"Aso Ebi", zu Deutsch "Uniform der Verwandten", heißt das Phänomen, dem dieses Bild zu verdanken ist. Bei Festen in Nigeria lassen sich die Teilnehmer Kleider aus demselben Stoff schneidern.

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Die Rohmaterialien werden aus Asien importiert, die Nähmaschinen kommen aus der Schweiz, die Arbeiter mehrheitlich aus der Türkei, gefertigt wird in Vorarlberg: Nigerianische Spitzenkleider sind ein kaum bekanntes heimisches Beispiel für die Globalisierung im Textilbereich. Mit einer entscheidenden Pointe: Die Abnehmer der Produkte sitzen in diesem Fall nicht in Österreich, sondern in Nigeria, und das bereits seit vielen Jahrzehnten.

Es war Anfang der Sechziger, als Vorarlberger Stickereifirmen auf der Suche nach neuen Märkten Nigeria besuchten und dort auf großes Interesse für ihre Produkte stießen. "Lace" (Spitzen) nannte man in Nigeria die Stickereien, die echten Spitzen sehr ähnlich schauen. Die industriell gefertigten Stoffe bestachen durch ihre spezielle Veredelung und durch ihre feine Ausarbeitung. Eine ähnliche Qualität war sonst nirgends zu kriegen. Nigeria wurde für die Vorarlberger Stickfirmen zum wichtigsten Handelspartner, bis heute gehen rund 50 Prozent der erzeugten Produkte in das Land an Afrikas Westküste. Ohne die nigerianischen Gewänder, die in der Nationalkultur des Landes eine außerordentlich wichtige Rolle spielen, gäbe es die Lustenauer Stick- industrie heute wahrscheinlich nicht mehr.

Mit Rolls- Royce oder Peugeot-Logos verzierten Gewänder

Die Geschichte dieser interkontinentalen Zusammenarbeit, ihre wirtschaftliche Karriere, ihre kulturellen Implikationen und auch ihre von vielen persönlichen Beziehungen geprägten Aspekte sind jetzt in einer toll aufgearbeiteten Ausstellung im Wiener Völkerkundemuseum zu begutachten. Sie erzählt von einem Produkt, das maßgeblich zum politischen Selbstverständnis der Nigerianer nach der Erlangung der Unabhängigkeit beigetragen hat. Allerdings war es nicht immer unumstritten: In den Jahren des Ölbooms galten die in leuchtend bunten Farben gehaltenen und mitunter auch mit Rolls- Royce oder Peugeot-Logos verzierten Gewänder als ein sichtbares Zeichen materiellen Wohlstands - schließlich sind und waren die Gewänder alles andere als günstig. Ende der 1970er-Jahre, als es zu einer Rückbesinnung auf nationale kulturelle Werte kam, gerieten auch die Vorarlberger Importe in das Visier der Traditionalisten - die Politiker verhängten schließlich sogar ein Importverbot. An der Beliebtheit der Stickereien änderte das nicht viel: Sie wurden über das Nachbarland Benin importiert, zum Vorteil der dortigen Volkswirtschaft.

Mittlerweile gelten die Spitzengewänder selbst als "traditionell", die Muster haben sich modisch weiterverändert und sind vor allem im Falle der Männerkleider dezenter geworden. Diese besteht aus einer langen Hose und einem über die Hüfte reichenden Hemd. Das weibliche Alltagsgewand setzt sich dagegen aus drei Teilen zusammen: einer Bluse mit knöchellangem Rock und einem Kopftuch aus gleichem Material.

Bei besonderen Gelegenheiten ändert sich auch die Kleidung, am auffälligsten ist das bei der sogenannten "Uniform der Verwandten" (Aso Ebi). Sie wird bei gesellschaftlichen Zusammenkünften wie Begräbnissen, bei Zeremonien oder Eröffnungen getragen und besteht aus identischen Stickereistoffen. Ihr Muster wird zuvor verbindlich festgelegt, und zwar für alle. (hil/Der Standard/rondo/12/11/2010)