Justizminister Wolfgang Brandstetter fordert, dass Berufsrichter stärker in die Beratungen von Geschworenen eingebunden werden.

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Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) will den Strafvollzug grundlegend reformieren. Er lasse derzeit von "externen Fachleuten" evaluieren, welche Gefängnisstandorte noch zeitgemäß seien, sagt Brandstetter im Interview mit dem STANDARD. Je nach Ergebnis der Studie könne er sich vorstellen, Gefängnisse zu verkaufen und das Geld in neue Standorte zu investieren.

Bei der für Jänner angekündigten Reform des Maßnahmenvollzugs, also der Unterbringung geistig abnormer Rechtsbrecher, rudert Brandstetter hingegen teilweise zurück. Und im Kampf gegen Terror und Kriminalität kann sich Brandstetter vorstellen, in bestimmten Bereichen den Datenschutz zu lockern.

STANDARD: Vorfälle wie jene in Berlin erschüttern das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung trotz sinkender Kriminalitätsrate. Was kann die Politik dagegen tun?

Brandstetter: Ich sehe das wie der Innenminister. Man kann sich gegen dieses Gefährdungspotenzial nie zu 100 Prozent schützen. Da muss man der Bevölkerung reinen Wein einschenken. Wir müssen aber alles Mögliche an Präventivmaßnahmen setzen, und das geschieht auch. Ich bin überzeugt, der Rechtsstaat als solcher ist stark genug, sich dem entgegenzusetzen. Wir müssen klarmachen: Wenn der Terrorismus das Ziel verfolgt, den Rechtsstaat zu destabilisieren, wird er keinen Erfolg haben.

STANDARD: Braucht der Staat noch mehr Überwachungsmöglichkeiten, wie das in Deutschland jetzt diskutiert wird?

Brandstetter: Es gibt sinnvolle Überlegungen, in bestimmten Bereichen, wo man mehr Informationen braucht, den Datenschutz zu lockern. Da geht es etwa um Videoaufnahmen von Autobahnen. Hier eine Möglichkeit einer besseren Vernetzung zwischen Asfinag und Polizeibehörden zu schaffen wäre sicher überlegenswert. Aber das ist Sache von Innenministerium und Kanzleramt.

STANDARD: In Ihrem Bereich waren Sie immer für einen neuen Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung. Der EuGH hat in einem aktuellen Urteil nun sehr strenge Vorgaben gemacht. Was heißt das für Ihre Überlegungen?

Brandstetter: Das Urteil des EuGH zielt offensichtlich darauf ab, was ich immer betont habe, nämlich dass die Vorratsdatenspeicherung nur als Instrument zur Bekämpfung schwerster Kriminalität eingesetzt werden soll. In diesem Bereich brauchen wir sie auch, da bleibe ich bei meiner Meinung. Es geht bei diesem Thema vor allem um zwei wesentliche Punkte: die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und das Grundrecht auf den Schutz der Privatsphäre. Hier gilt es, die richtige Balance zu finden. Die genauen Auswirkungen dieses Urteils für Österreich können aktuell noch nicht abschließend beurteilt werden. Sobald die schriftliche Ausfertigung vorliegt, werden wir es genauestens analysieren. Festzuhalten ist zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls, dass der EuGH die Vorratsdatenspeicherung offenbar nicht grundsätzlich und generell ablehnt.

STANDARD: Stichwort Hass im Netz: Kanzleramtsminister Thomas Drozda plädiert für eine medienrechtliche Gleichstellung von Facebook und Co mit klassischen Medien. Unterstützen Sie das?

Brandstetter: Wir sind hier eng abgestimmt und wollen zu Beginn des Jahres Maßnahmen gegen Hass im Netz vorstellen. In meinem Bereich haben wir den Tatbestand der Verhetzung zu Recht bereits verschärft. Wir verzeichnen seither einen Anstieg um 19 Prozent beim Anfall der Staatsanwaltschaften. Heuer gab es bereits 103 Anklagen, was einer Steigerung um 29 Prozent entspricht. Die Staatsanwaltschaften sind also sehr scharf eingestellt. Für mich ist entscheidend: Es macht keinen Unterschied, ob jemand selbst Hasstiraden verbreitet, die strafrechtlich relevant sind, oder ob das jemand bewusst zulässt, ohne etwas dagegen zu tun. Klar ist: Es kann kein Sonderstrafrecht für Internetkonzerne geben. Unabhängig vom Strafrecht geht es auch um die medienrechtliche Verantwortung, also um die Frage, wer ist überhaupt ein Medium. Da kann es durchaus einmal Änderungen geben.

