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Foto: reuters/PAWEL KOPCZYNSKI

"Ich bin ein Berliner!" Es war der damalige US-Präsident John F. Kennedy, der diese legendären Worte bei seinem Besuch in Westberlin sprach. Bald 54 Jahre ist das nun her, und heute gibt es wieder viele, die mit dem gleichen Satz ihre Solidarität zum Ausdruck bringen.

Denn nun ist auch in Deutschland ein verheerender Anschlag passiert – mitten in Berlin, auf einem beliebten Weihnachtsmarkt neben der weltberühmten Gedächtniskirche, dem Herzen der City West, dort, wo das ohnehin so partywütige Berlin gern einmal richtig "einen draufmacht". Deutschland, das so lange vergleichsweise "glimpflich" davongekommen ist, weil es nicht wie in Nizza, London, Paris, Brüssel oder Madrid Tote zu beweinen hatte, sondern bei Anschlägen in Würzburg und Ansbach im Sommer 2016 Menschen "nur" verletzt wurden – dieses Deutschland wurde wenige Tage vor Weihnachten ins Mark getroffen.

Schock und Betroffenheit sind auf allen Ebenen groß, wenngleich viele Menschen erwartet haben, dass auf Dauer auch Deutschland nicht verschont bleiben wird. Aber man hat sich bisher immer noch ein wenig wegducken können. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wird nun einiges abverlangt. Ein ums andere Mal, wenn anderswo etwas passiert ist, hat sie sich im Berliner Kanzleramt hingestellt und Deutschlands Solidarität versichert. Jetzt nimmt sie die Beileidsbekundungen befreundeter ausländischer Politiker entgegen.

Man wünscht sich natürlich, dass sie diesmal genauso besonnen reagiert – fürs Erste und dann auch in der Zeit danach; erst recht, da sie nicht nur von der New York Times nach diesem Annus horribilis 2016 als "letzte Verteidigerin des freien Westens" geschätzt wird. Doch man ahnt, dass es nicht einfach wird. Noch herrschten am Montagabend große Unsicherheit und Bestürzung, da wusste der Chef der nordrhein-westfälischen Alternative für Deutschland (AfD), Marcus Pretzell, bereits: "Es sind Merkels Tote!"

Es dürfte nur der Anfang der Geschmacksverwirrung sein. Es wird tausend Schuldzuweisungen geben und tausend Forderungen, was jetzt sofort zu tun sei. Vielleicht sind manche gar nicht schlecht – auch wenn sie von der Opposition kommen. Aber das wird die Herausforderung der kommenden Zeit für Merkel sein: abzuwägen – und dann zu entscheiden. Und sich nicht von den Scharfmachern provozieren zu lassen. Natürlich nicht zu vergessen, dass sich Politik in Deutschland auch in schwierigen Zeiten von Menschlichkeit leiten lässt – ganz grundsätzlich und erst recht im Bundestagswahljahr 2017, das seit diesem letzten Montag im Advent wohl ein düsteres Wahlkampfthema mehr bekommen hat.

Die AfD ist für Merkel dabei nur eine Herausforderung. Diese Partei ist die politische Gegnerin, die jetzt natürlich Morgenluft wittert. Viel schwieriger wird für Merkel die Frage sein, ob sie ihre eigenen Truppen angesichts des schrecklichen Ereignisses bei der Stange halten kann. Seit langem schon gärt es auch in der Union, die Konservativen ballen die Faust in der Hosentasche. So mancher wird jetzt eine Gelegenheit sehen, sich nicht so sehr gegen die AfD zu stellen, sondern lieber ein paar ihrer Forderungen zu übernehmen.

Wahlkampf ist grundsätzlich kein Spaziergang, aber eines dürfte jetzt schon feststehen: Der Wahlkampf im Jahr 2017 wird für Merkel der härteste.(Birgit Baumann, 20.12.2016)