Wien – Für Notstandshilfebezieher gibt es derzeit kaum Gründe, einen gering bezahlten Job anzunehmen. Die Innsbrucker Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung (GAW) plädiert daher an die Regierung, die angekündigte Reform von Notstandshilfe und Mindestsicherung für einen grundlegenden Systemwechsel zu nutzen und Bezieher niedriger Einkommen bei den Sozialbeiträgen massiv zu entlasten.

Die GAW-Ökonomen Viktor Steiner und Florian Wakolbinger verweisen darauf, dass Langzeitarbeitslose zwar bis zur "Geringfügigkeitsgrenze" (438 Euro) dazuverdienen dürfen – und zwar ohne dass dafür Sozialversicherungsbeiträge anfallen würden. Wer aber mehr dazuverdient, muss nicht nur die volle Sozialversicherung bezahlen, sondern verliert auch noch die gesamte Notstandshilfe. Geringverdiener stehen in einem solchen Fall also vor der Wahl, weiterhin geringfügig zu arbeiten oder (nach dem Wegfall der Notstandshilfe) Mindestsicherung zu beantragen, wenn das Einkommen zum Leben nicht reicht.

Maximal acht Stunden pro Woche

Bei einem niedrigen Stundenlohn von 12,50 Euro bedeutet das den Berechnungen zufolge, dass die Betroffenen maximal acht Stunden pro Woche geringfügig arbeiten können. Wer mehr arbeiten möchte, müsste die Arbeitszeit auf zumindest 27 Wochenstunden erhöhen. Erst ab dieser Arbeitsleistung würde das zusätzliche Einkommen nämlich das Minus aus dem Wegfall der Notstandshilfe und den zusätzlich zu leistenden Sozialbeiträgen ersetzen. Eine Arbeitszeit zwischen neun und 26 Stunden wäre also ein Verlustgeschäft.

Steiner und Wakolbinger schlagen daher vor, die von der Regierung geplante Zusammenlegung von Mindestsicherung und Notstandshilfe durch Begleitmaßnahmen abzufedern. Konkret soll die Mindestsicherung bei einem Zuverdienst von 100 Euro nur um 85 Euro gekürzt werden – 15 Prozent des Zuverdiensts wäre also "frei". Außerdem sollen die Sozialversicherungsbeiträge für Niedrigverdiener gestrichen bzw. zwischen 1.500 und 2.500 Euro reduziert werden.

Steigerung der geleisteten Arbeitsstunden möglich

Die Reform könnte laut den Berechnungen zu einer Steigerung der geleisteten Arbeitsstunden führen und hätte vor allem für die unteren 20 Prozent der Einkommensbezieher positive Effekte. Dies allerdings nur, wenn es sich um Kurzzeit-Arbeitslose oder Beschäftigte handelt. Langzeitarbeitslose, die keinen neuen Job finden, würden durch die Streichung der Notstandshilfe massiv verlieren. Und zwar durchschnittlich 15 Prozent des Einkommens. Wobei zusätzliche Verluste durch eine allfällige Kürzung der Mindestsicherung hier noch nicht einberechnet sind, wie Wakolbinger sagt.

Dass die Chancen auf Umsetzung nicht gerade realistisch sind, räumt auf APA-Anfrage auch Wakolbinger ein. Und zwar wegen des dritten Vorschlags im Paket: Er würde nämlich alle Familien-Förderungen (Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag und den neuen Familienbonus) zusammenfassen und in einen lohnsteuerpflichtigen Zuschuss umwandeln. De facto wäre die Familienförderung bei Geringverdienern somit höher, weil sie keine oder weniger Lohnsteuer zahlen. "Ob das realistisch ist, stelle ich dahin", so Wakolbinger. Sinnvoll wäre eine degressive Familienförderung aus seiner Sicht allemal. (APA, 6.10.2018)