STANDARD: Zuletzt sorgte ein Gewaltvideo für Aufregung. Die Grünen haben Facebook angezeigt, weil das Video nur zögerlich gelöscht wurde. Die Staatsanwaltschaft sah aber für Cybermobbing keinen begründeten Anfangsverdacht. Muss man bei diesem Tatbestand nachschärfen?

Brandstetter: Konkrete Einzelfälle kommentiere ich nicht. Den Tatbestand Cybermobbing gibt es erst seit Anfang 2016, er greift aber bereits. Wir haben schon vier Verurteilungen und 26 Anklagen. Für eine Evaluierung ist es aber noch zu früh. Ganz allgemein gesprochen: Das Strafrecht ist kein Wunschkonzert für verschiedene Interessengruppen, die exakt auf ihre Vorstellungen zugeschnittene Straftatbestände wollen.

STANDARD: Sind die Strafverfolgungsbehörden ausreichend IT-fit?

Brandstetter: Das ist eine berechtigte Frage. Wir sind technologisch durchaus auf der Höhe der Zeit, werden aber überlegen, wie wir uns organisatorisch noch besser aufstellen können. Da geht es etwa um die Vernetzung mit dem Innenressort und dem Bundeskanzleramt. Aber auch personell ist noch Luft nach oben. Das ist aber natürlich auch eine budgetäre Frage.

STANDARD: Das Budget von Innen- und Verteidigungsministerium wurde deutlich aufgestockt. Fühlen Sie sich benachteiligt?

Brandstetter: 2017 werden wir durch die Auflösung von Rücklagen bewältigen. 2018 brauchen wir aber sicher zusätzliche Budgetmittel – etwa für die geplante Reform des Strafvollzugs. Das ist keine Frage.

STANDARD: Wird es ein neues Gefängnis geben?

Brandstetter: Es gibt eine Standortstudie, die bis Jahresende vorliegen wird. Wir machen im Strafvollzug Tabula rasa: Welche Standorte machen auf lange Sicht Sinn, wo braucht's neue? Wir brauchen zumindest drei forensisch-therapeutische Zentren, wo wir die psychisch beeinträchtigten Insassen des Maßnahmenvollzugs bestmöglich medizinisch betreuen können.

STANDARD: Und was ist im regulären Strafvollzug geplant?

Brandstetter: Da werden die bestehenden Anstalten, vor allem die größeren, genau evaluiert. Mir ist wichtig, dass das externe Fachleute machen, damit Einzelinteressen, auch regionalpolitische, nicht dominieren. Man muss eines sehen: Ein Standort, den man heute nicht mehr wählen würde, der ist einfach falsch. Es braucht jetzt den Mut, sich vorbehaltlos anzuschauen, welche Standorte noch Sinn machen. Es wird vielleicht welche geben, die man veräußern kann mit einem hohen Erlös, den man investieren kann, um an einem vernünftigeren, vielleicht billigeren Standort etwas Besseres zu machen. Ich bin für alles offen.

STANDARD: Warum erst jetzt?

Brandstetter: Das alte System hat darunter gelitten, dass es viele, viele Jahre keine Reform gegeben hat – und warum nicht? Weil es nicht populär war, in den Strafvollzug zu investieren. Kein Politiker gewinnt Stimmen, wenn er Haftanstalten und vor allem die dortigen Arbeitsmöglichkeiten ausbaut. Aber man muss es tun. Es gibt auch international Kritik, die man ernst nehmen muss. Jetzt sehe ich die Chance, dass man das einmal anpackt und Österreich den Strafvollzug gibt, der diesem Land gerecht wird. Wir haben das derzeit nicht.

STANDARD: Es gab viel Kritik am schlecht ausgelasteten Schubhaftzentrum Vordernberg. Haben Sie den Innenminister schon gefragt, ob Sie die Anstalt für die Justiz nutzen können?

Brandstetter: Sollte das Innenressort zum Schluss kommen, dass man Vordernberg nicht mehr benötigt, bin ich natürlich gerne bereit, das in unsere Standortüberlegungen miteinzubeziehen.

