Wien – In nur sieben Ländern leben zwei Drittel aller Menschen, die laut Weltbank als extrem arm gelten. Das zeigt eine STANDARD-Auswertung von Daten der Entwicklungsbank. In die Statistik fällt jeder, der weniger als 1,90 Dollar pro Tag zur Verfügung hat. Dieser Beitrag gilt als Minimum, um überleben zu können. Beim Diskonter Walmart lässt sich damit etwa ein halbes Kilo vorgekochter Bohnen kaufen.

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In den vergangenen Jahrzehnten ist der Anteil der Menschen, die als extrem arm gelten, wegen der Globalisierung und hohen Wirtschaftswachstums enorm zurückgegangen. Vor 20 Jahren konnte sich noch knapp 30 Prozent der Weltbevölkerung statistisch betrachtet nicht einmal eine Dose Bohnen leisten. Bis 2013 ist der Anteil auf etwas unter elf Prozent gesunken. Das sind noch immer 767 Millionen Menschen.

Die meisten armen Menschen leben in Indien. Fast jeder dritte Arme der Welt ist dort zu Hause. Nimmt man Nigeria, die Demokratische Republik Kongo, Äthiopien, Bangladesch, China und Tansania dazu, decken diese sieben Ländern 67 Prozent der extremen Armut der Welt ab. Sie gehören bis auf den Kongo aber nicht zu den ärmsten Länder der Welt, wegen ihrer Größe wohnen dort lediglich die meisten Armen. Gelingen sie aber Fortschritte in ihrer Entwicklung, hat das die größte Wirkung.

DER STANDARD gibt eine Übersicht über die Lage in diesen sieben Ländern. Wie hat sich die Armut in der Vergangenheit entwickelt? Was muss passieren, um sie (weiter) zu reduzieren? Jesus Crespo Cuaresma, Vorstand des Instituts für Makroökonomie an der Wiener Wirtschaftsuni und unter anderem Berater der Weltbank, gibt hierzu seine Einschätzung.

In Bangladesch hat sich die Armut in den vergangenen 30 Jahren halbiert. In Indien ist sie noch stärker gesunken. In beiden Ländern gilt heute aber noch immer einer von fünf Menschen als extrem arm. Der Hauptgrund für die gesunkene Armut ist höheres Wirtschaftswachstum, sagt Ökonom Crespo. "Stabilität und die Internationalisierung werden als die wichtigsten Zutaten des Erfolgs gesehen." Firmen produzieren mehr und zahlen höhere Löhne.

Die Situation könnte sich in beiden Ländern weiter verbessern, sagt Crespo. Weil die Kindersterblichkeit stark gesunken ist, gebe es viele junge, potenziell produktive Menschen. Ökonomen sprechen von einer "demografischen Dividende", wenn es viele Junge gibt, die relativ wenige Alte und Kinder zu versorgen haben. Das fördert das Wachstum. "Um die Armut weiter zu reduzieren, müssen ärmere Schichten Zugang zu guter Bildung erhalten. Ohne gebildete Arbeitskräfte wird sich die demografische Dividende nicht realisieren lassen."

China ist es innerhalb von 30 Jahren gelungen, die extreme Armut fast zur Gänze auszulöschen. Das ist umso erstaunlicher, als das Land damals eines der ärmsten der Welt gewesen ist. Die Armutsquote ist seit 1981 von 88 Prozent auf zwei Prozent gesunken. Crespo sieht eine stabile Wirtschaftspolitik, marktorientierte Reformen und eine Öffnung nach außen für die Reduzierung der Armut verantwortlich.

Das hohe Wirtschaftswachstum habe aber auch die Ungleichheit in China massiv gesteigert. "Es gibt brutale Unterschiede, was die Einkommen und den Zugang zu Arbeit in Stadt und Land betrifft." Die Lage lasse sich durch Reformen weiter verbessern. Chinesen, die von einem Teil in einen anderen migrieren, müssten leichter Zugang zu Sozialleistungen erhalten. Das würde die Armut weiter senken.

Der Anteil der extrem Armen hat sich in Äthiopien seit 1981 mehr als halbiert. Investitionen in der Landwirtschaft und soziale Projekte für rurale Regionen waren die treibende Kraft dahinter, sagt Crespo. Nur in China ist unter den hier betrachteten Ländern seit 1990 die Kindersterblichkeit stärker gesunken als in Äthiopien.

Experten erwarten, dass sich der wirtschaftliche Wandel fortsetzt und der Agrarsektor weiter an Bedeutung verliert, so Crespo. Das sorge für mehr Wachstum und weniger Arme. Durch Investitionen in Bildung könne man den Wandel beschleunigen. Noch ist Äthiopien aber sehr arm. Die Armutsquote ist mit 34 Prozent hoch. Die Wirtschaftsleistung pro Kopf liegt im Jahr bei 1.600 Dollar. In China sind es 14.000 Dollar, in Österreich 48.000 Dollar.

In Nigeria, Kongo und Tansania leben 162 Millionen Menschen, die als extrem arm gelten. Nigeria ist nach Indien global gesehen das Land mit den meisten Armen. Das viele Öl sei dort eher Fluch als Segen, weil es für politische Instabilität sorge, sagt Crespo. Die Situation hat sich im Vergleich zu 1985 verschlechtert. Kongo ist eines der ärmsten Länder der Welt. Immer wieder herrscht dort Krieg. Das macht die Entwicklung schwer, die Armut ist zuletzt aber etwas gesunken. Doch zuerst brauche es laut Crespo politische Stabilität, bevor man an Wirtschaftspolitik denken könne.

In Tansania gab es eine solche, die Armut ist seit 1991 um ein Drittel gesunken. Dort ist auch die Kindersterblichkeit nur halb so hoch wie in den beiden anderen Ländern. Sie geht aber überall zurück. Ein verbesserter Zugang zu Bildung und ein Ausbau der Infrastruktur seien dort die erfolgsversprechendsten Hebel für eine weitere Reduktion der Armut, sagt Crespo. (Andreas Sator, 21.11.2016)

Jesus Crespo Cuaresma ist Vorstand des Instituts für Makroökonomie an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Er forscht zu Wachstum, Makroökonomie und Ökonometrie. Er hat u. a. die Weltbank, die Afrikanische Entwicklungsbank, die OECD und Unido beraten.
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