Es ist zuvor bereits Kollegen aufgefallen – die Antrittsgespräche mit den Expertinnen und Experten der Übergangsregierung laufen anders ab als klassische Politikerinterviews: Als Journalistin kann man mehr Fragen stellen, denn sie werden ohne Ausschweifungen und Ausweichen beantwortet. So auch von der neuen Frauenministerin, die von ihrer Pressesprecherin nur eine Anweisung bekam: Für Fotos müssen die Hände auf den Tisch, sonst sehen Porträtierte abgeschnitten aus. Gesagt, getan.

Die Spitzenbeamtin Ines Stilling wurde im Juni als Frauen- und Familienministerin der Übergangsregierung angelobt. Sie folgte der ÖVP-Politikerin Juliane Bogner-Strauß nach.
Foto: Andy Urban

STANDARD: Österreichs erste Frauenministerin Johanna Dohnal verankerte 1993 den Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" per Gesetz. Heute verdienen Arbeitnehmerinnen noch immer um 37 Prozent weniger als männliche Kollegen. Was läuft falsch?

Stilling: Es gibt viele Faktoren, die dazu führen, dass Frauen weniger verdienen als Männer. Das beginnt bei der Berufswahl, weil die typischen Frauenberufe leider immer noch schlechter bezahlt sind. Die Friseurin bekommt bis heute weniger als der Automechaniker. Da sind wir nicht vorangekommen. Außerdem arbeiten überproportional viele Frauen in Teilzeit. Das Problem setzt sich fort bei Karriereperspektiven, die Frauen oft verwehrt bleiben, obwohl etwas anderes im Gesetz steht.

STANDARD: Sie sind Expertin auf diesem Gebiet. Was muss in den kommenden Jahren politisch getan werden, damit Frauen tatsächlich irgendwann gleich viel verdienen?

Stilling: Wir sollten den Fokus darauf richten, wie wir bezahlte und unbezahlte Arbeit aufteilen. Die letzten Zahlen, die wir dazu zur Verfügung haben, sind inzwischen zehn Jahre alt. Seither haben sich die Lebensrealitäten verändert. Ich möchte deshalb eine Studie in Auftrag gegeben. Die nächste Regierung kann daraus dann Maßnahmen ableiten.

STANDARD: Derzeit hat nur ein Drittel der Kindergärten außerhalb Wiens länger als bis 17 Uhr geöffnet – viele wesentlich kürzer. Sie waren schon oft in entsprechende Verhandlungen mit den Ländern involviert. Wann wird es endlich flächendeckend ganztägige Kinderbetreuung geben?

Stilling: Ob ich das noch erleben werde, weiß ich nicht. Bei Kindergarten- und Krippenplätzen sind wir in den vergangenen zehn Jahren deutlich vorangekommen, man muss da aber dranbleiben und vor allem die Qualität verbessern: Zum einen sind die täglichen Öffnungszeiten, zum anderen aber auch die vielen Schließtage und der Betreuungsschlüssel ein Problem. Es ist für Pädagoginnen schwierig, wenn viele Kinder kein Deutsch sprechen oder aus bildungsfernen Schichten kommen. Wenn man da alleine mit 25 Kindern arbeitet, kann man noch so engagiert sein, so werden benachteiligte Kinder nicht aufholen können.

STANDARD: Ab welchem Alter sollten Kinder verpflichtend in den Kindergarten gehen?

Stilling: Grundsätzlich halte ich jeden Tag, den Kinder in elementaren Kinderbildungseinrichtungen verbringen können, für entscheidend. Wir wissen aus vielen Studien, dass das ihre Bildungschancen deutlich erhöht. Das Thema hört aber nicht mit dem sechsten Geburtstag auf. Die größten Herausforderungen haben Eltern dann, wenn Kinder in die Schule kommen und es keine ganztägigen Schulformen oder eine Nachmittagsbetreuung gibt. Viele wissen auch nicht, was sie mit den Kindern in den Ferien machen sollen. Da braucht es leistbare Angebote.

"Derzeit geht ein Großteil der Frauen aus der Arbeitslosigkeit in Pension. Da hat es wenig Sinn, das gesetzliche Antrittsalter zu erhöhen", findet die Frauenministerin.
Foto: Andy Urban

STANDARD: Probleme durch mangelnde Kinderbetreuung und Teilzeitarbeit ziehen sich bis in die Pension. Konservative Kräfte wollen das Frauenpensionsalter möglichst schnell an das der Männer angleichen. Wie stehen Sie dazu?

