STANDARD: Frau Ministerin, kennen Sie Michael Buchingers Videoblog?

Karmasin: Ich habe mich inhaltlich informiert, aber nicht allzu ausführlich.

Buchinger: Sie haben auch nichts verpasst, ich mache wöchentlich Youtube-Videos und bin sehr negativ. Ich reg‘ mich gern über Dinge auf. Oberflächliche Dinge.

Karmasin: Was zum Beispiel?

Buchinger: Ich hasse es, wenn Leute auf der Rolltreppe links stehen. Dann setze ich mich mit einem Glas Wein an meinen Tisch und sage: Das hat mich heute gestört. Und das kommt überraschenderweise gut an.

Karmasin: Also die Raunzerei auf Video, quasi.

Buchinger: Genau. Einmal im Monat gibt es dann eine Liste über Dinge, die ich hasse.

STANDARD: Frau Ministerin, was stünde auf Ihrer Hass-Liste?

Karmasin: Was mich nervt: Wenn man mir die Zeit stiehlt. Lang reden und nicht zum Punkt kommen, das macht mich wahnsinnig.

STANDARD: Manche Politiker neigen dazu.

Karmasin: Mein Stil ist das nicht.

derStandard.at

STANDARD: Herr Buchinger, wussten Sie vor diesem Gespräch, wer Jugendminister beziehungsweise Jugendministerin ist?

Buchinger: Nein. Aber ich bin einer dieser Millennial-Menschen, die politikinteressiert sind und einen Überblick haben, aber vertiefendes Wissen nur über das, was sie direkt betrifft. Ist man mit 23 Jahren eigentlich noch jugendlich?

Karmasin: Für mich wären Sie eher als Jungvater im Blickfeld. Diese Generation muss man ja motivieren, dass sie in die Familiengründung geht.

Buchinger: Das könnte schwierig sein bei mir, als schwuler Mann.

Karmasin: Naja, da gibt es auch Möglichkeiten.

Buchinger: Da hätte ich eh eine Frage: Es ist ja jetzt legal für Schwule, Kinder zu adoptieren. Sie waren eigentlich dagegen, oder?

Karmasin: Ich war nicht grundsätzlich dagegen, aber im Sinne der Realität habe ich gesagt: Es gibt acht Mal mehr Eltern, die Kinder adoptieren wollen, als Kinder, die zur Adoption freigegeben werden. Es ist tragisch, wenn Paare Kinder wollen, aber keine bekommen können.

STANDARD: Sie sagten vor zwei Jahren, sie sähen keine Notwendigkeit, Adoption zu erlauben. Dann ist Ihnen der Verfassungsgerichtshof ohnehin zuvorgekommen und hat das Adoptionsverbot aufgehoben.

Karmasin: Ich habe nicht gesagt, man soll es nicht machen.

STANDARD: Doch, haben Sie.

Karmasin: Ich habe gesagt, es wird in der Realität nicht allzu viel verändern, weil es so viele Bewerber gibt. Und wenn es noch mehr Bewerber gibt, ist es unwahrscheinlich, dass es zu einer erfolgreichen Adoption kommt.

Buchinger: Aber ist das ein Contra-Argument, sollte es also Homosexuellen nicht gewährt sein?

Karmasin: Es ist ja gut, dass es gewährt wurde. Aber es verändert in der Praxis leider nicht viel.

STANDARD: Sie haben sich für die Öffnung des Standesamtes für Schwule und Lesben ausgesprochen. Muss es weiterhin Verpartnerung heißen oder darf es Ehe sein?

Karmasin: Mir ist wichtig, dass es keine offensichtliche Diskriminierung der Verpartnerung im Vergleich zur Ehe gibt. Dass Verpartnerungen nicht am Standesamt durchgeführt werden dürfen und Verpartnerte nicht den Familiennamen tragen dürfen, ist mir ein Dorn im Auge. Da sind wir noch dabei, Lösungen zu finden.

