Eine Brustkrebsoperation ist für jede Patientin eine große Hürde. Wer diesen Eingriff durchführt, ist eine wichtige Information, die korrekt im OP-Protokoll stehen sollte.

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Eine Brustkrebsdiagnose ist ein schockierendes Ereignis. Krebs kann tödlich sein. Die meisten Betroffenen haben sich bis zu diesem Zeitpunkt wenig mit dem Gesundheitssystem beschäftigt. Doch von einem Tag auf den anderen wird dieser Betrieb überlebensnotwendig und die Frage, welcher Arzt einen behandelt, zentral.

Denn, auch das werden Neopatientinnen bald feststellen: Brustkrebs ist eine komplexe Erkrankung, sie werden im Internet lesen, wie viele unterschiedliche Erkrankungsformen es gibt, dass Chirurgen, Radiologen und Onkologen zusammenarbeiten müssen, dass es viele bewährte, aber auch neue Therapien gibt, dass die Gene eine Rolle spielen. Kurzum: Sie werden einen hochspezialisierten Arzt brauchen.

Michael Gnant ist ein solcher Arzt. Ein Chirurg an der Uniklinik, ein vielzitierter Wissenschafter, der sich als Leiter der Studiengruppe ABCSG international einen Namen in der Brustkrebsforschung gemacht hat, der auf internationalen Kongressen Vorträge hält, medial präsent ist, aber im Oktober 2018 wegen angeblich gefälschter OP-Protokolle (siehe Wissen) entlassen wurde. Wer davor zu ihm wollte, konnte sich einen Termin in seiner Privatordination ausmachen und bekam für ein Wahlarzthonorar von 220 Euro eine Erstberatung, nach der OP verrechnete er 190 Euro.

Zeit ist Mangelware

Die Herausforderung für Krebsspezialisten wie Gnant war es, nicht nur ein gleichermaßen guter Mediziner, Operateur und Wissenschafter zu sein, sondern auch ein empathischer Zuhörer für Patientinnen in Todesangst. 30 Minuten dauerte laut der Patientenanwältin Sigrid Pilz ein Termin bei Gnant. "So lange wie nötig, es können 15 oder 90 Minuten sein", so Gnant. Was für den Krebsspezialisten Routine war, war für die Patientinnen jedoch stets eine Ausnahmesituation. "Er hat Patientinnen versprochen, er würde sie im AKH operieren", berichtet Pilz. Michael Gnant dementiert und sagt, er habe Patientinnen stets von seinen Tätigkeiten in Kenntnis gesetzt. Zudem gebe es im öffentlichen Gesundheitswesen nicht die Möglichkeit der freien Arztwahl.

Die Patientinnen berichteten Pilz, dass Gnant ausdrücklich zugesagt habe, sie würden von ihm persönlich operiert, nach der OP wurden sie zur Befundbesprechung und "zum Fädenziehen" wieder in die Privatordination bestellt. Gnant verwies dort, so Pilz, gegenüber Patientinnen auf den OP-Bericht aus dem Spital. "Es ist mittlerweile belegt, dass er in 90 Prozent nicht selbst operiert hat", so Pilz. Gnant dementiert das. Pro Patientin also mindestens zwei Termine à circa 200 Euro, "da kommen bei vielen Patientinnen beträchtliche Summen zusammen", so Pilz, die sich nur auf die ihr bekannten Fälle beziehen kann.

"Mit der Privatordination machte Gnant nur einen Umsatz von 60.000 Euro im Zeitraum Mai 2017 bis April 2018", sagt Stefan Prohaska von PPH Rechtsanwälte, der Gnant als Anwalt in der Kommunikation mit Medien vertritt. Abgesehen von der Privatordination hatte Gnant wie viele andere spezialisierte Chirurgen auch zusätzlich Patientinnen mit Privatversicherung, die er in Privatspitälern operierte. Die Kosten für eine einfache Brustkrebsoperation liegen laut verbindlichem offiziellem Operationskatalog bei 1772 Euro, bei komplexen Fällen fällt mehr an. Während man im öffentlichen Spital Honorare für sogenannte Sonderklassepatientinnen mit der Abteilung und dem Krankenanstaltenbetreiber teilen muss, ist das Operieren im Privatspital lukrativer.

Stress im Spital

"In den von uns untersuchten Fällen im AKH sind aber nur wenige Sonderklassepatientinnen", stellt Pilz klar. Gnant habe an 35 Nachmittagen im Privatspital operiert, was der Med-Uni auch bekannt war, so sein Anwalt. Wie es um die Vereinbarkeit zwischen einer Anstellung im Spital und der privaten Tätigkeit eines Arztes steht? "Zehn Stunden außerhalb der Dienstzeit sind erlaubt", sagt Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer.