Stilling: Niemand ist verpflichtet, mit dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter in Pension zu gehen. Aber wir geben Menschen ja mittlerweile schon mit 45 oder 50 Jahren kaum mehr Chancen, wieder in den Beruf einzusteigen. Die Frauen wären da. Und wenn sie einen Arbeitsplatz haben, der ihnen Freude macht, gibt es sicher viele, die über das gesetzliche Antrittsalter hinaus arbeiten würden. Derzeit geht der Großteil der Frauen aber aus der Arbeitslosigkeit oder Krankenständen in Pension. Da hat es wenig Sinn, das Antrittsalter vorzeitig zu erhöhen. Das gilt im Übrigen auch für Männer.

STANDARD: Wie wollen Sie Ihre Rolle als Ministerin anlegen?

Stilling: Ich möchte die Chance nutzen, auf Frauen und ihre Anliegen und Leistungen aufmerksam zu machen. Nachdem sich das Budget nicht ändert, ist es schwierig, eigene Initiativen zu starten.

STANDARD: Zwei Ihrer männlichen Regierungskollegen haben bereits mehr Budget für ihre Ressorts gefordert.

Stilling: Faktum ist, dass das Budget im Frauenministerium seit zehn Jahren nicht erhöht wurde. In den kommenden Monaten geht es darum, Beratungsstellen und bestehende Projekte aufrechtzuerhalten. Eine Budgeterhöhung zu verhandeln obliegt dann meiner Nachfolgerin.

STANDARD: Ihre Vorgängerin hat einer Vielzahl an Vereinen, die sich in unterschiedlicher Weise mit Gleichberechtigung befassen, die Förderungen gekürzt oder gestrichen. War das ein Fehler?

Stilling: Es ist den budgetären Rahmenbedingungen geschuldet. Aber ich bedauere jede Einrichtung, die ihre Arbeit nicht fortsetzen kann, weil das sehr arrivierte Einrichtungen sind, die für Frauen in diesem Land direkt oder indirekt sehr viel bewirken.

Stilling ist studierte Juristin. Ins Frauenministerium wechselte sie unter der damaligen Ministerin Doris Bures (SPÖ). Kanzler Werner Faymann (SPÖ) machte sie 2012 zur Chefin der Sektion für Frauenangelegenheiten im Kanzleramt.
Foto: Andy Urban

STANDARD: Hat die türkis-blaue Regierung frauenfreundliche Politik gemacht?

Stilling: Die Schwerpunkte werden in jeder Bundesregierung unterschiedlich gesetzt. Im Frauenbereich war zuletzt das Thema Gewaltschutz sehr wichtig – ein überparteiliches Anliegen, wie ich meine, das wir auch in dieser Regierung weiterverfolgen.

STANDARD: ÖVP und FPÖ haben sich auf höhere Strafen für Gewalttäter verständigt. Machen solche Maßnahmen das Leben von Frauen sicherer?

Stilling: Es ist zumindest keine Maßnahme, die den Opfern schadet. Sie wird, fürchte ich, aber auch keinen Täter davon abhalten, Gewalt gegen Frauen und Kinder auszuüben. Ganz entscheidend sind aus meiner Sicht direkte Unterstützung für Opfer, Präventionsarbeit und opferschutzorientierte Täterarbeit.

STANDARD: Was sind konkrete Präventionsmaßnahmen?

Stilling: Wir müssen dafür die ganze Facette der strukturellen Gewalt beleuchten. Es geht darum, wie Mädchen und Frauen in diesem Land gesehen und behandelt werden. Schon bei sexistischen Witzen, die vielleicht ganz lustig gemeint waren, beginnt in gewisser Weise eine strukturelle Gewaltausübung. Man sollte in Schulen mit Workshops ansetzen. Es stellt sich aber etwa auch die Frage, wie sexistisch Werbung ist und was das befördert. Ganz wichtig ist es, Frauen zu stärken.

STANDARD: Wie wird es mit Ihnen beruflich weitergehen, sobald die nächste Regierung steht?

Stilling: Ich werde meine Tätigkeit als Sektionsleiterin für Frauenangelegenheiten wieder aufnehmen. (Katharina Mittelstaedt, 8.7.2019)