Ein Schmuckstück ist er wahrlich nicht, der Franz-Josefs-Bahnhof im neunten Wiener Gemeindebezirk. Das sieht auch Marieli Fröhlich so. Die Filmregisseurin wohnt direkt gegenüber. Dass sich hier allzu viel verändert und ein Mega-Bauprojekt gestartet wird, will die Filmregisseurin aber nicht: "Der Bau ist gut erhalten und– ob schön oder nicht – es ist in gewisser Weise eine Landmark, die auch einen ganz eigenen Charakter hat und für eine bestimmte Zeit steht."

Das Planungsgebiet ist mit 2,4 Hektar das größte Stadtentwicklungsprojekt innerhalb des Gürtels. Bis die Baumaschinen laufen, könnte es allerdings noch einige Zeit dauern – obwohl seit mittlerweile sieben Jahren darüber diskutiert und daran geplant wird, was in Zukunft mit dem Areal von der alten Wirtschaftsuni bis zum Bahnhof und der Bank Austria, die dieses Jahr auszieht, passieren soll. Am Donnerstag erklärte die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou: "Das vorliegende Widmungsverfahren wird nicht weiterverfolgt."

Das bedeutet einen Quasi-Neustart für ein Riesenprojekt, bei dem sich Bezirk. Stadt und Eigentümer eigentlich schon ziemlich einig zu sein schienen. Nachdem sich Anrainer wie Fröhlich zur Bürgerinitiative "Lebenswerter Althangrund" zusammenschlossen und ihre Kritik und ihren Unmut öffentlich machten, sehen Bezirk und Stadt mittlerweile auch gute Gründe, nochmal von vorne zu beginnen.

Der Julius-Tandler-Platz mit dem in den 70ern errichteten Glasbau. Der Bahnhof befindet sich darunter.
Foto: ÖRAG

Rückblick

Was war passiert? Ein erstes Leitbild für das Areal wurde im März 2017 präsentiert, damals noch unter allgemeiner Zufriedenheit. Geht es nach dem Investor, dem Wiener Immobilienentwickler 6B47, soll die Gegend in ein paar Jahren grundlegend anders aussehen. Es soll ein modernes Stadtviertel entstehen – inklusive Hochhaus, Hochpark nach Vorbild der New Yorker Highline, Einkaufszentrum und Tiefgarage: das neue "Althan-Quartier".

Die ehemalige Bank Austria soll generalsaniert und architektonisch einer Renovierung unterzogen werden. Das "Herzstück des Areals" soll der weitläufige Hochpark beim Bahnhof darstellen, der verschiedene Teile des Bezirks miteinander verbinden soll. Dadurch würden aber nicht nur neue Querungen, sondern auch zusätzliche Grünflächen ermöglicht. Das soll auch die "Verlagerung des Bauvolumens in Hochhäuser" garantieren.

Im nördlichen Teil, wo das Parkhaus abgerissen werden soll, ist laut Plan eine Maximalhöhe von 126 Metern möglich, direkt an der Althanstraße hinter dem Bahnhof soll ein Einkaufszentrum in der Höhe von bis zu 63 Metern realisiert werden. Zum Vergleich: Die Müllverbrennungsanlage Spittelau hat eine Höhe von 126 Metern, der Stephansdom zehn Meter mehr.

Von links: Karin Oppeker (Ombudsfrau Althan-Quartier), Michaela Mischek (Geschäftsführerin Althan-Quartier Projektentwicklung) und Maria Vassilakou (Vizebürgermeisterin) bei der Präsentation des Leitbildes im März 2017.
Foto: Skills/APA-Fotoservice/Rastegar

Dieser Plan wurde in "einem kooperativen Planungsverfahren" über einen Zeitraum von acht Monaten erarbeitet. Blitzschnell, wenn man bedenkt, dass zuvor jahrelang mit den ursprünglichen Eigentümern von ÖBB, Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) und Post bis zur Bank Austria verhandelt wurde. Der Stadt Wien gehörte kein einziges Gebäude auf dem Areal – die Verhandlungen waren also schwierig.

2015 übernahm die 6B47 für einen "niedrigen dreistelligen Millionenbetrag" das Bank-Austria-Gebäude und die Parkgarage auf dem Areal. Zuvor hatte die ÖBB noch beschlossen, dass der Bahnhof erhalten bleiben soll, und die BIG klammerte die Universitätsgebäude im nördlichen Teil des Areals aus. Stadt, Bezirk und Eigentümer beschlossen daher, dass es zwei Widmungsverfahren geben soll, ein vorgelagertes Verfahren für den vorderen Bereich am Julius-Tandler-Platz – das letzten März präsentierte Leitbild – und ein eigenes Verfahren für den hinteren Bereich nach Abschluss eines Wettbewerbs.

