Die Zeit vor dem Heiligen Abend hat viele Gesichter. Wir beauftragten den Shootingstar der heimischen Fotoszene, die Wienerin Stefanie Moshammer, mit einer weihnachtlichen Bilderstrecke. Fündig wurde sie in Wien, Miami, Las Vegas, Los Angeles, Rio de Janeiro und im dänischen Aarhus.

Ein Passant in der Fremont Street in Las Vegas wurde fotografiert von Stefanie Moshammer.
Foto: Stefanie Moshammer
Kühlschrank, fotografiert in Miami.
Foto: Stefanie Moshammer
Passantin in der Lugner-City in Wien.
Foto: Stefanie Moshammer
Abgestelltes Auto in Los Feliz in Los Angeles.
Foto: Stefanie Moshammer
Opfergabe für Geister im Tijuca-Dschungel in Rio de Janeiro.
Foto: Stefanie Moshammer
Das Hotel Tropicana in Las Vegas.
Foto: Stefanie Moshammer
Selbstporträt mit Tuch, entstanden in Aarhus in Dänemark.
Foto: Stefanie Moshammer
Engelhafter Pudel bei einer Hundeshow in Las Vegas.
Foto: Stefanie Moshammer
Passant Erich, fotografiert in der Wiedner Hauptstraße in Wien.
Foto: Stefanie Moshammer

"Ich suche die Schönheit im Rauen"

Die Fotografin Stefanie Moshammer hat dieser Ausgabe ein weihnachtliches Gesicht verliehen. Im Gespräch verrät sie, wie die Motive entstanden sind, was ihre Tattoos bedeuten und wie sie einem Außerirdischen das Weihnachtsfest erklären würde

Interview: Anne Feldkamp & Michael Hausenblas

Foto: Stefanie Moshammer

STANDARD: Die Weihnachtsbilder haben Sie in fünf verschiedenen Städten aufgenommen. Wie haben Sie sich ans Thema Weihnachten angepirscht?

Stefanie Moshammer: Ich hab nach Bildern gesucht, die die Welt von Weihnachten auf indirekte, subtile Weise in sich tragen. Das Porträt von dem weißen Pudel zum Beispiel ist perfekt, der Hund hat so etwas Engelhaftes an sich. Ich habe ihn auf einer Hundeshow in Las Vegas fotografiert.

STANDARD: Jemand anderer wäre vielleicht eher auf den Christkindl-Markt gegangen, um zu fotografieren.

Moshammer: Das hab ich mir eh auch überlegt, ich habe mich dann aber für die Lugner-City am Wiener Gürtel entschieden.

STANDARD: Das ist ja noch schlimmer als ein Christkindl-Markt.

Moshammer: Ich war tatsächlich erstaunt, dass Menschen dort freiwillig ihre Freizeit verbringen, auch wenn es nicht unwitzig ist und sich dort eine ganz eigene Welt auftut.

STANDARD: Das Thema Weihnachten ist für viele Menschen ein sehr ambivalentes. Was bedeutet Weihnachten heute eigentlich? Anders gefragt: Wie würden Sie einem Außerirdischen erklären, was dieser Tag zu bedeuten hat?

Moshammer: Soll ich es ihm schön oder nicht schön verkaufen?

STANDARD: Das liegt bei Ihnen.

Moshammer: Leider Gottes ist Weihnachten mittlerweile durch die Medien und die Werbung eine Art Marke geworden, die ein ganzes System antreibt. Die Zeit vor Weihnachten ist unglaublich stressig, und alle machen sich verrückt. Dabei ginge es doch darum, etwas zur Ruhe zu kommen.

STANDARD: Kommen Sie zur Ruhe?

Moshammer: Wir feiern Weihnachten bei meiner Großmutter auf dem Land, holen einen Baum aus dem Wald, kochen etwas gemeinsam ...

STANDARD: ... und warten, bis es zu schneien beginnt? Ganz schön klischeehaft im Vergleich zu Ihren Fotos.

Moshammer: Ja, das stimmt, aber ganz so schlimm ist es nicht. Wir versuchen ganz einfach, einen schönen Abend miteinander zu verbringen.

STANDARD: Also würden Sie den Außerirdischen zuerst in die Lugner-City schleppen und dann mit zur Oma und zum Christbaum nehmen.

Moshammer: Das ist keine schlechte Idee, es geht schließlich immer um Kontraste.

