Hochintensive Workouts sind ein Trend unsere Zeit. Experten raten zu Abwechslung.

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Der kleine, verspiegelte Raum ist dunkel, nur die Bühne ist beleuchtet. Dort sitzt die Trainerin Milena auf einem Fahrradergometer: "Stell dir vor, dass es hier nur dich und mich gibt", beschwört sie die Anwesenden und dreht die Musik auf. Dann schließt sie ihre Augen und tritt in die Pedale. Sie lässt die Lenkstange los, reißt die Arme in die Luft, ihre Beine treten immer schneller. Ihr Publikum auf nebeneinander aufgereihten Rädern macht es ihr nach.

Workouts am Hometrainer sind natürlich nicht neu. Den ersten Hype erlebten die Indoor-Fahrräder schon vor Jahrzehnten. Seither fristeten sie in vielen Wohnzimmern ein trauriges Dasein, weil sie kaum genutzt wurden. Nun werden sie aber wieder modern – und zwar in "Boutiques", in denen ausschließlich Kurse am Fahrradergometer angeboten werden: In New York radeln Anhänger von "Soul Cycle" mit der Gruppe – und gepusht vom Trainer – bis zur totalen Erschöpfung. Der Mix aus Workout und Tanzparty tut, so die Philosophie, nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele gut.

Und die Rechnung geht auf: Mehr als 60 "Soul Cycle"-Studios gibt es bisher in den USA. Die 45 Minuten langen Einheiten kosten 34 Dollar – und sind innerhalb von Minuten ausgebucht. Bei "Radikal Spin" in Wien kann man ein ähnliches Workout seit einem Jahr ausprobieren.

Hohe Frequenz

Der Sportmediziner Robert Fritz von der Wiener Sportordination findet das Indoor-Radeln gut: Es ist schonend für den Bewegungsapparat und daher beispielsweise auch für Menschen geeignet, die verletzungsbedingt nicht laufen dürfen. Dabei werden die Beine, aber auch die Körpermitte trainiert. Und weil der Widerstand an einem kleinen Rädchen am Rad individuell eingestellt werden kann, sind die Workouts für Sportler jeden Niveaus geeignet.

Die meisten "Spinning"-Kurse zielen aber auf ein hochintensives Workout ab: Hier schnellt der Puls nach oben, der Schweiß fließt. Ein solches Training sei eine gute Ergänzung, sagt Fritz. Lediglich ein Viertel des wöchentlichen Trainingspensums sollte jedoch aus solchen hochintensiven Einheiten bestehen. Der Rest sollte für die Verbesserung der Grundlagenausdauer aufgewendet werden, etwa durch langsames Laufen, Nordic Walking – oder bewusst langsames Radfahren.

Denn auch eine Gewichtsabnahme funktioniere nur in der Kombination von hoch- und niedrigintensiven Sportarten. Bei ersterem werden hauptsächlich Kohlenhydrate verbrannt – und die leeren Speicher nach dem Training oft rasch durch ungesundes Essen wieder aufgefüllt.

An die Grenze gehen

Im Wiener Studio "Radikal Spin" wird nach dem Aufwärmen der Widerstand an den Rädern nach oben gedreht, das Treten wird anstrengender. "Macht es euch nie bequem", ruft Trainerin Milena von der Bühne: "Ihr müsst immer an eure Grenze gehen."

Nun wird es komplizierter: Während dem Radeln werden die Arme rhythmisch gebeugt, der Körper näher zum Lenker gebracht. Man radelt im Stehen, setzt sich für wenige Sekunden nieder, steht wieder auf. Hanteln werden rhythmisch in die Höhe gestemmt – und währenddessen wird immer weitergeradelt. Dann dreht Milena das Licht ganz ab. Jeder ist nun ganz für sich. Der Widerstand wird weiter hinaufgedreht. Nun geht es hinauf auf den – fiktiven – Berg, der das Herzstück jeder Cycling-Einheit darstellt.

Es ist nun so warm im kleinen Raum, dass der Spiegel an der Wand langsam anläuft. Milena feuert die Teilnehmer von der Bühne aus an, alles zu geben und nicht an den Rest der Einheit zu denken, nur im Jetzt zu strampeln: "Vergesst alles, was euch im Alltag belastet." Dann geht das Licht wieder an, der Widerstand darf zurückgeschraubt werden: Der Gipfel ist erreicht. Jetzt geht es den Berg wieder hinunter.

Trend der Zeit

Musik spielt beim Radfahren eine wichtige Rolle: Der Rhythmus beeinflusst die Schrittfrequenz, so wird man noch mehr gepusht – oder kommt am Ende, wenn die Musik ruhiger wird, langsam zur Ruhe. Bis zum Schluss bleibt man auf dem Fahrrad, auch zum Dehnen. Die Beine werden abwechselnd auf den Lenker gelegt, der Oberkörper nach vorne gebeugt.

Fans des Workouts sprechen von einer regelrechten Sucht. In Medienberichten zu "Soul Cycle" kommen Frauen zu Wort, die neunmal pro Woche ins New Yorker Studio kommen. "Bei solchen Extrembelastungen werden Endorphine ausgeschüttet", erklärt Fritz. Das geschieht auch bei intensiven Läufen. So spürt der Körper keine Schmerzen mehr und wird leistungsfähiger. Das macht süchtig. Allzu exzessiv sollte man solche Sportarten laut Fritz daher nicht betreiben: "Eigentlich ist das zu viel des Guten. Gesund ist das langfristig nicht."

Übertraining und Burnout

Solche hochintensiven Workouts sind für den Sportmediziner aber ein Trend der Zeit: Möglichst viel soll in möglichst kurzer Zeit möglichst effektiv gemacht werden: "Aber damit reduziert man seinen Stress in Wahrheit nicht, man erhöht ihn." Wer es übertreibt, kann in ein Übertraining kommen, die Verletzungsgefahr steigt. Und auch die Gefahr, in Kombination mit beruflichem Stress in ein Burnout zu rutschen, warnt Fritz.

Menschen aus Risikogruppen, etwa mit Herzkreislauf-Problemen oder Bluthochdruck, rät der Experte zu einer ärztlichen Untersuchung, bevor sie sich für die erste Radel-Einheit anmelden. Und auch Gesunde sollten auf ihren Körper hören – und darauf achten, was ihm gut tut. Etwa ein- bis zweimal pro Woche könne das durchaus auch eine intensive Radel-Einheit sein.

Am Ende applaudieren alle Teilnehmer: Sie haben es geschafft. Zwar sind sie schweissnass. Aber sie sind glücklich. Zu Recht: Sie haben in den letzten 45 Minuten inmitten der Großstadt gemeinsam einen Berg erklommen. (Franziska Zoidl, 1.5.2016)