Anrainer wollen kein "Desaster" wie am Heumarkt

Diese Trennung ist seit der Ankündigung Vassilakous wieder Geschichte. Wenige Tage zuvor lehnte die Bezirksvertretung den Plan für den vorderen Bereich einstimmig ab. "Wir haben schon seit einiger Zeit sehr viele Fragen gestellt und kaum Antworten gestellt. Das sogenannte Bürgerbeteiligungsverfahren ist kein echtes", sagt Fröhlich.

Für viele Bezirksbewohner waren vor allem die geplanten Hochbauten ein No-Go: "Ich bin sicher keine rückwärtsgewandte Sozialromantikerin, die nirgends Hochhäuser will. Aber sie sollen dort stehen, wo sie auch hinpassen. Und hier tun sie das nicht", macht Fröhlich klar. Sie habe niemanden im Bezirk getroffen, der für die Hochhaustürme sei. Mit ihr würden sich zahlreiche andere Menschen zusammentun, aus allen sozialen Schichten. Auch mit dem geplanten Hochpark seien viele, die sich in der Initiative einbringen, nicht zufrieden – auch weil nicht klar sei, wer etwa die Pflege eines solchen Parkes übernehme.

Ein Einkaufszentrum würde man ebenfalls ablehnen. "Viele von uns versuchen in kleineren Geschäften einzukaufen, die sich nur dadurch über Wasser halten können. Einen Mehrwert durch ein Shoppingcenter kann ich wirklich nicht erkennen." Da eine jahrelange Baustelle zu erwarten sei müsse man außerdem über Feinstaub bzw. die toxische Belastung informiert werden, was laut Fröhlich nie geschah. Und auch die Tiefgarage werde von der Initiative abgelehnt. Immer wieder fällt der Begriff "Heumarkt" – ein solches "Desaster" gelte es auf jeden Fall zu vermeiden.

Ein Rendering der 6B47 – blass im Hintergrund eines der Hochhäuser. Die Höhe sorgt für Aufregung bei Anrainern.
Foto: zoomvp.at.

Was der Bezirk nun doch nicht will

Für die Bezirksvertretung waren es ähnliche Punkte, die zur Ablehnung der Pläne geführt haben. Es sei "nicht Aufgabe der öffentlichen Hand, von öffentlichen Interessen abzurücken, um das Geschäftsrisiko von Privaten zu minimieren", heißt es in der Stellungnahme. Man bekenne sich allerdings zur proaktiven Zusammenarbeit mit dem Eigentümer. Auch für die Bezirksvertreter sind die geplanten Hochhäusern ein Problem: "Diese neue Höhe ist städtebaulich nicht nachvollziehbar", heißt es in der Stellungnahme. Die Vorwegname dieses Höhenpunktes sei aus Sicht des Bezirks ferner "ein unerwünschtes Präjudiz".

Gefordert werden daher unter anderem restriktivere Höhenvorgaben, eine Garage nur unter bestimmten Voraussetzungen (zum Beispiel wenn im Gegenzug 1:1 Flächen für öffentliche Einrichtungen wie Schulen garantiert werden), sozial gebundener Wohnbau, der sich über das ganze Areal verteilt, eine Umweltprüfung, eine fachliche Beschränkung der Geschäftsarten im Einkaufszentrum und auch, dass der vorgesehen Hochpark rechtlich eine dauerhaft öffentlichen Parkanlage gleichgesetzt wird.

Noch ein Rendering – so könnte der neue Franz-Josefs-Bahnhof nach Sanierung und Renovierung aussehen.
Foto: zoomvp.at

Warum kommt die Kritik auf Bezirksebene erst jetzt, wenn man doch in die Planungen miteinbezogen wurde? Laut Bezirksvorsteherin Martina Malyar (SPÖ) ist die Sache nicht so simpel: "Das sind ja sehr große Runden mit bis zu 50 Leuten. Nur weil man da dabei sitzt heißt das nicht, dass man allem zustimmt, was dort beschlossen wird."

Das Wichtigste sei, dass man die Anliegen der Bürger ernst nehme. "Aber natürlich besteht das Leben aus Kompromissen", sagt sie zum STANDARD. Sie hoffe nun, einen solchen mit der Stadt und dem Investor zu finden. Wäre es nach ihr gegangen, wäre die Strategie sowieso eine andere gewesen – nämlich dem Investor schon einen fertigen Plan vorzulegen. Aber die Stadträtin Vassilakou sei eben anderer Meinung gewesen.

