Die Schächte, die in den Wiener Kellern bis zur Fundamentunterkante gegraben werden, werden genau vermessen und dokumentiert.

Foto: Wiener Linien / Johannes Zinner

Während oben die Menschen über die sommerlichen Temperaturen jammern, ist es unten angenehm kühl. Hier, in den Wiener Kellern, die entlang der künftigen Trasse der U5 bzw. des neuen U2-Streckenabschnitts liegen, wird schon lange vor dem offiziellen U-Bahn-Baustart gearbeitet.

Ziel ist herauszufinden, ob die Häuser Tunnelbau und U-Bahn-Betrieb ohne Einsturzgefahr standhalten. Dafür werden in den Kellern Schächte zur Fundamentunterkante – und noch gut 30 Zentimeter tiefer – gegraben und die Qualität des Fundaments und des Bodens analysiert. Gegraben wird mit der Hand, schwere Geräte gibt es nicht, betont der Polier Helmut Leitner vom Bauunternehmen Porr. Im vergangenen Dezember wurde mit den Arbeiten begonnen.

Heute wird ein Keller in der Nähe der Arbeitergasse im fünften Bezirk begutachtet: Sechs Schächte wurden hier in den vergangenen Tagen gegraben. Nun inspiziert der Geotechniker Peter Schöchtner, der die Bauaufsicht innehat, diese etwa ein mal ein Meter großen Schächte.

Er und seine Kollegen sehen viel, während sie sich von Keller zu Keller durch den Bezirk arbeiten: Weinkeller, Hobbyräume, Bibliotheken – manche sogar mit Holz- oder Fliesenboden. Aber auch Keller in schlechtem Zustand. "Dieser Keller hier hat mittlere Qualität", meint Schöchtner. Aus einem Kellerfenster fällt ein bisschen Licht in den dunklen Raum, in dem ein Boxsack baumelt. Ansonsten sind hier nur Lagerabteile untergebracht.

Logistischer Aufwand

Eine Woche Arbeitszeit wird pro Keller veranschlagt, im Schnitt werden – je nach Größe des Kellers – fünf Löcher entlang tragender Wände gegraben. Die Bretter, die den ersten Schacht bedecken, werden jetzt entfernt. Schöchtner steigt mit einer kleinen Leiter hinunter und dreht seine Taschenlampe auf. Nun wird der Schacht genau ausgemessen, damit später technische Skizzen gemacht werden können. Bis zur Fundamentunterkante sind es in diesem Fall 1,75 Meter.

Mit einem Hammer löst Schöchtner Proben aus dem Fundament und diktiert: "Mischmauerwerk, sehr unregelmäßig, kein Vorsprung." Wichtig ist auch der Boden unter dem Fundament. Er besteht in diesem Fall aus "Anschüttung und Schluff", wie Schöchtner analysiert und sein Kollege genau notiert.

Eigentümer kooperativ

Dann werden Fotos gemacht und die Bretter wieder über das Loch gelegt, bevor das Team zum nächsten Schacht ein paar Meter weiterzieht. Sämtliche Bodenproben werden in Fächerkisten verpackt, die Tiefe, an der sie gefunden wurden, genau dokumentiert. All diese Kisten werden bei der MA 29, die die Bauleitung innehat, gelagert. Im Laufe des Tages werden Arbeiter vorbeikommen und die Schächte wieder schließen. Das dauert pro Schacht im Schnitt drei Stunden. "Der Ursprungszustand wird wieder hergestellt und alles gereinigt", sagt Polier Leitner. "Am Ende ist der Keller oft sauberer als zuvor."

Hinter der Arbeit steckt viel logistischer Aufwand: Zuerst muss der Bauakt ausgehoben werden, berichtet Christian Wagner von den Wiener Linien. Bei älteren Häusern seien diese Unterlagen teilweise gar nicht vorhanden – oder Jahrzehnte zurückliegende bauliche Veränderungen nicht im Bauakt zu finden. Ein bis zwei Monate vor Beginn der Bauarbeiten wird mit den Eigentümern Kontakt aufgenommen, mehrere Begehungen des Kellers und eine Beweissicherung gemacht und der Schlüssel übergeben.

90 Prozent der Eigentümer seien kooperativ, berichtet Wagner. Wohl auch, weil klar ist, dass ihnen die fußläufige U-Bahn-Anbindung viele Vorteile bringt: Immobilienmakler bemerken schon jetzt, dass die Preise in manchem Grätzel im fünften Bezirk steigen (DER STANDARD berichtete).

Fragen beim Graben

Die Qualität der Fundamente würde sich stark unterscheiden, sagt Schöchtner. "Das variiert von ganz gut bis: Hier muss man etwas machen." Ist Letzteres der Fall, dann werden die Kosten von den Wiener Linien getragen. Auf Überraschungen trifft man öfters – alte Bleirohre zum Beispiel.

Viele Fragen, die beim Graben aufkommen, lassen sich heute nicht mehr beantworten – etwa, warum das Fundament eines Hauses unterschiedlich tief ist: "Vielleicht wurde das Haus irgendwann erweitert", mutmaßt Leitner. Bei im Krieg beschädigten oder zerstörten Gebäuden sei oft einfach auf das alte Fundament gebaut worden.

Die richtigen U-Bahn-Bauarbeiten beginnen 2018, die Fertigstellung ist für 2023 geplant. Bis es so weit ist, werden 5000 Schächte in den Wiener Kellern gegraben worden sein. (Franziska Zoidl, 31.7.2016)