVP (mit Wolfgang Schüssel) und dem Briten Tony Blair verhindert. Er bewirbt sich bei einem Treffen von Europas liberalen Parteien am Wochenende in London darum, als gemeinsamer Kandidat und Nummer eins der liberalen Parteifamilie bei den EU-Wahlen aufgestellt zu werden.

Es geht um mehr

Formal kandidiert er damit bloß um ein EU-Abgeordnetenmandat in seinem Heimatland, so wie tausende Kandidaten in den 28 EU-Staaten auch. Aber diesmal geht es bei den EU-Parlamentswahlen um viel mehr. Die vier großen Parteifamilien in Europa - neben EVP und Liberalen auch die Sozialdemokraten (S&D) und die Grünen - haben informell vereinbart, was im EU-Vertrag so gar nicht vorgesehen ist: Die Fraktion, die die Wahl gewinnt, soll das Recht haben, den nächsten Kommissionschef zu nominieren.

Das sollte im Juni geschehen. Amtsantritt ist Anfang 2015. Bisher war es so, dass dies von den Staats- und Regierungschefs ausgekungelt wurde.

Schulz oder Juncker

Den Anstoß gab Martin Schulz, der Präsident des EU-Parlaments. Der Deutsche hat diese Idee entwickelt, er wurde von den SP-Schwesterparteien bereits fix als Nummer eins nominiert.

Ob Verhofstadt ein Gegner sein wird, ist ungewiss: Mit dem deutschen Außenminister Guido Westerwelle und Währungskommissar Olli Rehn hat er im liberalen Lager harte interne Konkurrenz.

EVP unter Druck

Realistische Chance, im Juni als Kommissionschef designiert zu werden, hat neben dem SP-Mann Schulz ohnehin nur jemand aus der christdemokratischen Fraktion. Sie ist mit 275 Mandaten weitaus die stärkste, könnte gemäß Umfragen aber auf Platz zwei hinter die S&D abrutschen. Die EVP ist unter Druck. Daher zeichnet sich bei den Christdemokraten eine überraschende Offensive ab. Der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker, der nach 19 Jahren im Amt im Dezember von Xavier Bettel abgelöst wird, dürfte EVP-Spitzenkandidat werden, hieß es am Rande eines Treffens der EVP-Granden in Vilnius. Der Ex-Chef der Eurogruppe sei fähig, in drei Sprachen Wahlkampf zu machen; der 58-Jährige habe signalisiert, dass er bereitstehe. Kanzlerin Angela Merkel soll das unterstützen. Neben Juncker werden Polens Premier Donald Tusk und die Kommissare Viviane Reding und Michel Barnier genannt.

Für Europas Grüne dürfte der Franzose José Bové antreten, als Ko-Spitze mit einer Frau, Rebecca Harms aus Deutschland oder Monica Frassoni aus Italien. Ulrike Lunacek musste ihre Hoffnungen begraben. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 29.11.2013)