Die Performance "Collateral Damage" von Rohn/Wærsted feierte im Rahmen des "Love me Gender"-Festivals in Wien Premiere. Von 24. bis 26. November ist sie in Graz zu sehen.

Foto: Hans Peter Jenssen

Hanna Rohn: "Wir haben herausgefunden, dass die Markierungen der plastisch-ästhetischen Chirurgie den Symbolen auf Militärkarten sehr ähnlich sind."

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"Frauen und Frauenkörper werden oft zum Austragungsort gesellschaftlicher Konflikte und werden dabei oft als Nebenschauplatz abgetan", sagt Signhild Meen Wærsted.

Foto: Kristin Børsum Hernandez

STANDARD: Ihre künstlerische Praxis kreist um Genderrollen, Körper und weibliche Sexualität. Im jüngsten Stück "Collateral Damage" schaffen Sie Assoziationen zu Nation und Schönheitskult, Krieg und Mutterschaft, plastischer Chirurgie und Identität. Wie kam es zu diesem Stück?

Hanna Rohn: Wir haben zu dieser Thematik mehr als zwei Jahre lang recherchiert. Wir begannen mit einer Fotografieserie, die wir "The Bikini-Effect" nannten. Das ist ein Begriff aus dem Marketing, der beschreibt, dass Männer, wenn sie eine Frau im Bikini sehen, impulsiver werden und schneller Kaufentscheidungen treffen.

Signhild Meen Wærsted: Ausgehend von diesem Bikini-Effekt haben wir über die Sexualisierung des weiblichen Körpers nachgedacht. Wann und wodurch wird der weibliche Körper zu einem Objekt? Inwiefern ist ein Körper ein Territorium, wo sind seine Grenzen, wo werden Grenzen überschritten?

STANDARD: Sie übertragen militärische Symbole von Kriegslandkarten auf den weiblichen Körper. Worin ähneln sich diese Markierungen?

Rohn: Wir haben herausgefunden, dass die Markierungen der plastisch-ästhetischen Chirurgie den Symbolen auf Militärkarten sehr ähnlich sind.

Wærsted: Am eindrucksvollsten ist das bei dem Symbol für kontaminiertes Gebiet, es ähnelt stark der Markierung für Fettabsaugung. Was macht das mit unseren Körperbildern? Betrachten wir Bereiche unseres Körpers so, als wären sie verseuchtes Gebiet? Der Körper wird zur Landschaft. In gewisser Weise entspricht dieser der Nation. Wir dringen ein, verteidigen, erobern und versuchen zu optimieren.

STANDARD: Sehen Sie hier auch Verbindungen zu Vergewaltigung und Krieg?

Wærsted: Im Krieg werden Frauen verletzt, um die Nation zu schädigen. Frauen stehen hier für die Nation – und das ist der Link zu Vergewaltigung als Strategie des Krieges.

STANDARD: In der Militärterminologie bedeutet Kollateralschaden die Beschädigung nichtintendierter Ziele.

Rohn: Der Terminus Kollateralschaden wird oft als Euphemismus verwendet, weil der Schaden durchaus intendiert ist. Sogar wenn Massenvergewaltigungen Teil einer militärischen Strategie sind, werden die Verletzung von Frauenrechten im Nachhinein als Kollateralschaden abgetan. Wenn Frauen diese Attacken überleben, werden sie nicht als Heldinnen gefeiert. Soldaten hingegen schon.

Wærsted: Am Ende unserer Performance steht "Collateral Battlefield" auf unseren Körpern, also nichtintendiertes Schlachtfeld. Frauen und Frauenkörper werden zum Austragungsort gesellschaftlicher Konflikte und werden dabei oft als Nebenschauplatz abgetan. Auch wenn man diesem Thema nicht viel Aufmerksamkeit schenkt, so ist es doch mächtig und betrifft Frauenleben.

STANDARD: Ihre Arbeit setzt sich mit historischen und aktuellen Entwicklungen auseinander. Mit Statistiken über Vergewaltigungen im Krieg in Bosnien wie Ruanda geben Sie "Collateral Damage" eine globale Dimension. Und dann ist da noch der Vergleich zwischen ästhetischer Genitalchirurgie und weiblicher Genitalbeschneidung. Warum?

Rohn: Ästhetische Genitalchirurgie ist für uns die extremste Form der plastischen Chirurgie.

Wærsted: Ein Bereich, der ganz eng mit der eigenen Sexualität und dem persönlichen Lustempfinden verbunden ist. Auf der einen Seite gibt es zum Beispiel Schamlippenkorrektur und auf der anderen Seite die weibliche Genitalverstümmelung – das sind definitiv zwei grundverschiedene Dinge. Aber wir haben herausgefunden, dass es dazwischen viele Graubereiche gibt. Warum werden in der westlichen Welt weibliche Genitalien aus ästhetischen Gründen beschnitten, während der Westen sehr herablassend auf Kulturen mit Genitalbeschneidung herabschaut. Wir suchen nach den Links zwischen den Schlachtfeldern im Westen und den globalen. Wie unterscheiden sie sich voneinander? Wo gibt es Ähnlichkeiten. Wir werfen mit unserem Stück viele offene Fragen auf. Wir möchten, dass unser Publikum darüber nachdenkt.

Rohn: Wenn man sich die Definition der Weltgesundheitsorganisation von weiblicher Genitalverstümmelung (Female genital mutilation – FGM) ansieht, dann fällt eigentlich auch die ästhetische Genitalchirurgie darunter. Denn hier heißt es, dass jede Verletzung der weiblichen Genitalien, die aus nichtmedizinischen Gründen passiert, als FGM bezeichnet werden kann. Wir sind uns bewusst, dass wir damit provokante Vergleiche anstellen, aber: Wo hört Körperoptimierung auf, wo fängt Verstümmelung an?

STANDARD: In Ihrem Stück fragen Sie nach den Kriterien für gut aussehende Genitalien. Frau Rohn, Sie arbeiten auch als Sexualpädagogin mit Jugendlichen. Welche Erfahrung haben Sie diesbezüglich mit jungen Frauen gemacht?

Rohn: Aufgrund der Verbreitung und des leichten Zugangs zu Pornografie ist das Thema bereits bei Mädchen präsent. Über Smartphones ist es nicht mehr kontrollierbar, welche Inhalte Kinder konsumieren. Die meisten Mädchen haben bereits in jungem Alter schon einmal Pornographie gesehen. Die Mainstreampornografie ist aber ziemlich sexistisch. Es ist immer ein männlicher Blick auf Frauenkörper – und nachdem es ein Film ist, gibt es da immer nur "perfekte Genitalien" zu sehen. Oder genauer, was immer von der Pornoindustrie als perfekt angesehen wird. Das betrifft auch Buben. Viele glauben, dass ihre Penisse nicht groß genug sind, weil die Männer in Pornofilmen alle große Penisse haben. Diese Bilder haben einen Effekt auf Kinder und Jugendliche und es ist daher wichtig, mit ihnen darüber zu sprechen. Viele Erwachsene wollen die Dinge nicht beim Namen nennen, dabei ist das bereits die Realität der Jugendlichen.

Wærsted: Ich denke, es ist auch wichtig, mit Erwachsenen über Körperbildern zu sprechen. Die Diversität des Normalen ist unermesslich. Körper gibt es in allen Formen und Farben, symmetrisch und unsymmetrisch, groß und klein, und dasselbe gilt für Genitalien. Es ist wichtig, darüber zu sprechen, denn viele Menschen wissen wenig darüber. (Christine Tragler, 23.11.2016)