STANDARD: Zurück zum Irdischen: Ihren Bildern wird nachgesagt, sehr nah am realen Leben zu sein. Wo fängt dieses reale Leben an, und wo verlässt man es?

Moshammer: Das bleibt dem Betrachter überlassen. Meine Bilder entstehen oft an Orten, die etwas Raues haben. Kombiniert mit etwas Inszeniertem, eröffnen sie eine andere Ebene. Den realen Ansatz aber braucht's, damit die Leute dieses Wahrhaftige auch verstehen und erkennen. Ich könnte nie lediglich im Studio ein Setting aufbauen und dann drauflosfotografieren.

STANDARD: Muss Ihre Fotografie immer etwas Raues haben?

Moshammer: Nein, muss sie nicht, sie kann auch unschuldig sein. Aber das Leben hat halt einmal eine raue Seite. Es geht um die Schnittmenge.

STANDARD: Die wiederum eine ganz eigene Ästhetik generiert. Was empfinden Sie als ästhetisch?

Moshammer: Das ist eine spannende Frage, weil Ästhetik für jeden etwas anderes bedeutet.

STANDARD: Umso mehr sucht man nach einer Definition, oder?

Moshammer: Ein ästhetisch ansprechendes Bild trägt einen Mythos in sich, ist vielleicht nicht auf den ersten Blick lesbar. Trägt etwas Unerwartetes, vielleicht Zweideutiges in sich. Eine zweite Ebene kann Ästhetik erzeugen.

STANDARD: Was wäre so eine zweite Ebene?

Moshammer: Etwas, das einen Bruch erkennen lässt. Es geht auch um eine Auseinandersetzung mit dem, was wir als "schön" empfinden, das uns in der Regel kulturell antrainiert wurde. Auch das soll ein gutes Bild hinterfragen.

STANDARD: Man hat das Gefühl, Sie erzählen mit manchen Ihrer Bilder eine Geschichte. Wie viel Geschichte kann man mit einem einzelnen Foto erzählen?

Moshammer: Es gibt längere und kürzere Geschichten, aber prinzipiell verstehe ich meine Bilder nicht als Antworten, sondern als Fragen.

STANDARD: Die der Betrachter für sich selbst beantwortet?

Moshammer: Was ihm bei manchen Fotografien mehr, bei anderen weniger gelingen wird. Es ist auch gut, wenn manches einfach offenbleibt.

STANDARD: Der Philosoph Roland Barthes meinte sinngemäß, Fotografie halte einen raschen Ablauf in einem entscheidenden Augenblick fest. Spürt man, wenn so ein Moment kommt? Wartet man auf ihn?

Moshammer: Es ist eine Mischung. Alles dem Zufall zu überlassen, finde ich wenig spannend. Hätte ich bei vielen meiner Bilder gewartet, würde ich noch immer in Rio, Las Vegas oder sonst wo sitzen.

STANDARD: Ihr Vater ist Kriminalpolizist, Ihre Mutter Lehrerin. Sie bezeichneten sie in ihrer Unterschiedlichkeit einmal als Ying und Yang. Beeinflusst das die Brennweite Ihres fotografischen Blickwinkels auf das Leben dort draußen?

Moshammer: Mein Vater ist eher der rauere, konkrete Typ, meine Mutter das süßeste Wesen, und ich bin eine Art Verschmelzung der beiden. Ich denke schon, dass man den Charakter eines Fotografen in seinen Bildern erkennen kann. In meinem Fall könnte man vielleicht verkürzt sagen, ich suche die Schönheit im Rauen.

STANDARD: Als Jugendliche waren sie dem Underground, dem Punkigen zugetan. Wieso?

Moshammer: Weil ich so aufgewachsen bin, das war mein Freundeskreis. Mir hat die Musik gefallen, die Konzerte, diese Rebellion gegen alles. Ich hab übrigens auf einem Punkfestival in der Wiener Arena meinen ersten Film verschossen. Da war ich 13. Irgendwann wird man dann aber auch gegenüber anderem offener und muss sich nicht nur auf eine Bewegung beschränken.

STANDARD: Ist da noch immer Punk in Ihren Fotos?

Moshammer: Ein gewisses Reiben an Normen kann man an meinen Bildern bestimmt ablesen.

STANDARD: Manche Ihrer Bilder erinnern an klassische Sozialreportagen, und doch scheinen Sie sie auf eine andere Ebene zu heben. Wie machen Sie das?