STANDARD: Aber keine Ehe?

Buchinger: Eingetragene Partnerschaften sind immer noch minderwertig im Vergleich zur Ehe.

Karmasin: Das sehen nicht alle Betroffenen so. Manche sehen es sogar als Vorteil. Aber da muss man einfach auf die österreichische Kultur Rücksicht nehmen. Ich denke schon, dass die Ehe für heterosexuelle Paare vorbehalten sein soll.

STANDARD: Die österreichische Kultur ist nicht reif für die Homo-Ehe?

Karmasin: Reif oder nicht reif – es ist zu berücksichtigen, dass die Ehe, auch im katholischen Sinne, für eine große und relevante Gruppe einen wichtigen Stellenwert hat. Das ist zu respektieren. Trotzdem darf man homosexuelle Paare nicht diskriminieren. Wollen Sie sich einmal verpartnern?

Buchinger: Ich würde schon gern, aber natürlich wäre mir die Ehe lieber. Es ist immer noch etwas, was mir nicht zusteht. Ich find‘s halt schade. ich habe mir ja nicht ausgesucht, schwul zu sein. Aber ich bin hoffnungsvoll, dass ich dieses Ding noch irgendwann Ehe nennen darf.

Foto: Andy Urban

STANDARD: Sie sind parteilose Ministerin, sagten aber einmal, Sie fühlten sich "im Wertekorsett der ÖVP zuhause". Klingt nicht nach Atemfreiheit.

Karmasin: Habe ich Korsett gesagt? Fundament ist besser, ich fühle mich nicht eingeengt, sonst würde ich mich ja nicht zugehörig fühlen. Was ich damit meine, ist: Wirtschaftsorientierung, Unternehmergeist, Eigenverantwortung, Familienorientierung.

STANDARD: Dass es außer Ihnen nur Männer im ÖVP-Regierungsteam gibt, ist das auch ein diesem Wertefundament zu verdanken?

Karmasin: Auch in anderen Parteien gibt es kein Halbe-Halbe. Das ist jetzt eine Situation, an der wir arbeiten. Das wird in einer anderen Phase wieder anders sein. Dass das Ausdruck eines Wertefundaments ist, glaube ich nicht.

Buchinger: Wenn ich an die ÖVP denke, sehe ich einen weißen, alten Mann. Damit können sich wenige Jugendliche identifizieren.

Karmasin: Ich glaube, dass es aktuell nicht so schlecht ausschaut: Sebastian Kurz, Harald Mahrer, Gernot Blümel – das sind schon jüngere Leute, die einen anderen Zuschnitt haben.

STANDARD: Was wäre ein jugendpolitisches Thema, dessen sich die Ministerin annehmen sollte?

Buchinger: Für Jugendliche sind Verbote, die existieren, und Rechte, die man selbst hat, interessant. Und Themen wie öffentliche Verkehrsmittel. Ich habe gesehen, Sie setzen sich auch gegen Hass im Netz ein? Das ist sehr wichtig für Jugendliche. Viele meiner Follower werden derb beleidigt, wenige Betroffene sprechen darüber.

Karmasin: Das ist schambesetzt. Aber unsere Informationskampagnen und Workshops sollen zeigen, dass es Anlaufstellen gibt, an die man sich wenden kann. Gerade Mädchen und auch Homosexuelle sind betroffen. Das macht wütend.

Foto: Andy Urban

STANDARD: Als Sie in Michael Buchingers Alter waren, hätten Sie sich da vorstellen können, Ministerin zu werden?

Karmasin: Nein, nie. In dem Alter ist es aber vielleicht ein bisserl früh.Es ist grundsätzlich gut, ein bisschen was gesehen zu haben.

STANDARD: Sebastian Kurz war 24, als er Staatssekretär wurde.

Karmasin: Das ist eine Ausnahmeerscheinung, das kann man nicht nachmachen. Das ist wie beim Nobelpreis, den kann man auch nicht anstreben. Das würde die Latte extrem hochlegen.

