Im Liegen wäre relativ leicht Haltung zu bewahren. Armin Wolf sitzt allerdings vorwiegend im Studio der "ZiB 2" – und er befragt seine Gäste mit Nachdruck. Das hat zu politischen Verwerfungen geführt.

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Geschätzte Damen und Herren!

Wer bei Lebzeiten den Ehrenpreis fürs Lebenswerk kriegt, freut sich, betrachtet es als Bestätigung, dass einiges gelungen ist, hofft, dass das manchmal sogar etwas bewirkt hat, und denkt sich gleichzeitig: Aber eigentlich wollte ich doch noch dies und jenes. Es ist die letzte Phase vor dem Verschwinden. Aber solange meine Arbeit Menschen interessiert, mache ich weiter. In diesem Sinne bedanke ich mich bei der Concordia, bei der Jury und bei meinem Laudator Armin Thurnher für die schönen Worte. Ich habe mich gefreut, dass er diese Aufgabe übernommen hat.

Und jetzt noch ein paar Worte von mir. Geben Sie mir sieben Minuten Zeit. Im Zentrum meines beruflichen Lebens stand, wie Sie wissen, der ORF, weswegen ich mich diesem immer noch in Dankbarkeit verpflichtet fühle. Ich halte das öffentlich-rechtliche System nach wie vor für das bestmögliche und – das ist mir ganz wichtig! – für das im Wortsinn menschenwürdigste Rundfunksystem, weil es die Menschen ernst nimmt. Und wenn uns allen ständig gesagt wird, ab jetzt müssten wir uns lebenslang weiterbilden: Genau dem dient das öffentlich-rechtliche System. Die kommerziellen Sender dienen dem wesentlich weniger. Und auch die Unterhaltung hat im ORF anspruchsvoller zu sein, hat bestimmte Niveaugrenzen nicht zu unterschreiten. Daher gilt es, so man sich den Ideen der Aufklärung verpflichtet fühlt, dieses System zu verteidigen. Das habe ich mein Leben lang getan und mitzuhelfen versucht, Zugriffe auf den ORF abzuwehren.

Und Zugriffe und Zugriffsversuche vonseiten der Politik gab es in den vergangenen fünfzig Jahren geradezu regelmäßig. Ich sage: "die Politik", was reichlich undifferenziert klingt. Aber zuweilen war die parteipolitische Front gegen den ORF tatsächlich recht breit. Und jetzt scheint es wieder so zu sein. Wobei interessant daran ist, dass die laut gewordene Kritik diesmal nicht nur von beleidigten Politikern wie dem einstigen niederösterreichischen Landeshauptmann kommt und selbstverständlich von den Boulevardmedien, sondern dass sie zuallererst aus dem Haus selbst kommt.

Da heißt es, Politiker würden im ORF "spätabends einem Verhör" unterzogen, was einer Beteiligung "an der Zersetzung der Demokratie" gleichkomme, sagt einer, und ein anderer: "Es ist unzumutbar für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wenn das TV-Studio wie ein Verhörraum oder eine Anklagebank wirkt." Erstaunlich, wenn Angestellte öffentlich so über das Programm ihres Hauses reden. Gemeint sind offensichtlich die "Zeit im Bild 2" und deren Anchorman Armin Wolf. Man soll das angesichts der Positionen, die die Kritiker im ORF einnehmen, nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich habe beim "Club 2" erlebt – das war allerdings nach meinem Abgang –, wie man ein Format umbringen kann, indem man es durch organisatorische Maßnahmen verkümmern lässt, bis jeder das Ende versteht.

Das heißt, es geht wieder einmal um den uralten Konflikt: kritischer unabhängiger Journalismus versus Parteieneinfluss auf Berichterstattung und Interviews. Man kann es auch so sagen: Es geht um eine Frage unserer Demokratie. Denn dass die Verfasstheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich eine demokratiepolitisch wichtige Frage ist, sollte außer Zweifel stehen. Wer es anders sieht, hat ein anderes Demokratieverständnis.

Im laufenden Konflikt geht es aber nicht nur um eine Sendung, es geht ums Ganze. Der ORF hatte in den vergangenen zehn Jahren beträchtlichen Freiraum in seiner Berichterstattung – das war großartig, hat aber nicht allen gefallen –, und dieser Freiraum scheint nun bedroht, nachdem Kathrin Zechner die Zuständigkeit für den Aktuellen Dienst entzogen wurde und aus dem Haus selbst solche Attacken gegen kritischen Journalismus geritten werden. Da mag auch Persönliches mitspielen und Karriereplanung, aber das sind keine internen Personalfragen. Wenn ein neuer Proporz droht, der die Agenden zwischen Rot, Schwarz und im Digitalbereich Blau aufteilt, dann geht uns das alle an.

Mag sein, ich übertreibe, aber Indizien gibt es. Der Aufruf zur Wachsamkeit ist daher legitim. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, den ORF schlechtreden zu wollen – was man umgangssprachlich als "sudern" bezeichnet. Denn das gibt es auch: dieses ständige Herumnörgeln, weil man doch Gebühren zahlt – die zu einem nicht geringen Teil ohnehin gleich wieder von den Bundesländern dem ORF weggenommen werden, was völlig absurd ist und endlich abgeschafft gehört.

Halten wir daher fest: Das Programm des ORF ist – entgegen allen Sudereien – in vielem erstklassig. Das weiß, wer vorurteilsfrei hinschaut und hinhört. Aber das Jammern hat eine lange Tradition. Dazu eine legendäre Geschichte aus der Frühzeit des Fernsehens in Deutschland: Nachdem die ARD zu senden begonnen hatte, habe es nach wenigen Monaten eine erste Umfrage gegeben, wie's den Leuten gefällt. Überwiegende Antwort: Das Programm wird immer schlechter.

Zum Schluss: Ich will hier nicht als Kassandra auftreten, zumal der Fluch der Kassandra bekanntlich gewesen ist, dass ihre Warnungen überhört worden sind. Ich weise nur darauf hin: Da scheint es eine konkrete Bedrohung zu geben. Und ich weise deswegen darauf hin, weil mir Freiheit und Unabhängigkeit des Österreichischen Rundfunks am Herzen liegen. Weil das wichtig ist für unsere Demokratie. Und weil ich dem ORF viel verdanke.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Peter Huemer, 3.5.2017)