Moshammer: Ich denke, eine Sozialreportage versucht, objektiver zu bleiben, ist weniger inszeniert und auch weniger poetisch. Lassen Sie es mich so sagen: Die Sozialreportage ist die Zeitung, meine Arbeit möchte ein Essay sein.

STANDARD: Die Fotografie wurde in der Kunstwelt lange stiefmütterlich behandelt. Mittlerweile, so scheint es, wird die Fotografie deutlich mehr respektiert.

Moshammer: Das stimmt und gilt vor allem für die jüngere und zeitgenössische Fotografie, die mitunter auch als abstrakte Kunstform gesehen wird. Früher war Fotografie viel mehr eine Form von Dokumentation. Die persönlichen Ansätze sind heute viel stärker spür- und sichtbar.

STANDARD: Das heißt, es benötigt vor allem eine persönliche Handschrift des Fotografen, um auf dem Markt bestehen zu können?

Moshammer: Auf jeden Fall. Es wird aber auch einfach viel spannender, wenn man den Menschen hinter einer Fotografie spüren kann.

STANDARD: Aber ein Robert Doisneau, ein Henri Cartier Bresson oder später ein Robert Mapplethorpe waren doch auch sehr spürbar, oder?

Moshammer: Schon, aber die sind mittlerweile Kultfiguren. Wenn ich heute wie Cartier Bresson fotografieren würde, sähe sich das kein Mensch an.

STANDARD: Wann wird denn ein Foto zur Kunst?

Moshammer: Wenn es Institutionen dazu machen. Für mich kann ein gutes Foto auch Kunst sein, wenn es irgendwo bei jemandem in der Schublade herumliegt. Aber sonst gilt: Hängt ein Bild einmal in einer Galerie, in einem Museum oder wird in einem Magazin abgebildet, wird ihm auch dieser Stempel namens "Kunst" aufgedrückt.

STANDARD: Hatten Sie Sehnsucht nach diesem Stempel?

Moshammer: Gar nicht, das hat sich ganz einfach so ergeben. Ich sehe mich selbst auch nicht als Künstlerin. Ich habe die Modeschule in Hetzendorf besucht, landete dann im Grafikdesign und bin weiter in die Fotografie gerutscht. Ich produziere meine Dinge, verwende Fotografie als Medium und finde es spannender, wenn andere Leute definieren, was das ist, was ich da tue. Mich interessiert, wie sie meine Bilder lesen.

STANDARD: Fragen Sie die Personen, die Sie fotografieren, eigentlich um Erlaubnis?

Moshammer: Ja klar, ich unterhalte mich auch oft mit ihnen. Außer ich fotografiere sie von hinten.

STANDARD: Für Ihren Bildband "Vegas and She" fotografierten Sie zwei Monate lang Stripperinnen in den USA. Gab es da keine gegenseitigen Berührungsängste?

Moshammer: Es geht in solchen Situationen um ein Gespür. Das Projekt war für alle okay. In diesem Fall hat mir eine der Frauen vertraut, und dieses Vertrauen dann an die anderen weitergegeben und somit die Türe geöffnet.

STANDARD: Glauben Sie an einen weiblichen Blick in der Fotografie?

Moshammer: Das tu ich schon, ja. Andererseits bekomme ich immer mehr mit, dass es da so einen feministischen Blick gibt. Den find ich nicht so spannend. Feminismus finde ich prinzipiell unterstützenswert, sich allein aus dem Grund, dass man eine Frau ist, auf gewisse Themen zu konzentrieren, halte ich aber für eigenartig.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Moshammer: Schauen Sie sich nur diese fotografische Auseinandersetzung mit Übernatürlichkeit an, die sich gegen jedes Schönheitsideal wendet. Egal ob es sich um Übergewicht oder Achselhaare handelt. Diese Aussage von "Ich bin eine natürlich schöne Frau" kann auch übertrieben werden. Was natürlich nicht bedeutet, dass ich es nicht wünschenswert finde, wenn man endlich zu einem realen Frauenbild jenseits der Hochglanzmagazine und der Werbung findet.

STANDARD: Sie haben kleine Punkte auf Ihren Fingern tätowiert. Was bedeuten sie?

Moshammer: Es ist ein Morsecode, den hab ich noch gar nicht so lange. Er bedeutet "Life". Dieser Code steht für etwas, das man nicht entschlüsseln kann. (Anne Feldkamp & Michael Hausenblas, RONDO, 24.12.2016)

Nachlese:

>> Shooting Las Vegas