Kommenden Mittwoch wird Hilde Sochor 90 Jahre alt. Den Großteil ihres Lebens stand die Schauspielerin auf der Bühne des Wiener Volkstheaters. Heute, erfuhr Wojciech Czaja, steht sie vor allem auf Wohnrituale

"Früher habe ich im ersten Bezirk gewohnt, und zwar im Schulhof, in einem wunderschönen Barockhaus mit Pawlatschen, Efeu und viel, viel Charme. Die Lage war großartig. Noch mehr in der Stadt wohnen kann man nicht. Mein Mann Gustav Manker und ich, wir beide waren dort sehr glücklich. Doch nach seinem Tod 1988 habe ich's dort nicht mehr ausgehalten. Zu viele Erinnerungen. Ich musste raus.

"Zum Glück geht ab und zu eine Zimmerpflanze ein. So bleibt die Wohnung eine Wohnung und wird kein Palmenhaus." Hilde Sochor in Wien-Hietzing. (Foto: Lisi Specht)
Foto: Lisi Specht

Kurz darauf bin ich nach Hietzing gezogen, gleich ums Eck von Schloss Schönbrunn. Der Unterschied ist ziemlich groß. Was soll ich sagen? Das ist halt Hietzing mit Hietzinger Publikum! Das Haus selbst hat mein Urgroßvater gebaut. Seitdem befindet es sich in Familienbesitz. Er war Baumeister und hat in Wien mehrere Bauwerke realisiert, unter anderem auch die Breitenseer Kirche. Soviel ich weiß, hat er das Haus hier für sich und seine Familie gebaut, hat hier aber nicht lange gewohnt. Seine Frau, meine Urgroßmutter, wollte nicht den ganzen Tag auf die Leichenzüge schauen, die seinerzeit vorm Fenster vorbeigezogen sind, von der Kirche am Platz rauf zum Hietzinger Friedhof. Kann ich gut verstehen.

Jedenfalls mag ich dieses Haus sehr. Es hat ein bisschen was Nobles und ein bisschen was Mondänes. Der Bruder meines Urgroß vaters, mein Urgroßonkel also, war Maler und hat im Stiegenhaus einige Fresken gemalt. Wirklich schön! Die Wohnung selbst befindet sich im ersten Stock und hat vier Zimmer. Insgesamt lebe ich auf 156 Quadratmetern.

Am liebsten halte ich mich im Wohnzimmer auf, in der Nähe des Erkers. Das ist mein kleines Paradies. Ich fühle mich hier sehr wohl. Ich sitze gern im Grünen, wobei mir einige Palmen und Bäume längst über den Kopf gewachsen sind. Na ja, zum Glück geht ab und zu die eine oder andere Zimmerpflanze ein. So bleibt die Wohnung eine Wohnung und wird kein Palmenhaus.

Die Einrichtung ist eine ziemliche Mischung. Einerseits habe ich Stücke aus dem Barock, aus dem Empire und aus dem Biedermeier, manche Möbel stammen noch von meinem Mann, wobei ich einige davon beim Umzug an Sotheby's verkauft habe. Andererseits aber gibt's auch zeitgenössische Möbel wie etwa das omnipräsente Billy-Regal von Ikea. Mein Mann hatte ja eine Bibliothek mit mehr als 5000 Büchern. Das alles unterzubringen ist nicht leicht.

Meine Lieblingsmöbel sind dieser geblümte Fauteuil, in dem ich grad sitze, die schwarz-weiß karierte Sitzgruppe von Josef Hoffmann, ein Stück aus der Wiener Werkstätte, sowie ein elektrisch verstellbarer, sehr bequemer Lederfauteuil. Ich habe nämlich ein Implantat, ein falsches Knie, wie ich immer sage, und bewege mich seitdem mit einer Krücke durchs Leben. Ich nutze den Fauteuil sehr gern, weil er meine Muskulatur entspannt. Ich sag immer: Das ist mein elektrischer Stuhl!

Alles in allem ist Wohnen eine wichtige Sache in meinem Leben. Vor allem die täglichen Rituale sind mir wichtig. Wenn man in der eigenen Mobilität eingeschränkt ist und die Wohnung manchmal zum Gefängnis wird, ist es wichtig, gewisse Abläufe zu zelebrieren. Dazu gehört zum Beispiel, dass ich es hasse, in der Küche zu essen. Wenn schon essen, dann richtig! Das heißt: am Esstisch mit Stoffserviette, Weinglas, Mahlzeit und viel, viel Zeit.

Große Wünsche für die Zukunft habe ich nicht mehr. Außer einen vielleicht: Am liebsten würde ich wieder den STANDARD lesen können. Aber auf dem rosa Papier geht das nicht gut, denn ich habe eine Makula-Degeneration, und da ist mir der Kontrast einfach zu gering. Geht nicht. Ob man den STANDARD vielleicht einmal auf weißem Papier drucken kann? Das wäre ein schönes Geschenk zu meinem Neunziger." (DER STANDARD, 1.2.2014)