Patientinnen, die von den Zwängen der Ärzte im Spitalbetrieb nichts wissen, spüren das am ehesten, wenn es um die Zeit für ärztliche Gespräche geht. Wer es sich leisten kann, bekommt sie heute in Privatordinationen. Als Chef aller AKH-Chirurgen mit Personal- und Budgetverantwortung hatte Gnant abgesehen von der ärztlichen und wissenschaftlichen Tätigkeit viele verwaltungstechnische Aufgaben. "Er musste auf das persönlich Operieren verzichten, die Patientenbetreuung hat aber keineswegs darunter gelitten, weil er es an sein hochqualifiziertes Team delegiert hat und stets involviert war", sagt sein Anwalt. "Patientinnen war das nicht klar, entgegnet Pilz, die darin Täuschung sieht und eine lückenlose Aufklärung über die Zeit vor Februar 2017 fordert. Die Beweise für diese Täuschung lieferten jetzt schon die OP-Protokolle, konkret jene, die nicht die Chirurgen, sondern die Pflege im OP geführt hat, so Pilz.

Mächtiger Chef

Zur Erklärung: Pflege und Ärzteschaft sind im AKH getrennte Organisationseinheiten, deshalb werden auch Protokolle getrennt geführt. Die Diskrepanz zwischen diesen beiden Dokumenten, in denen unterschiedliche Operateure angeführt waren, wurde Gnant zum Verhängnis. Aus seiner Sicht handelt es sich dabei um einen "systemimmanenten Softwarefehler"; mit dem Protokoll der Pflege habe er nie etwas zu tun gehabt, so Gnant.

"Dass man Gnant eintragen muss, auch wenn er nicht operiert hat, wurde im AKH offen diskutiert", berichtet ein Mitarbeiter, der anonym bleiben will (Name der Redaktion bekannt, Anm.). Zwar hätten es alle gewusst, doch vonseiten der Mitarbeiter sei es schwierig gewesen, gegen den mächtigen Chef vorzugehen. Gnant hatte Personalhoheit, keiner habe den Mut gehabt, sich mit ihm anzulegen. Er war renommiert, ein hervorragender Netzwerker, durch die ABCSG-Studiengruppe sogar österreichweit, niemand wollte es sich mit ihm verscherzen.

Gnant sagt, er habe eine offene und unhierarchische Gesprächskultur gepflegt.Die AKH-Pflegekräfte hätten sich auch vor dem Skandal im Mai 2018 immer wieder an die Direktion gewandt, doch dort sei man der Sache nicht nachgegangen, so der AKH-Mitarbeiter. Erst die Patientenanwältin habe den Stein ins Rollen gebracht. Die Direktion nimmt auf Anfrage zu diesem Vorwurf keine Stellung und betont, man habe im Mai 2018 sofort reagiert.

Vertrauen in Gefahr

Dass Gnant seine OP-Statistik wichtig war, weil er damit Patientinnen seine Erfahrung beweisen konnte, muss eine These bleiben, denn eine Datenbank, in der jeder öffentlich nachschauen kann, wer wie oft operiert hat, gibt es nicht. Nach innen, also im AKH selbst, sähe es bezüglich Fallzahlen anders aus. "Wenn bei etwaigen AKH-internen Erhebungen die Frage aufgekommen wäre, welcher Chirurg viel oder wenig operiert, wäre Gnant bei einer Softwareauswertung gut ausgestiegen", vermutet der AKH-Mitarbeiter. Er betont, dass Gnant mächtige Fürsprecher in Schlüsselpositionen des AKH gehabt habe, die ihn jetzt auch verteidigten: Abgesehen vom Vertrauensverlust bei Patientinnen sei ja kein Schaden entstanden, sagen sie. Will heißen: Keine der Patientinnen ist als Krebspatientin schlecht behandelt worden.

Im Jahre 2006 hat Michael Gnant in einem Interview mit dem STANDARD zum Thema medizinische Kompetenz und Ärztegehälter gesagt: "Mit meinem Dienstherrn (Med-Uni Wien, Anm.) habe ich fixiert, welche Nebentätigkeiten möglich sind. Ich betreibe eine Ordination, behandle Patienten in Privatspitälern, halte Vorträge. Das Unigehalt macht etwa 40 Prozent aus, etwas mehr als die Hälfte kommt aus der Behandlung von Privatpatienten, und fünf bis acht Prozent sind die Vorträge." Das habe sich im Laufe der Jahre verschoben, war aber zu jedem Zeitpunkt gemeldet und rechtlich zulässig, so sein Anwalt.

Eine Behandlung, so der AKH-Mitarbeiter, sei immer auch vom Vertrauen zwischen Arzt und Patient abhängig. Vertrauen müsse im Sinne der interdisziplinären Behandlung aber auch zwischen Ärzten, zwischen Ärzten und Pflege und in der Hierarchie eines Spitals bestehen. In einem stressigen und verantwortungsvollen Spitalsalltag sei das wichtig, um Sicherheit zu gewährleisten. Gnant war "kein Vorbild für Studierende", sagt Markus Müller, dem es als Rektor um den Ruf und das Ansehen der Med-Uni Wien geht. Bleibt die Frage, warum Michael Gnant seinen hervorragenden Ruf riskiert hat. Wahrscheinlich weil es in diesem System möglich war. (Karin Pollack, 23.12.2018)