STANDARD: Was hätten Sie sich vor Ihrem Wechsel in die Politik anders vorgestellt?

Karmasin: Dass alles immer kurzlebiger und schneller wird.

Standard: Auch die Amtsperioden der ÖVP-Chefs?

Karmasin: Spitzenpolitikern wird immer weniger Zeit gegeben, sich zu profilieren – die 100-Tage-Frist gibt es längst nicht mehr. Was mich auch überrascht hat: Ich war gestern in Berlin, eine Diskussion mit dem Berliner Stadtrat für Gesundheit und Soziales, zwei Stunden vor großem Publikum – so tiefe, differenzierte Diskussionen gibt es in Österreich nicht.

STANDARD: Zur Familienpolitik: Familien mit zwei Kindern oder mehr haben ein höheres Armutsrisiko. Die ÖVP hat für diese Familien eine Deckelung der Mindestsicherung vorgeschlagen. Kann eine Familienministerin das gut finden?

Karmasin: Die Mindestsicherung ist eine Sozialleistung, zusätzlich gibt es immer noch die Familienbeihilfe.

STANDARD: Die gibt es jetzt auch, trotzdem sind diese Familien armutsgefährdet. Führt man den Deckel ein, wird es noch schwieriger.

Karmasin: Durch die Mindestsicherung wurden auch viele von der Armut gerettet. Und es gibt auch Mehrkindfamilien, die arbeiten und keine Mindestsicherung beziehen und armutsgefährdet sind. Das ist nicht nur eine Frage der Mindestsicherung.

STANDARD: Sondern auch eine Frage zu niedriger Reallöhne?

Karmasin: Es muss eine Fairnessüberlegung sein, wie ich die Abgrenzung mache zwischen Menschen, die Erwerbsarbeit leisten und Menschen, die in der Mindestsicherung sind. Es muss ein gefühlt fairer Unterschied sein zwischen denen, die 40 Stunden arbeiten und denen, die Mindestsicherung bekommen. Das ist für den Zusammenhalt in der Gesellschaft notwendig.

Foto: Andy Urban

STANDARD: Sie wollen einer schwarzblauen Regierung nicht angehören. Warum nicht?

Karmasin: Ich tu mir sehr schwer, auch nur ein Element der FPÖ für mich als sinnvoll zu erachten, da fällt mir nichts ein.

Buchinger: Das verstehe ich.

STANDARD: Heißt das, Sie wählen Alexander Van der Bellen?

Karmasin: Da können Sie sich jetzt Ihre Gedanken machen.

Buchinger: Würden Sie sich eigentlich als Feministin bezeichnen?

Karmasin: Von der Grundüberlegung her ja, aber der Begriff g‘fallt mir nicht. Er ist irgendwie verbraucht. Ich sehe mich eher als Kämpferin für das Partnerschaftliche. Auch Männer leiden unter dem klassischen männlichen Bild – immer erfolgreich sein, nicht emotional-empathisch sein.

Buchinger: Sag ich auch, aber ich werde immer dafür kritisiert. Ich habe einmal in einem Interview gesagt, dass jeder unter Genderrollen leidet, selbst Machomänner. Und alle: Überhaupt nicht! Das ist noch so in den Leuten drin.

Karmasin: Das ist halt Österreich: Die Stereotype sind noch stark.

STANDARD: In Österreich stärker als anderswo?

Karmasin: Würde ich schon sagen.

Buchinger: Woran liegt das?

Karmasin: Österreich ist auch historisch bedingt sehr obrigkeitshörig, starr im Veränderungswillen. In Skandinavien ist es wesentlich egalitärer, und das ist auch die Zielsetzung: Männer und Frauen sollen Zugang zu allen Lebensbereichen haben. Das gilt auch für Homosexuelle. (Maria Sterkl, 9.9.2016)