STANDARD: Soll die elektronische Fußfessel schon ab einer Resthaftzeit von 18 Monaten möglich sein? Derzeit dürfen es höchstens zwölf Monate sein.

Brandstetter: Da bin ich absolut dafür, ich werde das daher auch vorschlagen. Wir werden die Möglichkeit von Fußfesseln auch für jede Form der Unterbrechung des Vollzugs vorschlagen, wenn also Insassen in der Endphase des Aufenthalts notwendige soziale Kontakte draußen pflegen oder auf Jobsuche gehen – weil es dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit entspricht.

STANDARD: Die Reform des Maßnahmenvollzugs (Unterbringung von geistig abnormen Rechtsbrechern) hätte schon im Herbst fertig sein sollen. Was wurde daraus?

Brandstetter: Wir werden das Mitte Jänner präsentieren. Wir werden viele Vorschläge der Expertengruppe umsetzen – eines werden wir aber nicht tun: Wir werden die Voraussetzungen der Anlasstat, die notwendig ist, um überhaupt jemanden in den Maßnahmenvollzug zu überweisen, nicht hinaufschrauben. Das wird im Kern so bleiben, wie es jetzt ist. Es muss sich also um Taten handeln, auf die mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe steht.

STANDARD: Warum?

Brandstetter: Weil ich der Meinung bin, dass man das Risiko nicht verantworten kann. Man muss immer schauen: Gibt es ein Aggressionspotenzial, das pathologisch bedingt ist und das gefährlich werden kann? Darauf kommt es an – und nicht darauf, welche Strafdrohung die Tat hat, durch die jemand auffällig wird. Das frühere System ist zu formal, wir wollen das stärker inhaltlich definieren. Ich sage ganz offen, und das sind auch die Lehren aus der Brunnenmarkt-Tragödie (Eisenstangen-Mord, Anm.): Wir haben zwar das Unterbringungsrecht in Krankenanstalten. Aber es ist sinnvoller, jemanden in einem forensisch-therapeutischen Zentrum jemanden zu behandeln, wenn er durch eine Straftat auffällig wird.

STANDARD: Einmal drin, ist es oft schwer, aus dem Maßnahmenvollzug wieder rauszukommen. Viel Macht liegt beim Gutachter, aber die Qualität der Gutachten steht in der Kritik. Wird sich hier etwas ändern?

Brandstetter: Diese Kritik gibt es und sie ist zum Teil berechtigt. Wir müssen die Bedingungen der Arbeit der Gutachter verbessern, bis hin zur Honorarfrage. Ich bemühe mich um eine Adaptierung der Honorarsätze, aber das geht nicht ohne das Finanzressort.

STANDARD: An welchen Standorten wird es medizinisch-forensische Zentren geben? Suchen Sie einen neuen Standort in Wien?

Brandstetter: Kann ich derzeit nicht sagen. Wir haben in Wien den Mittersteig. Das ist, wenn Sie so wollen, eine therapeutische Einrichtung. Wir werden in weiterer Folge nach dem Vorbild von Asten drei solche Zentren österreichweit schaffen. Aber bis das fertig ist, das wird lange nach meiner Amtszeit sein. Aber die Schienen will ich legen.

STANDARD: Immer wieder wurde bereits über eine Reform der Geschworenengerichtsbarkeit diskutiert. Wie sehen Ihre Pläne aus?

Brandstetter: Die Geschworenengerichtsbarkeit leidet unter einem gravierenden Mangel: Das ist die Tatsache, dass es keine Begründungen gibt. Dieser Begründungsmangel ist nur zu beheben, wenn Berufsrichter in die Beratungen eingebunden sind. In welchem Umfang, das ist offen. Für mich ist es aber schlicht unerträglich, wenn es nur heißt: Grundlage für eine Verurteilung ist der Wahrspruch der Geschworenen. Das ist eines Rechtsstaates unwürdig.

STANDARD: Werden Sie also einen neuen Vorschlag vorlegen?

Brandstetter: Es gibt aus meinem Haus bereits einen Vorschlag aus dem Jahr 2011, auf dessen Basis wir verhandeln wollen. Ich sehe jetzt das Zeitfenster, um hier eine Reform zustande zu bringen. (Maria Sterkl, Günther Oswald, 22.12.2016)