Beate Meinl-Reisinger kritisiert den "Zickzackkurs" von Rot-Grün.

"SPÖ-Politiker aus Bezirk und Gemeinderat waren seit Jahren bei allen relevanten Entscheidungen mit am Tisch, nun versucht sich die SPÖ als Kämpferin für die Bürger darzustellen", sagt der Stadtplanungssprecher der Neos in Wien, Stefan Gara. Die SPÖ spiele ein doppeltes Spiel und treibe Vassilakou vor sich her.

Auch die Neos lehnten den Plan im Bezirksrat ab – der Stellungnahme dazu stimmten die Neos aber nicht zu. "Weil es ihnen zu unternehmerfeindlich ist", sagt Malyar. "Weil es aus unserer Sicht nichts als ein politisches Wunschkonzert ist", sagt Szabolcs Nagy, Klubvorsitzender und Bezirksrat in Alsergrund.

Leistbares Wohnen, eine nicht unterirdische Garage, genug öffentliche Einrichtungen wie Schulen – das seien politische Wünsche. "Zu erwarten wäre ja, dass das alles nach Jahren der Bausperre schon verhandelt ist." Statt zuzustimmen habe man deswegen zwei eigene Anträge eingebracht – darunter auch einen einheitlichen Bebauungsplan. "Auf Bezirksebene erhielten wir da keine Zustimmung. Natürlich freut es uns, dass Frau Vassilakou nun auch erkannt hat, dass dieser Weg sinnvoll ist." Zweitens würden die Neos ein Leitbild für das gesamte Areal bis zur Spittelau fordern – "das werden wir weiterhin pushen", sagt Nagy.

Hin- und Her für Investor "Ansporn und Motivation"

Und was sagt eigentlich der Investor zu all der Kritik und dem ganzen Hin- und Her? Die Entscheidung, das laufende Widmungsverfahren neu aufzurollen, werde grundsätzlich positiv bewertet. "Es macht Sinn, das in wenigen Monaten vorliegende Ergebnis des derzeit laufenden städtebaulichen Wettbewerbs abzuwarten. Auf dieser Basis wird es für alle Seiten einfacher, das Bauvorhaben in seiner Gesamtheit zu beurteilen", sagt Peter Ulm, Vorstandsvorsitzender der 6B47.

Die Kritik aus der Bevölkerung nehme er ernst. "Ich denke nicht, dass all das heißt, dass das Projekt abgelehnt wurde. Vielmehr geht es um Unsicherheiten", sagt Ulm. Für ihn seien die Rückmeldungen aus der Bevölkerung und die Ablehnung aus dem Bezirk "Ansporn und Motivation, noch enger zu kommunizieren." Auf eine Höhendiskussion wolle er sich nicht einlassen – "auf einen Meter mehr oder weniger kommt es nicht an. Es wurde ja lediglich ein theoretisches Höhenfenster genannt." Weil das Thema Hochhäuser emotional besetzt sei, überrasche ihn die Kritik nicht. Grundsätzlich begrüße er alle Maßnahmen, "die dazu führen, dass für diesen dringend zu revitalisierenden Standort eine optimale Lösung gefunden wird."

So kann man sich den Hochpark vorstellen, der Querungen ermöglichen sollte. Unklar blieb aber, wer für den Betrieb dieser Flächen verantwortlich sein soll.
Foto: zoomvp.at

In unmittelbarer Nähe zum Althan-Quartier ist ein anderes Projekt des Investors schon in der Umsetzung: Im ehemaligen Telekom-Austria-Gebäude werden aktuell 240 frei finanzierte "Premiumwohnungen" gebaut – der sogenannte "Althan-Park". Bis die Planung zum Althan-Quartier abgeschlossen ist, könnte sich außerdem die Eigentümerstruktur bei 6B47 ändern – das Unternehmen soll laut mehreren Berichten verkauft werden. Auswirkungen auf das Megaprojekt habe das allerdings keine, heißt es vom Unternehmen.

Wie es weitergeht

Laut Vassilakou werde nun das Ergebnis des laufenden Wettbewerbs abgewartet und dann ein neues Widmungsverfahren über das gesamte Areal gestartet. Ende April könne man laut Ulm mit einem Ergebnis rechnen. Das solle dann der Bevölkerung, der Bezirksvertretung und dem Gemeinderat vorgelegt werden. Fröhlich und die Initiative treffen sich bis dahin weiter. Sie finde es gut, dass nicht übereilt Dinge gemacht werden. "Wir sind sehr interessiert daran, mit allen Beteiligten einen Konsens zu finden." (lhag, 26.1.2018)