Eine neue Ära in der Erforschung des Weltraums hat begonnen – und Joe Biden ließ es sich nicht nehmen, diese offiziell einzuläuten. In der Nacht auf Dienstag (MESZ) präsentierte der US-Präsident im Weißen Haus die erste wissenschaftliche Aufnahme des James-Webb-Weltraumteleskops.

Diese Infrarotaufnahme des Webb-Teleskops zeigt den Galaxienhaufen SMACS 0723 und enthüllt Tausende Objekte. Viele davon waren bisher unsichtbar.
Foto: NASA/ESA/CSA/STScI

Es handelt sich dabei um das bisher tiefste und schärfste Infrarotbild des fernen Universums: Zu sehen ist der gigantische Galaxienhaufen SMACS 0723, der wie eine Linse auf dahinterliegende Objekte wirkt und dadurch ferne Galaxien sichtbar macht, die sonst im Verborgenen liegen würden. "Wir blicken 13 Milliarden Jahre zurück", sagte Nasa-Chef Bill Nelson bei der Präsentation der Aufnahme im Weißen Haus. "Und das ist erst der Anfang, wir werden noch viel weiter zurückgehen."

Rückblick in das frühe Universum

Das Bild zeige "nach nur zwölfeinhalb Stunden Belichtung im weiten Hintergrund bereits Galaxien in einem Zustand nur 600 Millionen Jahre nach der Entstehung des Universums vor ca. 13,8 Milliarden Jahren", sagte Das Bild gibt tiefe Einblicke in die Entstehung der ersten Sterne und Galaxien des Universums", kommentierte Manuel Güdel von der Universität Wien die Veröffentlichung. Der Astrophysiker war an der Entwicklung eines Instruments des Teleskops beteiligt. "Das Bild gibt tiefe Einblicke in die Entstehung der ersten Sterne und Galaxien des Universums."

Die atemberaubende Aufnahme von SMACS 0723 ist der Auftakt der ersten Veröffentlichungsrunde. Am Dienstagnachmittag werden die US-Weltraumbehörde Nasa, die Europäische Weltraumorganisation Esa und die kanadische Weltraumagentur (CSA) weitere Vollfarbenbilder und erste spektroskopische Daten des James-Webb-Weltraumteleskops veröffentlichen. Ab Mittwoch sollen dann auch die Rohdaten zu diesen Beobachtungen zur Verfügung stehen und damit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern weltweit zugänglich sein.

Große Erwartungen an das neue Teleskop

Die Erwartungen an das nagelneue Teleskop sind hoch. Webb ist das bisher größte, leistungsstärkste und mit Gesamtkosten von rund acht Milliarden Euro auch das teuerste Instrument seiner Art. Es soll die wissenschaftliche Nachfolge des in die Jahre gekommenen Hubble-Weltraumteleskops antreten, das in seiner gut 30-jährigen Karriere alle Erwartungen übertroffen hat. "Wir erwarten, dass Webb das noch besser machen wird, die Möglichkeiten sind gigantisch", sagt Günther Hasinger, Wissenschaftsdirektor der Esa, die gemeinsam mit der kanadischen Weltraumagentur (CSA) an dem Nasa-Projekt beteiligt ist.

Sichtbar mehr Details: Hier ist zweimal der gleiche Himmelsausschnitt zu sehen, links in einer Aufnahme des Hubble-Teleskops, rechts das neue Bild des James-Webb-Teleskops.

Während Hubble vor allem im sichtbaren und ultravioletten Bereich beobachtet, ist Webb auf Beobachtungen im Infrarot ausgelegt, erklärt Hasinger, der selbst Astrophysiker ist. "Eigentlich misst Webb die Wärme von Objekten. So kann man Dinge sehen, die sonst im Verborgenen liegen – viele Regionen im Universum sind total von Gas- und Staubwolken blockiert, gerade dort, wo es interessant wird."

Nebel und tanzende Galaxien

Webb ist das größte und leistungsstärkste Weltraumteleskop der Menschheit. Das Infrarot-Auge soll revolutionäre Daten liefern.
Illustration: NASA GSFC/CIL/Adriana Manrique Gutierrez

Auf welche spannenden Objekte und Regionen das neue Auge im All seinen Blick abseits des Galaxienhaufens bereits gerichtet hat, wurde schon im Vorfeld der anstehenden Veröffentlichungen verraten. Zu den ersten Aufnahmen gehört demnach auch der Carinanebel, eine interstellare Gaswolke in der Milchstraße, die zu den größten und hellsten Emissionsnebeln am Nachthimmel zählt. "Solche Sternentstehungsregionen sind wunderschön anzuschauen, da kann man viele verschiedene Gas- und Staubwolken, Sauerstoff und Wasserstoff separat leuchten sehen", sagt Hasinger. Schon Hubble habe atemberaubende Aufnahmen dieses Nebels geliefert, von Webb seien noch deutlich detailreichere Bilder zu erwarten.

Hubble-Aufnahme von "Stephans Quintett". Auch Webb hat schon in diese berühmte Galaxiengruppe geblickt, das Ergebnis wird mit Spannung erwartet.
Foto: Nasa / Esa / Hubble SM4 ERO Team

Ebenso unter Webbs ersten Motiven, die am Dienstag veröffentlicht werden, befindet sich "Stephans Quintett". Dieses berühmte System aus fünf wechselwirkenden Galaxien dürfte ebenfalls ungewohnt farbenfroh und in bisher unerreichter Auflösung zu sehen sein. "Das Quintett sieht ja ein bisschen wie das Chagall-Bild von den tanzenden Mädchen aus, das ist sehr faszinierend", sagt Hasinger.

Gasriese im Visier

Mit Hochspannung werden auch die ersten Beobachtungsdaten zu einem fernen Exoplaneten erwartet, die das neue Teleskop liefert. Konkret soll das Spektrum des 2014 entdeckten Gasriesen Wasp-96b veröffentlicht werden, der seinen Stern alle dreieinhalb Tage vollständig umkreist. Aus dem Licht des Sterns lässt sich, wenn der Planet aus Sicht des Teleskops vor ihm vorbeiwandert und ihn minimal abschattet, auf die Zusammensetzung der Planetenatmosphäre schließen. "Es geht nun einmal darum, zu zeigen, dass die Technik mit dem James-Webb-Teleskop funktioniert", sagt Hasinger. "Wir erwarten, dass das Entdeckungspotenzial mit Webb bei dieser Anwendung ungefähr 10.000 Mal größer sein wird als mit Hubble."

In den kommenden Jahren soll Webb aber auch weiter zurück in die Vergangenheit des Universums blicken als alle bisherigen Teleskope: Astronominnen und Astronomen erhoffen sich, das Licht der ersten Sterne und Galaxien zu finden, die nach dem Urknall entstanden sind. Auch die bisher verborgen gebliebenen ältesten Schwarzen Löcher, die im frühen Universum entstanden sind, könnten mithilfe des Webb-Teleskops aufgespürt werden, sagt Hasinger, der selbst in diesem Bereich forscht. Womöglich ließe sich so auch eines der großen Rätsel der Astronomie lösen: "Vielleicht können wir beweisen, dass die Dunkle Materie aus Schwarzen Löcher besteht." (David Rennert, 12.7.2022)